Wie sich die Kunstszene in Coronazeiten vernetzt
Sandro Thomas mit dem Gesamtwerk. Foto: TN
Kunstprojekt in Holzkirchen
Ende Juni startete das von Sandro Thomas alias ANTIK initiierte Kunstprojekt „Kunst mit Abstand“ auf dem bahnseitigen Gelände der Firma Isartaler Holzhaus hinter dem Atriumgebäude. Es beweist, dass Kunst verbindet.
Neun Künstler und drei Jugendliche vom Verein „Vorbild Jugendlicher – Leitbild Mensch e.V.“ gestalteten in den folgenden drei Wochen die Riesenleinwand an einer 33 Meter langen und zwei bis drei Meter hohen Betonmauer.
Die Idee entstand aus der Situation heraus, dass das Projekt „Offene Ateliertage“ von KulturVision e.V. im März, einen Tag vor der Eröffnungsveranstaltung, wegen Corona abgesagt werden musste. Das Ziel war, das sich die Künstler des Landkreises durch die Öffnung ihrer Ateliers, begleitet von einem Katalog mit den Profilen von 113 Künstlern, einem interessierten Publikum sichtbar machen konnten.
Lesetipp: Kunst mit Abstand
„Kunst mit Abstand“ war die kreative Antwort der Kunst in Coronazeiten.
Der Projektname ist bei den Arbeiten Programm und soll drei Aspekte ausdrücken:
1. Der Betrachter kommt erst durch einen gewissen Abstand zum Bild in den vollen Kunstgenuss.
2. Die Künstler arbeiteten im Sicherheitsabstand voneinander an ihren Werken.
3. Künstler und Betrachter können Abstand von Corona gewinnen, indem ihr Fokus weg vom Coronathemen und mehr auf Alltagsgeschehen und auf die Kunst gelenkt wird.
Das Eröffnungsbild von Sofia Horaz, Klaus-Peter Frank, Lizzie Hladik, Agnes Wieser (v.l.). Foto: TN
Das Bild „Art Matters“ wurde als erste Arbeit von Sofia Horaz realisiert. Es ist auch gleichzeitig das „Eröffnungsbild“, ihr Statement zum Kunstprojekt. Aus diesem Grund hat sie das Bild auch nicht signiert.
Die Akteure arbeiteten an ihren Werken zwischen zwei und ca. 40 Stunden. Mit am zeitaufwändigsten war das Bild von zwei ineinander verschlungenen Gesichtern der Glaskünstlerin Susanne Stubner.
Aus Objekt wurde Bild
Der Entwurf als Objekt wurde dabei über Raster und andere Tools „übersetzt“ in ein zweidimensionales Bild. Dabei war es wichtig die Proportionen zu erhalten. Eigentlich wollte die Künstlerin das Bild auch auf der Betonwand mit Glas realisieren. Wegen des finanziellen Aufwands von ca. 2.500 € und fehlender Sponsoren „übersetzte“ sie dann Ihre Idee, mit technisch-malerischer Unterstützung von Sandro Thomas, mit Farbe und Pinsel. Inzwischen wurde ein Sponsor gefunden, so dass ein Teil des Bildes bald um einige Glasarbeiten ergänzt wird.
Eyecatcher: Drei Köpfe von Lizzie Hladik, Agnes Wieser, Susanne Stubner. Foto: TN
Nicht nur Stubner gestaltete Köpfe als Motiv. Unabhängig voneinander nahmen auch die Künstlerinnen Agnes Wieser, Weyarn und Lizzie Hladik, Holzkirchen mit Köpfen als Motivkonzept am Projekt teil. Jeweils knallbunt aber mit unterschiedlicher Umsetzung.
Deshalb sind auf der Betonwand nun drei Köpfe in unterschiedlicher Ausgestaltung nebeneinander zu sehen und sind aus der Entfernung ein Eyecatcher für die gesamte künstlerisch gestaltete Wand. Laut Thomas und auch aufgrund seiner Instagram-Recherchen sind sie inzwischen die meistfotografierten Motive des Gesamtkunstwerkes.
Gegenseitige Unterstützung
Die Künstler konnten sich in der Gestaltungsphase austauschen, ihre Umsetzungsideen diskutieren und Kontakt zueinander aufbauen. Dabei unterstützen sie auch drei teilnehmende Jugendliche mit Rat und Tat. So erhielten sie Tipps bezüglich einsetzbarer Maltechniken, welche Materialien sich im Außenbereich verarbeiten lassen aber auch mit welchen Werkzeugen sich der Malgrund Beton bearbeiten und ein Bild gestalten lässt.
Mit von der Partie war auch Patrick alias Geos, mit 14 Jahren jüngster Teilnehmer beim Kunstprojekt. Aber auch der mit einem bereits ausgeprägten künstlerischen Ausdruck. Er bringt seine Gedanken und Gefühle über Graffiti in die Welt. Sein Bild hier, ein Gangster Spoungebob. Der frühere Holzkirchner lebt und kreiert aber nun in Bayreuth, das eine weitentwickelte Streetart- und Graffiti-Szene hat, die von der Stadt gefördert wird.
Patrick alias Geos, Gangster Spoungebob. Foto: TN
Die beiden anderen Jugendlichen haben gerade mit einer Lehre angefangen und werden deshalb ihren künstlerischen Beitrag erst im Laufe der nächsten Zeit beenden können.
