Mehr Frust als Lust
„Anatevka“ vom Freien Landestheater Bayern wurde viermal verschoben. Foto: FLTB
Ist die neue Regelung für Kulturveranstaltungen für den Landkreis Miesbach sinnvoll? Wie reagieren die beiden Chefinnen der großen Kulturhäuser? Sperren sie heute mit 50 Prozent Auslastung auf? Und was sagen die Politiker zur derzeitigen unübersichtlichen Situation?
„Es ist mir bewusst wie stark die Kultur leidet“, betont CSU-Bundestagsabgeordneter Alexander Radwan, der insbesondere enge Kontakte mit dem Freien Landestheater Bayern pflegt. „Kultur ist ein Lebensmittel“, drückt die Bezirkstagsabgeordnete der Grünen Elisabeth Janner die Bedeutung der Kultur aus. Begegnung und Kontakt können nicht ersetzt werden durch „briefmarkengroße Bildchen“ bei der Zoom-Veranstaltung am Laptop. Es werde politisch nicht wahrgenommen, dass Kulturveranstaltungen gut kontrolliert organisierbar sind. „Man hätte schon viel eher eine ermöglichende Linie anstatt der Verhinderungslinie fahren müssen.“
Alexander Radwan MdB bei der „anders wachsen“ Veranstaltung „Gerechtigkeit“ mit SZ-Redakteur Alexander Hagelüken. Foto: Verena Huber
Auch Alexander Radwan räumt ein: „Die Regelungen, die getroffen wurden und werden, sind nicht immer passgenau und werfen teilweise mehr Fragezeichen als Antworten auf. „Das aber sei typisch für die jetzige Situation: „Die gefühlten Ungerechtigkeiten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Pandemie. Und je mehr man versucht zu gewichten, umso mehr findet man Punkte, die ungerecht sind.“
Im Saal mit Maske, im Lokal ohne
Diese Ungerechtigkeit drückt Isabella Krobisch, Leiterin des Kulturzentrums Waitzinger Keller in Miesbach so aus: „Wir haben eine absurde Situation, für die Gastronomie und die Veranstaltungen. Im selben Haus gelten unterschiedliche Regeln. Im Lokal sitze man ohne Maske beieinander, im großen Saal müsse man Maske tragen, dürfe sie aber in der Pause absetzen, um ein Getränk zu sich zu nehmen.“
Isabella Krobisch. Foto: Petra Kurbjuhn
Diese jetzt beschlossene Lockerung komme zu einem Zeitpunkt mit täglich steigenden Infektionszahlen. Bei der vorigen Welle habe man sofort den Betrieb einstellen müssen und manche Veranstaltung viermal verschoben. „Manche Agenturen rufen an und sagen, löscht alle Termine, das Kabarett ist überholt.“
Lesetipp: Claus von Wagner und „Die Theorie der feinen Menschen“
Ingrid Huber, Geschäftsführerin des KULTUR im Oberbräu Holzkirchen, schließt sich voll ihrer Miesbacher Kollegin an. Man stehe Gewehr bei Fuß, benötige aber mindestens vier Wochen Vorlauf, um wieder zu starten. „Das mag bei großen Häusern in München schnell gehen, bei uns aber nicht.“
Ingrid Huber. Foto: Manfred Lehner
Das sieht so auch Alexander Radwan: „Ich begrüße es, wenn die jetzigen politischen Entscheidungen vor Ort unterschiedlich umgesetzt werden. In einem Münchner Theater kann ich anders organisieren als im Foolstheater in Holzkirchen.“
Dazu komme die Unsicherheit, dass für das Publikum 2G+ und Maske gelte, für die Künstler indes 3G+. „Ich verlange vom Publikum diese Einschränkungen und Künstler kommen mit einem obskuren Schnelltest ohne Maske.“
Explodierende Zahlen
Bei den explodierenden Zahlen derzeit stelle sich die Frage, wie sinnvoll und verantwortungsvoll es jetzt sei, auf Teufel komm raus aufzumachen. Und wie stehe es mit der Angst des Publikums, sich anzustecken. Und was passiere, wenn das Personal aufgrund von Ansteckungen krank werde. Sie hätten im Team entschieden, den Februar noch abzuwarten.
„Wir können nicht Knall auf Fall öffnen“, sagt auch Isabella Krobisch. Die ad hoc Entscheidung der Landesregierung löse mehr Frust als Freude aus. Zusätzlich habe man das Problem, dass sich Hilfskräfte anderweitig orientiert haben, da sie Geld verdienen müssen. Und man brauche durch die Kontrollen mehr Personal. Eine weitere Folge sei, dass man ohne Spielbetrieb keine Praktikanten der FOS einstellen könne. „Das macht wenig Lust auf einen Beruf im Kulturbertrieb“, konstatiert Isabella Krobisch.
Kultur und Schutz
Auch viele Künstler, die ihren Lebensunterhalt benötigen, haben sich neue Erwerbsquellen gesucht. Die fehlende Planbarkeit lässt derzeit viele Ensembles auseinanderbrechen.
Der jetzige plötzliche Schwenk auf 50 Prozent Auslastung entspreche nicht Zuverlässigkeit und Formbarkeit, meint Elisabeth Janner. Ursache für die bittere Situation sei, dass Konsum und Geld vor Kultur und Kindern rangieren. „Die Menschen brauchen Kultur und Schutz gleichermaßen“, fasst sie zusammen.
Dankbar für Verantwortung
Auch Alexander Radwan betont den Schutz der Menschen. „Mein Appell an alle: lasst uns vorsichtig sein, impfen und schleunigst aus dieser Pandemie herauskommen.“ Und er äußert Verständnis für die prekäre Situation der hiesigen Kulturhäuser: „Ich bin jedem Veranstalter dankbar, der Verantwortung übernimmt.“
Bürgermeister Robert Kühn bei „Kunst im Schaufenster“ mit Sibylle von Löwis und Claudia Zill. Foto: Petra Kurbjuhn
Denselben Satz sagt SPD-Bürgermeister Robert Kühn aus Bad Wiessee und betont: „Ich begrüße es, wenn die Veranstalter vor Ort unterscheiden, ein kleines Theater hat andere Bedingungen als ein großes in München.“ Er wünsche sich, dass wir gemeinsam die Lage ernst nehmen, damit wir alle schneller und kontrolliert wieder Kultur ermöglichen können.