Fünfmal Mord in Valley
Die Autorinnen der Schreibwerkstatt kannten nur die Bilder – die Kurzkrimis sind ihrer Fantasie entsprungen. (v.l.) Stephanie Wochinger, Karin Sommer, Ines Wagner. Foto: Marina Baum.
Krimilesung in Valley
Ganz tief in uns allen schlummern menschliche Abgründe. Fünf Frauen waren bereit, hinabzusteigen ins Innere und sie sich anzuschauen. Heraus kam eine Krimilesung, die vor allem eines brauchte: Mut.
Die Wirtin vom Darchinger Hof meint die Geschichte zu kennen – den Mord am Bahnübergang Mitterdarching. Damals, 1967. Zwei Frauen wurden erschossen. Ob der Mord aufgeklärt wurde? Die Autorinnen der Schreibwerkstatt kennen die Geschichte nicht. Nicht diese und auch nicht den Mord in dem Ziegelhaus in Norddeutschland. Sie sehen nur die Fotos. Grau in Grau. Beklemmend schlicht.
Und „…gehen dahin, wo man eigentlich nicht hin will“: In die eigene Mördergrube, in die dunkle Welt der eigenen Fantasie für Gewaltverbrechen. So leitet Karin Sommer die Lesung ein – heraus kommen unendlich spannende, feingesponnene Kurz-Geschichten, die kaum dichter sein können. Heraus kommt die Lesung „Tatort – eine Krimilesung“ – zu hören gewesen am 01. Februar 2019 im Valleyer Schloss Bräu.
Tatortbilder erinnern an Verbrechen
Claudia Kreutzer, Karin Sommer, Ines Wagner, Stephanie Wochinger, Monika Ziegler – das sind fünf Autorinnen der 2007 gegründeten Schreibwerkstatt, die in Valley ihre Krimis lasen. Voriges Jahr entstand die Idee, mit Künstlern verschiedener Richtungen zusammenzuarbeiten. Es wurde über Skulpturen, Bilder und Musikstücke geschrieben sowie über eine Fotoreihe der Drehbuchautorin und Fotografin Nani Mahlo aus Valley/Grub. Unzählige Fernseh-Krimis stammen aus ihrer Feder und Fantasie.
„Die Tat hat sich in den Ort eingebrannt oder ist der Ort der Spiegel der Tat?“ fragt Stephanie Wochinger in ihrem Text „Ort und Tat ist gleich Tatort“. Sie wagt sich gedanklich in das Ziegelgebäude, das im Hintergrund der Lesenden an die Wand projiziert wird. Was mag da passiert sein, in diesen vier Wänden, die real noch stehen? Die Geschichte ist ein Vortasten in die Finsternis, philosophisch und von starker Eigenreflexion geprägt.
Am Bahnübergang Valley/Mitterdaching geschah einst ein Mord – die Drehbuchautorin, Grafikerin und Fotografin Nani Mahlo aus Valley/Grub erinnert mit ihrer Fotoserie Tatort an die Opfer. Foto: Nani Mahlo
Schweigen bis zum Schluss
Der Saal des Valleyer Schloss Bräu ist in rotes Licht getaucht. Rund 50 Personen haben den Weg in die Brauerei gefunden. Auf der Bühne Claudia Kreutzer und Monika Ziegler. Los geht’s in die Psychopathologie der Kriminalität. Claudia Kreutzer spielt in ihrem Text „Tatorte – drei Tote, zwei Tatorte, ein Mörder“ raffiniert mit Fiktion und Realität. Ein Dokumentarfilm über einen Mord soll entstehen. Am Tatort selbst.
Das Filmteam wird emotionaler Teil des Geschehnisses von damals. Es gibt angeblich einen Mörder, einen Außenseiter, der nach Jahrzehnten an den Tatort zurückkommt. Die Geschichte von damals wird gekonnt mit der Verfilmung des einst Geschehenen im Heute verwoben. Heute wie damals gibt es Interessen hinter unaufgeklärten Verbrechen. Da sind die Menschen, denen daran liegt, dass Dinge im Verborgenen bleiben und da sind die Anderen, bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, dass die Wahrheit ans Licht kommt.
