Kurt Albert, der Freidenker und Freikletterer
Kurt Albert in der Sackwand und mit dem Rotpunkt 2004. Foto: Martin Schepers
Lesetipp der Redaktion
Eine präzise Zeichnung mit weichen Zügen gelingt Tom Dauer mit der Biografie von Kurt Albert. Der Untertitel „Frei denken – frei klettern – frei sein“ beschreibt den vor zehn Jahren verunglückten Kletterer, Bergsteiger und Rotpunkterfinder umfassend. Aber auch der Nichtkletterer ist nach der Lektüre bereichert.
Ich hatte keine Ahnung was ein Rotpunkt ist. Und ich bin, abgesehen von ein paar ausgesetzten Stellen an den heimischen Bergen, auch noch nie richtig geklettert. In der Weyarner Kletterhalle war ich einmal für ein Interview. Bin ich also überhaupt befugt, über eine Sache zu schreiben, die ich nicht kenne? Vielleicht doch, denn der Schmidhamer Autor Tom Dauer hat mit der Biografie Kurt Alberts ein Lebensgefühl erfasst, er nimmt den Leser mit auf den außergewöhnlichen Lebensweg eines unangepassten Menschen. Natürlich nimmt das Klettern einen breiten Raum ein und der begeisterte Kletterer und Bergsteiger wird beim Lesen fasziniert sein von den Abenteuern, die Kurt Albert erlebt hat.
Der Rotpunkt
Das Buch ist aber kein Abenteuerbuch, sondern viel mehr. Zum einen war Kurt Albert, 1954 in Nürnberg geboren, der Pionier des Freikletterns im Frankenjura. Hier erfand er den Rotpunkt, den er dann international anwandte und damit Klettergeschichte schrieb. Was der Rotpunkt ist? Kletterte man früher technisch, verschrieb sich Kurt Albert dem Freiklettern. Er markierte mit einem roten Punkt die Touren, die er frei, ohne Belastung des Sicherungsseils und in einem Zug geklettert hatte. Damit ist der „Rotpunkt“ ein Kletterstil, der dem Kletterer insbesondere als Vergleich mit anderen Kletterern dient. Mit Kurt Albert wurde aber das Klettern auch zum Breitensport, seine Person war es, die viele junge Menschen zum Klettern brachte und die die Menschen anlockte. So lebte er viele Jahre in einer offenen Wohngemeinschaft. Das „Hotel Frankenjura“ bot jedem Platz, es war etwas chaotisch dort, aber die Kletterer fühlten sich wohl.
Kurt Albert am Piz Ciavazes 1975. Foto: Reiner Pickl
Um der Person Kurt Albert näherzukommen, muss man wissen, dass er Lehramt Mathematik und Physik für Realschule studierte. Er hatte einen scharfen naturwissenschaftlich geprägten Geist, den Tom Dauer bereits in seiner Einleitung würdigt. Der Autor hat sich auf den Weg gemacht und mit zahlreichen Freunden und Wegbegleitern aus aller Welt gesprochen. Daraus, so schreibt er, habe er ein Mosaik aus Einzelteilen zusammengefügt, aber der Versuchung widerstanden, ein „gefälliges Ganze“ zu formen.
Mosaik mit Rilke
Was das Buch so lesenswert macht, sind nicht nur die vielen Details über das Leben seines Protagonisten, sondern seine vertiefenden Betrachtungen. Es ist schon außergewöhnlich, dass ein Buch über einen Sportler mit Rilke beginnt und auch zwischendurch immer wieder Zitate von Geisteswissenschaftlern den Kapiteln vorangestellt werden. So wird der Leser eingestimmt auf die Reflexionen, die der Autor mit der Person Kurt Alberts verbindet. Tom Dauer hat für sein Mosaik journalistisch akribisch gearbeitet und für das Werk einen großen Rahmen hergestellt.
Kurt Albert am Roraima 2010. Foto: Klaus Fengler
Zwischen den Texten tauchen immer wieder Mosaiksteine auf, in denen der Autor Einzelbegebenheiten beschreibt. So die schöne Geschichte vom „Devils Crack“ im Frankenjura, bei der Kurt Albert mit Lederhose, Gamsbarthut und Haferlschuh in der Wand hängt, eine Hand im Fels, die andere hält den Maßkrug. Ein witziger Stunt, der zu einem der bekanntesten Kletterfotos wurde.
Aber Kurt Albert trieb es auch in die Welt, er besuchte ferne Länder, entdeckte neue Kletterouten und, so schreibt Tom Dauer, er wollte „den Dingen ihren Lauf lassen“. Seinen Rotpunkt, also den Stil des freien Kletterns übertrug er auf die berühmten Gipfel der Welt. Dabei begleiteten ihn mehrere treue Freunde. Der Leser lernt sie in dem mit zahlreichen Fotos illustrierten Buch alle per Text und Bild kennen.
Weg nach oben erweist sich als Weg nach innen
Dabei ist mir Bernd Arnold aus dem Elbsandstein am nächsten. Sein Satz, dass der Kletterer „dann die tiefste Befriedigung erfährt, wenn sich der Weg nach oben als ein Weg nach innen erweist“ hat mich sehr angesprochen. Kurt Albert schreibt später, dass er tief beeindruckt von der sächsischen Kletterkunst war. Mit Bernd Arnold ging er durch Sturm und Eis in Patagonien ebenso wie durch Sand und Vogelkacke in Mali. Tom Dauer versteht es, jede der Expeditionen rund um den Globus mit all ihren Extremsituationen lebendig darzustellen, sich auch mit Details wie der Verpflegung abzugeben, so dass der Leser immer voll im Geschehen ist.
Kurt Albert in Venezuela. Foto: Klaus Fengler
Er zeichnet mit klaren Strichen das Bild eines Mannes, der wohl einzigartig als Kletterer ist, aber niemals anderen vorschreibt, wie zu klettern sei. Mit 41 entscheidet sich Kurt Albert, die weißen Flecken der Kletterlandkarten zu erkunden. Dabei kommt es ihm auf die Ästhetik der Routen an und er bezeichnet sie auch so, „Eternal Flame“ beispielsweise. Messbare Erfolge, so schreibt Tom Dauer, seien für den Kletterer nicht mehr wichtig, sondern das Unterwegssein.
Auf der Heldenreise
Bezeichnend für ihn ist auch, dass er Klavier spielt und klassische Musik mag. Geld indes spielt kaum eine Rolle. Frei sein ist das Lebensmotto, er geht auch keine festen Bindungen ein. Tom Dauer vergleicht sein Leben mit der berühmten Heldenreise. Er zog hinaus, erlebte Abenteuer, überschritt Grenzen, bestand Prüfungen. Dann habe sich die Zeit des Erwachens angekündigt, aber dem Helden war es nicht vergönnt heimzukommen. Er starb mit 56 Jahren beim Klettern im Frankenjura.
Autor und Kletterer Tom Dauer. Foto: Martin Prechtl
Tom Dauer fragt sich am Ende des Buches, ob er Kurt Albert gerecht werden konnte. Er hat ihn nicht verklärt, sondern ein außergewöhnliches Leben aus Mosaiksteinen zusammengesetzt. Es ist für den Kletterer wie für den Nichtkletterer ein Gewinn, einen Menschen kennenzulernen, der Leidenschaft hatte und für den das Leben ein Spiel war.