Bayrischzell ist derzeit Kunsthauptstadt
Blick in die Ausstellung: „Wir“ von Wieland Woytinnek , im Hintergrund mittig „Portrait Elena“ von Hermann Heiss. Foto: IW
Ausstellung in Bayrischzell
Die 66. Kunstausstellung Bayrischzell öffnete am Samstag ihre Pforten. Die Besucher konnten sich davon überzeugen: Sie ist hochwertiger denn je. Und sie ist das große Kunsthighlight des Landkreises im August.
„Was soll die Kunstausstellung im letzten Gebirgstal?“, fragte Bürgermeister Georg Kittenrainer in seiner Eröffnungsrede. Es war ihm deutlich anzumerken, wie er mit Stolz und Überzeugung hinter dem großen Kunsthighlight seiner Gemeinde, der kleinsten im Landkreis, steht. „Wir wollen eine kleine Kunstausstellung sein“, fuhr er fort, „aber wir freuen uns auch, dass so viele Künstler in Bayrischzell ausstellen wollen.“
70 Künstler stellen aus
Die Zahlen sind in der Tat beeindruckend: 101 Bewerber aus ganz Deutschland haben insgesamt 256 Arbeiten eingereicht. Schließlich sind nach der schwierigen Arbeit der Jury nunmehr 70 Künstler mit 127 Werken vertreten – aus den Bereichen der Malerei, Grafik, Fotografie, Installation und Bildhauerei. Die Kunstwerke im Schulhaus Bayrischzell in den vier Räumen und dem langen Flur, der sie verbindet, unterzubringen, ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung.
Durch Lisa Mayerhofers „Ruos“ hindurch geblickt. Foto: IW
Wenn dann wie heuer zur Eröffnung alle Werke derart hervorragend miteinander korrespondieren und sich gegenseitig aufwerten, statt die Schau zu stehlen, können Organisator Klaus Gogolin und die Jury sehr zufrieden sein. Die Besucher der 66. Kunstausstellung vergessen sofort, dass sie sich in einem Schulhaus befinden, wenn sich vor ihren Augen, Raum für Raum, die hoch professionelle zeitgenössische Ausstellung entfaltet. Jeder der Räume ist auf seine Weise höchst stimmig gestaltet und präsentiert die Kunst im Spannungsfeld der unterschiedlichen Sujets und Arbeitsweisen.
Reihe von Monotypien: „Zuflucht“ von Gabriele Lampadius. Foto: IW
Ein Raum der Farbigkeit
Links am Ende des Flures öffnet sich der farbenreichste Bereich der Ausstellung. Evelin Hermenaus gelbes Bergbild im lichterfüllten Nebel lässt gleich am Eingang das Auge ruhen, bevor es weiter wandert zu dem stark farbigen, schwungvollen „Vier Jahreszeiten“, die Hilge Dennewitz zu den Klängen Vivaldis gemalt hat. Heraus stechen auch die Monotypien auf Papier von Gabriele Lampadius, die die Künstlerin auf Leinwand aufgezogen hat. Feine, lebhafte Strukturen und stimmige Farbübergänge zeichnen ihre Serie schemenhafter Haussilhouetten aus, die „Zuflucht“ bieten. Stephan Mundis ausdrucksstarkes Acrylbild „Hunger“ zeugt vom ernsten Ringen des Ichs. Sommerhaft leicht und fröhlich komponiert sind die großflächigen Bilder von Petra Schunk.