Leben spielt keine Rolle
Monika Ziegler bleibt ganz in der aktuellen Zeit. „Einfach so“ – in ihrer Geschichte spielt sie mit dem Gedanken, dass ein junger Mann junge Frauen umgebracht hat. Einfach so. Die Autorin konfrontiert die Zuhörer mit der Empathielosigkeit unserer Zeit, in der das Du keine Rolle mehr spielt. Das Ausleben der eigenen Fantasien steht im Mittelpunkt. Gerne auf Kosten anderer. Was solls – einfach so. Auch wenns ums Leben geht.
Lesetipp: Schreibwerkstatt bei der Tegernseer Woche
Das Ziegelhaus, dessen Fassade das Innere verbirgt, inspirierte drei Geschichten, die sich alle in und um das Gebäude hätten ereignen können. Foto: Nani Mahlo
Dieselben Worte für Mörder und Opfer
Jede einzelne Geschichte zieht den Zuhörer tiefer in eine Welt, in der zwischen innerem Widerstand und schaulustiger Faszination kein Blatt Papier mehr passt. Karin Sommer erzählt mit ruhiger Stimme von einem Mord in einer Direktheit, die das Unerträgliche an Gewaltverbrechen spürbar macht. Täter und Opfer beschreiben hintereinander die Tat, mit teilweise haargenau denselben Sätzen, die ihr völlig unterschiedliches Erleben unterstreichen. Beide hatten einen langen Weg, der sie zu ihrer Handlungsweise am alten Backsteinhaus geführt hat und beide gehen ihren Weg weiter. Nach dem Mord.
Rot gleich Tot
Ines Wagner trägt rot. Sie greift in ihrer Geschichte „Prada, Rot und Tod“ in die Welt der Haute Couture. Eine Frau, Sandra Roth wird tot aufgefunden. Hillmann entdeckt sie. „Ich war es nicht“ – Sandra Roth ist tot. Hillmann läuft Blut die Schläfe herab. War er der Mörder? Er gerät in Verdacht. Er denkt, er war es nicht. Aber er erkennt die Bluse, die die Tote trägt. Alexandra Obermüller hat sie auch getragen. Sie lebt und leitet jetzt das Modeunternehmen. Rot, mit tiefem Rückenausschnitt. War sie die Mörderin? Ines Wagner lässt ihre Zuhörer zunächst erschaudern, aber dann doch auch immer wieder schmunzeln. Plastische Details und zutiefst menschliche Züge der am Mord Beteiligten bewirken die gelungene Mischung von Gruseln und Lächeln, die guten Krimis innewohnt.
„Watching the Cat“ wählten Lieder, bei denen es ums Töten geht. (v.l.) Andreas Bichler, Christian Zimmermann, Keno Dirks interpretierten Neil Young, Jimi Hendrix und Johnny Cash. Foto: Anja Gild
Musikalische Atempausen
Am Anfang, in der Mitte und am Ende gönnten die drei Musiker der Band „Watching the Cat“ den Besuchern eine musikalische Atempause. Die Lieder hatten die Musiker durchaus zum Thema passend gewählt. Bei „Down by the river“ geht es dem Songwriter Neil Young um einen ungeklärten Kriminalfall am Fluss. „Hey Joe“ (Jimi Hendrix) erzählt von einem eifersüchtigen Mann, der seine untreue Frau erschießt, um anschließend nach Mexiko fliehen zu wollen. Und mit „Cocaine Blues and I got stripes“ erinnern die drei jungen Musiker auf der Bühne des Valleyer Schloss Bräu an Johnny Cashs Folsom Prison Konzert 1968. Cash veränderte den ursprünglichen Text unter anderem durch die Zeile „I can’t forget the day I shot that bad bitch down.“
Obwohl Christian Zimmermann (Gitarre), Andreas Bichler (E-Gitarre und Sänger) und Keno Dirks (Cajon) eher aussehen, als wären sie der Friedensbewegung entsprungen, tauchten sie mit Liedern wie „Hey Joe“ von Jimmy Hendrix oder „Down by the River“ von Neil Young auch durchaus in die Abgründe der menschlichen Seele ein. Jedoch immer mit einem entspannten Lächeln, das sich auch auf den Gesichtern der Zuhörer am Ende des mitreißenden Abends spiegelte.
Watching the Cat ist am 23. März 2019 gemeinsam mit dem Zither Manä im Wirtshaus im Sportplatz, München Pasing, ab 20 Uhr zu hören und sehen.