Der Austausch der Künstler geht aber weit über das gemeinsame Engagement hier hinaus. Inzwischen gibt es einen von Eckhard Rocholl initiierten Künstlerstammtisch. Hier können sich Künstler aber auch Kunstinteressierte aus dem Landkreis Miesbach in Zukunft austauschen, die Künstler sich untereinander vernetzen und gemeinsame Projekte wie Ausstellungen ins Leben rufen. Ein erstes Treffen gab es bereits bei Klaus-Peter Frank in Dürnbach.
Griechenland und Bayern
Sein Beitrag bei „Kunst mit Abstand“ ist eine interessante Kombination von griechischer Mythologie/Kultur und bayerischer Motive. Der Griechenlandaffine Klaus-Peter Frank verbindet in diesem Bild den Kampf der Götter um Rhodos mit Bayern, dem bayerischen Löwen.
Hans-Peter Frank mit seiner Frankografie-Technik. Foto: TN
Die Umsetzung seiner Idee erfolgt über eine eigene Technik, der Frankografie, die er für sich entwickelt hat als er längere Zeit durch die Welt reiste, trotzdem malen wollte aber keinen Platz hatte Leinwände zu transportieren. Hier skizziert und malt der Künstler seitenverkehrt auf einer Kunststofffolie, die er dann in einem späteren Schritt auf Leinwand, Holzplatte oder in diesem Fall auf Beton aufbringt.
Auch Sandro Thomas inspirierte diese besondere Technik und er ging bei Frank in die „Lehre“. In seinem Bild experimentierte er mit Elementen von Streetart und Frankografie. Mit seinem Bild, bei dem ein kleiner Junge mit Brille, Fliege und Teddybär im Zentrum steht, möchte er ausdrücken, dass in der heutigen Zeit Kinder oft einem bestimmten Ideal entsprechen sollen, Eltern und Gesellschaft Kinder häufig früh in eine Rolle drängen, ohne auf die Bedürfnisse eine Kindes einzugehen. Der Teddy, das Kreuz und der „Mittelfinger“ als Hilferuf, da wieder herauszukommen. Eine generelle Entwicklung oder/und Erfahrung des Künstlers? Die Gedanken sind frei.
„Space“ von Katharina Eisenberg . Foto: TN
Man weiß nicht was kommt, was man sucht, was man findet, was uns begegnet. Diese Gefühle versucht Katharina Eisenberg mit ihrem Weltall-Bild zu beschreiben. Der Raum, in dem sich alles zusammenfindet.
Ursula Schwarzbauers Markenzeichen sind Motive rund um die Sonne, Feuer, Freude, Friede. Dies setze sie auch hier um. Die Künstlerin aus dem Leitzachtal kreierte im Rahmen des Projektes ein Energiebild. Das Besondere daran, sie malte mit einem Kehrbesen.
In Ihrem Atelier am Ortsrand von Holzkirchen lässt sich Cordula Rock vom Blick auf die Berge aber auch von Musik und Stille für Ihre Werke inspirieren. Sie bezieht Ihre Energie aus Musik, indem sie nicht Songs als Bild wiedergibt, sondern eher durch ihre Neuinterpretation. Dies sehen wir bei Rocks Beitrag „The Prayer“.
„The Prayer“ von Cordula Rock. Foto: TN
Für eine Spontanaktion entschied sich Philomena Wieser – philowie. Sie kommt, wie Ihre Schwester Agnes, aus einer künstlerisch-musischen Familie aus der Umgebung von Holzkirchen. Sie kam „einfach vorbei“ und entschied sich vor Ort ein Bild zu kreieren: Unser Planet Erde in Kopfform und Friedenstaube.
Philowie Wieser: Über die Welt nachdenken. Foto: TN
Welches Resümee zogen die Künstler aus dieser Aktion, auch unter Coronaeinfluss? Dazu meinte Sandro Thomas, dass es schon bemerkenswert war, wie sich die Künstler zusammengefunden und organisiert haben.
Das Künstlerensemble. Foto: Andrea Bahr
Über das Projekt „Kunst mit Abstand“ hinaus haben sie sich und auch bereits andere Künstler des Landkreises miteinander vernetzt. Sie unterstützen sich gegenseitig, indem sie gemeinsame Ausstellungen planen, an Initiativen arbeiten werden. Durch die Coronaeinschränkungen gibt es nun auch mehr Gelegenheiten für einige Künstler aus dem Rückzug herauszukommen. Ein großer Gewinn und ein gute Entwicklung.
In der Community kommen auch Fragen auf, wie: Wem kann ich vertrauen? Mit wem kann ich arbeiten?
Unterstützung aus der Bevölkerung
In der Projektphase kam auch unerwartete Unterstützung aus der Bevölkerung. Firmen stellten Farben zur Verfügung, Mitbürger kamen mit Lebensmitteln vorbei. Thomas berichtet auch von einer Arztpraxis aus dem Atrium, das Geld zum Einkaufen vorbeibrachte.
Die gesamte Wand. Foto: TN
Wir freuen uns auf eine Kunstszene im Landkreis Miesbach, die unsere Gesellschaft in Zukunft noch mehr inspiriert und immer sichtbarer und präsenter mit interessanten Aktionen und Projekten wird.