Links eines von Klaus Gogolins Mixed Media Bildern, korrespondierend mit Anni Riecks skulpturellen Objektbildern aus Japanpapier. Foto: IW
Ganz anders der Raum, in dem mit großer Intensität und Schlichtheit die Nicht-Farben dominieren. Durch die Reduktion von Farbigkeit und Konzentration auf grafische und haptische Strukturen erreicht hier die Harmonisierung des Raumkonzeptes seine höchste Vollendung. Frontal fällt der Blick auf das reduzierte, blaue Bild „Schuppenkleid“ Barbara Nedbals. Das Blau findet seine Fortsetzung in den klaren grafischen Mixed Media Bildern Klaus Gogolins, in denen spannungsreich schwarz und schwarz weiß dominieren. In dieser Nachbarschaft entfalten auch die monochrom schwarzen Objektbilder aus grober Baumrinde und gefaltetem Stoff von Silvia Eger ihre Wirkung. Dreidimensional und fast zum Anfassen greifbar sind die Arbeiten aus Japanpapier von Anni Rieck mit poetischen Titeln wie „Bibliothek der vergessenen Träume“.
Es ist fünf vor zwölf
Mit japanischem Reispapier arbeitet Wolfgang Krämer ebenfalls. Seine Fotografien machen die Betrachter neugierig, man muss nähertreten, um herauszufinden, ob es sich um Fotografien oder Zeichnungen handelt. Am Ende des Flures, der die Arbeiten der Fotografen bündelt, erwartet die Besucher Tutti Gogolins Installation „Die Plastikfalle“, die darauf aufmerksam macht, dass es bereits fünf vor Zwölf ist – und die Menschheit handeln muss, um die Erde, Natur und Schöpfung zu bewahren. Der Titel der Skulptur S O S – „aus tiefer Not“ zitiert dabei den Anfang eines bekannten Kirchenliedes Martin Luthers.
Es menschelt ganz unterschiedlich
Ein weiterer Raum schließt sich an, in dem die drei Figuren von Wieland Woytinnek mit dem Titel „Wir“ auffallen, die geschnitten, geschweißt und gefräst sind. Deren Gesichter scheinen die Ausstellungsbesucher mit unverhohlener Neugier und leichtem Augenzwinkern zu betrachten. Ganz anders das eindringliche Gesicht, mit dem Cornelia Heinzel-Lichtwark die Betrachter aufrüttelt – „Tatsachenbericht“ ist ihr Acrylbild betitelt.
Tuschezeichnungen „Mitte“ von Barbara Nedbal und graviertes Lindenholz samt Holzschnitt, Nele von Mengershausen (v.l.). Foto: IW
Vielfalt zeitgenössischer Kunst und ein hohes Qualitätsniveau – die diesjährige Kunstausstellung Bayrischzell gehört zweifelsohne zu den besten in dieser langen Tradition als eine der ältesten Kunstausstellungen in der Region. Seit Jahren schon hat sie sich von der Laienausstellung ihrer Anfänge zu einer etablierten Kunstschau entwickelt, die über die Landkreisgrenzen hinaus Strahlkraft hat.
Landrat lobt: Bayrischzell ist „Kulturhauptstadt“
Der Austausch mit Kunstschaffenden aus ganz Deutschland sei wichtig, betonte Klaus Gogolin, der seit 14 Jahren die Ausstellung organisiert. Dass damit das kleine, letzte Gebirgstal am Landkreisrand im August jeweils zur „Kulturhauptstadt“ der Region wird, lobte auch der Schirmherr der Ausstellung, Landrat Wolfgang Rzehak.
Lesetipp: 65. Kunstausstellung Bayrischzell – „Qualität oder Kompromiss?“
Stellvertretend für die Jury erläuterte Dietmar Kroepel das Konzept: Damit die Ausstellung spannend wird, reiche es nicht aus, die besten Werke unter den Einreichungen aneinanderzureihen. Die „Harmonisierung der einzelnen Ausstellungsräume“ sei die größte Herausforderung, denn erst dann entstünde eine kraftvolle Wirkung der Bilder auch im Einzelnen. Somit lag die Schwierigkeit der Jury darin, neben den herausragenden Werken auch den Blick für „verbindende Ausstellungsstücke“ zu schärfen, die die wichtigen Übergänge schafften. Das ist hervorragend gelungen.