Benedikt Grothe

In welcher Zeit leben wir?

Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl. Foto: MZ

Vortragsreihe in Weissach

Das Wintersemester des Korbinians Kolleg im Hotel Bachmair Weissach steht unter dem Thema „In welcher Zeit leben wir?“ Kurator Professor Wilhelm Vossenkuhl hat damit den Nerv unserer Gesellschaft getroffen und erklärt im Gespräch seine Intention.

Nach einer Pause im vorigen Semester hat die von Hotelier Korbinian Kohler initiierte Vortragsreihe wieder begonnen. Die Planung der Themen und die Auswahl der Referenten liegt in den Händen von Wilhelm Vossenkuhl, Philosoph an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Intensität von Problemen

Das Thema habe er deshalb gewählt, weil wir in einer Zeit leben, die nicht von einem Problem gekennzeichnet ist, sondern „von einer solchen Intensität von Problemen, dass man schon von einer Heimsuchung sprechen kann“, begründet er.

Armin Nassehi
Hotelier Korbinian Kohler und Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl. Foto: Petra Kurbjuhn

Dabei steche insbesondere Corona ins Auge, das aber sei nicht nur eine Infektion, sondern berge eine Reihe von Folgeproblemen: „Die Lieferketten sind unterbrochen, tiefe Löcher sind bei den Kulturschaffenden aufgebrochen und vieles mehr“, sagt der Philosoph.

Dazu komme das Wahlergebnis, was nicht erwartbar gewesen sei. „Die CDU/CSU hat sich wohl verbraucht und jetzt bildet die SPD eine Regierung.“ Das Fatale sei, dass alle Prognosen versucht hätten, immer nur ein Problem zu behandeln, aber wir hätten es derzeit mit einer Summe von Problemen zu tun.

„Wie können wir die Gegenwart verstehen“, das sei die Frage. „wir leben mit dem Blick auf die Zukunft und verbergen den Blick auf die Gegenwart“, ist Wilhelm Vossenkuhl überzeugt. Dieser aber sei wichtig, um nicht sogenannten alternativen Fakten auf den Leim zu gehen. „Es gibt nicht mehrere Wahrheiten“, ist der Philosoph überzeugt.

Ethik und ihre Grenzen

Allerdings, und hier zitiert er sein Buch, über das er am 14. Januar mit Karsten Fischer sprechen wird, habe Ethik ihre Grenzen. „Es ist falsch anzunehmen, dass alles nach ethischen Maßstäben behandelt werden kann.“ In Ausnahmesituationen würden andere Regeln gelten. Der Philosoph erinnert an den Widerstand gegen das NS-Regime und spricht von der Situation in Intensivstationen: „Wer kommt als erster dran?“

Wilhelm Vossenkuhl
Wilhelm Vossenkuhl: „Ethik und ihre Grenzen“. Foto: MZ

Das Buch „Ethik und ihre Grenzen“ ist als Erzählung konzipiert, deshalb leicht verständlich. Wilhelm Vossenkuhl geht darin auf die wesentlichen Aspekte menschlicher Existenz ein. Er vermittelt den Unterschied von Sitte, Sittlichkeit und Ethik, er befasst sich mit der Sorge in ihrer beschützenden, aber auch dunklen Seite, lotet den Begriff der Tugend und der Scham aus und geht auch auf gesellschaftliche Themen wie Freiheit, Gerechtigkeit, Würde oder Natur ein.

Dieses Buch, so erzählt der Philosoph, sei aus Lehrveranstaltungen der Erwachsenenbildung entstanden. Das zweite Buch, über das er am 14. Januar in Weissach sprechen wird „Was gilt?“ sei ein eher theoretisches Werk und befasse sich ausgehend von der Rechtsphilosophie mit dem Zusammenhang zwischen dem was ist, und dem, was sein soll.

Wilhelm Vossenkuhl
Prof. Dr. Karten Fischer. Foto: privat

Sein Gesprächspartner Karsten Fischer, Lehrstuhlinhaber für Politische Theorie an der LMU München wird bereits am morgigen Freitag, 5. November im Bachmair Weissach zum Thema „Entgrenzung“ referieren. Man habe bewusst einen geheimnisvollen Begriff gewählt, meint Wilhelm Vossenkuhl. Es sei ein Versuch, die Gegenwart zu verstehen und speise sich aus unterschiedlichen Quellen. Der Soziologe Hartmut Rosa erklärt die Gegenwart mit dem Begriff der Beschleunigung, der Soziologe Andreas Reckwitz mit dem Begriff der Singularität. „Es geht darum zu fragen, wohin geht die Reise, und dabei ist der Tenor sehr unterschiedlich“, meint der Kurator.

Armin Nassehi
Prof. Dr. Armin Nassehi. Foto: Petra Kurbjuhn

Am 10. Dezember ist Gerhard Ernst eingeladen. Der Philosophieprofessor wird über „Was ist Wahrheit?“ sprechen und am 11. Februar ist wieder der Soziologe Armin Nassehi bei Korbinians Kolleg zu Gast mit dem Thema „Die überforderte Gesellschaft“. Mit zwei wirtschaftlich orientierten Vorträgen geht das Wintersemester zu Ende. Am 11. März wird Ralf Wintergerst die „Geschäftsbeziehungen mit China“ ausloten und am 1. April Monika Schnitzer eine „Analyse der wirtschaftlichen Lage“ aufzeigen.

Lesetipp: Das Ende von rechts und links

Die Veranstaltungen beginnen jeweils um 18.30 Uhr, Einlass ist nach 3G-Regel. Anmeldung unter www.eventbrite.com

Zum Weiterlesen: Müssen wir geschubst werden?

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