Wenn aus weniger mehr wird
Kunst trotzt Corona – endlich wieder eine Vernissage am Tannerhof: Sebi Tramontana, Micol Krause, Bettina Krugsberger vor den „Retablo“. Foto: Massimo Fiorito
Ausstellung in Bayrischzell
Im kleinen Format präsentieren derzeit am Tannerhof 23 Kunstschaffende aus fünf Ländern ihre Werke. Von Bildhauerei und Installation bis Fotografie, Malerei und Grafik reicht die Schaffensbreite. Der Verein Kultursprung möchte damit den künstlerischen Austausch zwischen den Generationen anregen.
Die Ausstellung war von langer Hand geplant, vielleicht wäre sie sonst kleiner ausgefallen. „Weniger ist mehr“ hat der Verein Kultursprung – Kunst und Soziales am Tannerhof die Ausstellung genannt, die Anfang Juli eröffnet wurde. „Das kleine Format“ ergänzt den Titel. Was von der Kunstwerksgröße her 30 × 30 Zentimeter meint, wirkt in der Gesamtproportion mit 23 Künstlern zuerst einmal groß.
Aufatmen, Kunst feiern
Und gerade deshalb ist diese große Ausstellung am Ende des Corona-Lockdowns genau richtig. Weil es viel zu lange viel zu still war in diesem „Versteck in den Bergen“. Mit der Öffnung und den zurückgekehrten Gästen, aber vor allen mit der sonnigen, unbeschwerten Vernissage, atmet der Tannerhof wieder Lebendigkeit, feiert das Leben, die Gesundheit und Natur – und die Kunst.
Vernissage in Corona-Abstandszeiten – im Saal des Badehauses. Foto: Massimo Fiorito
Die vielfältige, kuratierte Ausstellung ist der Zusammenarbeit dreier Frauen zu verdanken: Nele von Mengershausen, Künstlerin am Tannerhof, Micol Krause, Organisatorin der Hofkultur und Bérénice Salvan. Letztere hat sich als großer Glücksfall erwiesen. Die junge Französin verbringt ein ganzes Freiwilligenjahr im Rahmen des Deutsch-Französischen Kulturaustauschs in Bayrischzell – und bringt neben Enthusiasmus auch Erfahrung in der Ausstellungsorganisation mit.
Familiy & Friends
Vor allem aber ist die Ausstellung deshalb besonders, weil sich alle beteiligten Künstlerinnern und Künstler mit dem Bayrischzeller Naturhotel verbunden fühlen: einige wohnen hier, einige arbeiten hier, andere sind bereits als Künstler zu Gast gewesen. Kunstschaffende aus Deutschland, England, USA, Iran und Italien zeigen eine Kostprobe ihres Schaffens. Das Ziel des Vereins Kultursprung ist es, einen künstlerischen Austausch der Generationen zu fördern. „Hier sind zwei Generationen Plus vertreten“, stellte Nele von Mengershausen in ihrer Eröffnungsrede fest, „in einer Zeitspanne der Geburtsjahre von 1939 bis 1999“.
Nele von Mengershausen führt durch die Ausstellung – im Hintergrund Installation und Video von Miriam Ferstl. Foto: IW
So zeigt beispielsweise der Jüngste, Julian von Mengershausen, inspiriert von Reisen und „sender & receiver studies“ seine collagenhafte Installation „Reizend“, bestehend aus Malerei und Fotografie. Zur Tannerhof-Familie und zu den Jüngeren gehört auch Miriam von Mengershausen, die in Berlin Modedesign studiert und in ihren doppelt belichteten Fotografien auf Alu-Dibond der Vibration des Münchner Oktoberfestes die ruhige Idylle des Tegernsees entgegensetzt.
Farbenfroh erzählt die Grafikerin Katharina Bourjau mit ihren Drucken auf Plexiglas Geschichten vom Wolpertinger. Foto: IW
Tierisch geht es auch bei Bettina Krugsperger zu, wenn sie sich anhand kleiner Elektrowiderstände, die wie Schwebfliegen wimmeln, dem Phänomen der Schwarmintelligenz nähert.
Bei Yvonne Aschoff sind es neben drei Hunden am Stand zwei vorurteilsfrei-neugierige Jungen, die im Bildzyklus „Mind the Gap! What Gap? Fuck the Gap!“ im Brexit den Schritt Richtung Europa wagen. Foto: IW
Hamed Ghasemi’s Fotoserie „Bird collection“ zeigt spielerisch die Kunst des Entfliegens. Eine wichtige Gabe, die die Menschen in den Kriegsgebieten erlernen müssen – zumindest in Gedanken, denn die sind frei.
Fotografisches Tagebuch auf Barytpapier – Massimo Fiorito „Sameplace“. Foto: IW
Massimo Fiorito lichtet als stiller Beobachter in seiner Fotoserie „Sameplace“ über Jahre hinweg das Geschehen im Umfeld einer Münchner Isarbrücke ab und wird somit spielerisch zum Chronisten des Ortes. Der Posaunist Sebastiano Tramontana ist ein Tagebuchschreiber mit dem Zeichenstift. In seinen „Retablo“ knüpft er an die Tradition des „Storytellings“ kleiner sizilianischer Votivbilder an und zeigt fragmental und scheinbar absichtslos Momentaufnahmen von Gedanken und Tönen, Begegnungen, Menschen und Orten.
„Retablo siciliano“ Sebastiano Tremontana. Foto: IW
Leise und tastend nähert sich Annegret Bürger mit ruhigen Pinselstrichen dem Phänomen der stillen Landschaft. Cornelia Heinzel-Lichtwarks zarte Federn scheinen auf ihrem Aquarellpapier an den Wänden zu schweben, während Nele von Mengershausens „Solandra Maxima“ die Betrachter auffordert, ihr beim Wachsen und Vergehen zuzusehen.
Von Junge Talente bis international Etablierte
Junge Talente neben den international renommierten Künstlern, die seit vielen Jahren eng mit dem Tannerhof verbunden sind – da dürfen auch Tutti und Klaus Gogolin nicht fehlen. Ihre Objektbilder und Collagen im kleinen Format ergänzen sich und korrespondieren miteinander wie im richtigen Leben. Sie sind Inspiration, Reibung und Harmonie zugleich. Und das ist längst nicht alles, was es zu entdecken gibt. Wenn die Besucher der Ausstellung durch die drei Etagen des Treppenhauses gehen, sollten sie sich Zeit nehmen. Im kleinen Format lohnt sich immer wieder der aufmerksame Blick.
Kreuzberg, das sind: Beate und Norbert Thaller, Dominikus Bücker und Johannes Mehringer. Foto: IW
Einen musikalischen Farbrausch steuerte bei der Vernissage in der Galerie im Treppenhaus 1967 die Miesbacher Band „Kreuzberg“ mit ihrem Mix aus Folk, Pop und Jazz bei. Der sommerliche Sound von Gesang, Klavier, Bass, Klarinette, Gitarre über Geige bis Melodeon ließ die Corona-bedingten Einschränkungen schnell vergessen und stimmte beschwingt auf die Kunst ein.
Wie geht es weiter?
Die Ausstellung positioniert klar, wohin der Verein Kultursprung – Kunst und Soziales am Tannerhof sich bewegt: Dialog der Generationen, Vielfalt der Disziplinen, Unterstützung von Künstlern und Zusammenhalt der Gemeinschaft, dem Gefühl der großen „Tannerhof-Familie“. Kunstschaffende sind eingeladen, ihre Projekte einzureichen, der Verein unterstützt Kunst und Soziales.