Geschichten aus Fäden: „Ligne de Fil – Fadenlinien“
Cyril Mariaux und Susanne Winter (v.l.) vor ihren Arbeiten. Foto: Ines Wagner
Ausstellung in Bayrischzell
Der Faden zieht sich durch die Ausstellung, verbindet die Werke zweier unterschiedlicher Künstler: Cyril Mariaux und Susanne Winter. Spielerisch leichte Fadengeschichten hier, flächenfüllende Fadenlandschaften dort. Eine spannende Annäherung?
Betritt man die „Galerie im Treppenhaus 1967“ am Tannerhof, begegnet man sogleich einem fragilen Radfahrer, gebogen aus dünnem Draht, bespannt mit hauchfeinem Papier, in fröhlichen Farben bemalt. Man denkt an die Tour de France, aber als Persiflage, auch an den Sommerurlaub an der Côte d’Azur. Man denkt an französischen Zeichentrickfilm, an leichte Spielerei, vielleicht an „Les Triplettes de Belleville“. Und man liegt gar nicht so schief dabei. Der Radfahrer aus Draht ist ein Franzose. Und der Mann, der ihn geschaffen hat, natürlich auch: der in München lebende Künstler Cyril Mariaux.
Cyril Mariaux: Radfahrer aus Draht. Foto: Ines Wagner
Gleich darauf gelangt man zu einer Reihe von Bildern, auf denen sich Fäden dicht an dicht drängen, verkreuzen und verqueren, überlagern und überlappen. Hin und her gerattert ist die Nähmaschine unzählige Male unter den Händen Susanne Winters. Vor und zurück, bis sich das Papier, auf dem die Maschine dahinfuhr, hier und da gewölbt hat. Entstanden sind Aufwerfungen, dreidimensionale Landschaften, rein durch die Spannkraft der Fäden, die das Papier durchkreuzen.
Die Grenze der Dreidimensionalität ausloten
Freigelassene Flächen sind Teil der Liniennetze Susanne Winters, sie beeinflussen die Art der Wölbung des Papiers. Mal im Inneren ausgespart, mal am Rand ohne Nähte – Verdichtungen und Auslassungen beeinflussen die Art der Dreidimensionalität. Jedes Mal aufs Neue ist es ein Grenzgang: Wie viele Nähte verträgt die Komposition? Wie lange erträgt das Papier die Tortur der Perforation, ohne zu brechen? Was machen die Fäden mit dem Bild? Stark plastisch und dreidimensional wirken die Bilder mit weißen Fäden auf cremefarbenen Papier. Während bei den farbigen Fadenkompositionen die Linien und die Farbe im Vordergrund stehen, die Verkreuzungen und Verquerungen. Hier hat die Textilkünstlerin mit drei verschiedenen Unterfäden gearbeitet, damit der visuelle Effekt umso plastischer ist.
Es ist ein Experiment mit Papier und Faden, jedes Mal aufs Neue, bis die Ästhetik so stimmt, dass sie das Bild so stehen lassen kann. Zwei Treppen höher schweben wie fliegende Teppiche die Stoffballen-Fotografien Susanne Winters an der Wand – transparente, gefaltete Rechtecke aus bedruckter Gaze, Kostbarkeiten der Märkte Indiens. Es sind sinnliche Farbkaskaden, die von einer Leidenschaft für Farben und Stoffe zeugen.
Die Fadenzeichnungen von Susanne Winter. Foto: Ines Wagner
Leidenschaft steckt auch in den Arbeiten von Cyril Mariaux, und Leichtigkeit und ein wunderbarer Humor ebenso. Es sind nicht nur seine behutsamen, filigranen Fadenzeichnungen, die eine stoffliche Verbindung zu den Fadenwerken Susanne Winters schaffen. Auch sonst ist eine große Leidenschaft für Textiles sichtbar – seine Figuren tragen Kleider aus Stoffen mit fantasievoll gearbeiteten Mustern. Hier französische Leichtigkeit, dort japanische Kimonomotive, Karos, Pünktchen, Streifen, die ganze Palette aus dem Textilmusterschrank. Mal mit Pinsel und Farbe, mal als Papiercollage, selbst japanisches Tesa mit seiner textilen Musterung kommt zum Einsatz.
Cyril Mariaux, Fragile Linienzeichnungen, rechts: Monotypie mit kariertem Tesafilm, links: Draht. Foto: Ines Wagner
Spielerisch und vielfältig setzt sich sein Werk zusammen, so vielfältig sind auch die Techniken, in denen er arbeitet. Monotypie und Collagen, Zeichnungen, Fadenlegungen, Drahtgestalten. Die Arbeiten strahlen den unwiderstehlichen Charme französisch-leichtem Lebensgefühls aus – zusammengesetzt aus Fahrkarten, Landkarten, alten Rechnungen und Quittungen vergangener Zeiten. Diese werden belebt und bevölkert von allerlei entspannten Menschen, Touristen, Dampfern, Segelbooten, die den Betrachten fortwährend Geschichten erzählen. Es sind Geschichten vom Unterwegssein, Neugier und unbändiger Liebe zum Detail, voran getrieben von Sammelleidenschaft und Experimentierfreude.
Cyril Mariaux: Geduldsarbeit eines Ungeduldigen
Ruhig und träumerisch sind Mariaux‘ auf weißem Grund mit farbigen Fäden gelegten Frauengestalten. Es sind fragile Zeichnungen, die ohne Pinsel und Bleistift auskommen, aber viel Geduld erfordern. „Meine Arbeit ist die Geduldsarbeit eines Ungeduldigen“, sagt er selbst von sich. Und Nele von Mengershausen bemerkte bei Ihrer Laudatio zur Vernissage treffend: „Diese Geduld eines Ungeduldigen hat etwas liebevolles“.
In Fadenlinien gelegte Frauenportraits von Cyril Mariaux. Foto: Ines Wagner
Fadenlinien, Fadenspiel, Fadenlandschaften und –geschichten. Die Ausstellung „Ligne de Fil“ verknüpft auf einfühlsame Weise die Werke beider unterschiedlicher Künstler, die eine der Leidenschaft fürs Textile, für den Faden als gestalterisches Mittel, verbindet. Kuratorin und Kulturbeauftragte des Tannerhofes Philomena Breitenhuber kann zufrieden sein, die Ausstellung hat bereits bei der Vernissage die Gäste verzaubert.