Literaturcafé

Das literarische Café erobert Weyarn

Peter Becher, Verena Nolte, Gesina Stärz im neuen Literaturcafé (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn

Literaturcafé in Weyarn

In einer Zeit, die nach neuen Projekten und Formaten ruft, feierte das Literaturcafé Melange im Landkreis Premiere. Die Autorinnen Gesina Stärz und Verena Nolte waren die ersten Gäste von Peter Becher im Klostercafé Weyarn und zogen mit ihren Erzählungen und Buchausschnitten das Publikum in ihren Bann.

Kaffeehäuser gibt es überall, doch nur in Wien wurden sie zum literarischen Mythos. Tageszeitungen, unzählige Kaffeesorten, mit einem Glas Wasser serviert, klingende Namen, intellektuelle Gespräche und nicht zuletzt Kellner mit dem unverwechselbaren Wiener Schmäh. Ob Stefan Zweig sich wohl gedacht hat, dass das literarische Café eines Tages nicht mehr an die besagte Räumlichkeit gebunden sein würde?

„Heute gibt es literarische Cafés in Almhütten, auf Ozeandampfern, in Speisewagen und virtuellen literarischen Cafés“, erzählt Peter Becher, Moderator des Abends. Höchst an der Zeit war es, im Klostercafé Weyarn eines zu eröffnen. Hinter diesem neuen Format, das ganz nach der Wiener Melange eine gute Mischung als Geheimrezept birgt, steckt Monika Ziegler, erste Vorsitzende von Kulturvison e.V., die von der Idee, der Literatur eine Bühne geben zu können, begeistert ist. Finanziell unterstützt wird das Projekt Literaturcafé im Rahmen des Förderprogramms „Neustart Kultur“ durch Bundesmittel, für die Gestaltung konnte Monika Ziegler den Literaturhistoriker und Schriftsteller Peter Becher gewinnen.

Literaturcafé hat Premiere

Die Melange aus Autoren von fern und nah ist bei der Premiere des neuen Literaturcafés durchaus gelungen. Mit Gesina Stärz, die seit 1990 im Landkreis lebt, eine beinah einheimische Schriftstellerin und Verena Nolte, die in München lebt, saßen zwei Frauen im Podium, deren Schreibstil so unterschiedlich ist wie die Lebenswege der Autorinnen. Doch je länger der Abend dauerte, umso mehr arbeitete der engagierte und feinfühlige Moderator Peter Becher die Gemeinsamkeiten der beiden Frauen heraus. Nicht zuletzt auch die Tatsache, dass beide Bücher der Autorinnen im Coronajahr 2020 erschienen sind und auf jegliche Präsentationen vor Publikum verzichten mussten.

Der rasante Weg vom Subjekt zum Objekt

Im Mittelpunkt des Gesprächs mit Gesina Stärz stand ihr letztes Buch „vielleicht leicht“, in dem eine voll im Leben stehende Anwältin, Ehefrau und Mutter durch einen Autounfall aus der Fülle ins Nichts katapultiert wird und sich im Pflegeheim, abhängig von der Zuwendung anderer, wiederfindet. Der Wechsel vom Leben gestaltenden Subjekt zum ausgelieferten Objekt wird durch eine Erzählform unterstrichen, in der verschiedene an der Geschichte beteiligte Menschen ihre Gedanken in „Ich-Form“ mit dem Leser teilen. So drehen sich die Gedanken der Heimleiterin viel um die Freude, die sie täglich in das Pflegeheim bringt, die sie aber auch den Heiminsassen abverlangt. Ganz so, als hätten sie die Pflicht, etwas zurückzugeben.

Literaturcafé
Die Bücher: „Der Milchkrug“ von Verena Nolte und „vielleicht leicht“ von Gesina Stärz. Foto: Karin Sommer

Die Sprache der Protagonistin Susan wird sinnlich, körperlich, wenn sie an den Tag vor dem Unfall denkt und verengt sich im Stakkato, wenn sich ihre Gedanken in der neuen Welt der Pflegestation wiederfinden. Erst am Ende des Buches findet sie ihre Selbstbestimmtheit wieder, jenseits der guten Wünsche nahestehender Personen, die am Ende außenstehend sind, und entscheidet sich für das Ableben durch die Verweigerung von Nahrung.

Paula und das unwegsame Leben

Auch im Buch von Verena Nolte ist die Protagonistin weiblich und selbstbestimmt. Paula, heute 88 Jahre alt, wird 1934 in ein Südtirol geboren, in dem die deutsche Sprache und Kultur seit Kurzem verboten ist. 1939 verliert der Familienvater seine Arbeit und die Familie wandert nach Baden bei Wien aus. Der Wunsch nach neuer Heimat und das Bedürfnis, dazuzugehören werden dort vom Krieg und seinen Folgen zunichte gemacht. In einer langen, gefährlichen Heimreise, auf der sich Paula streckenweise allein mit den beiden jüngeren Brüdern durchschlägt, zeigt sich die Widerstandsfähigkeit des Mädchens, die sie zeitlebens begleiten wird. Durch die Auswanderung hat die Familie jedoch die Rechte auf ihr angestammtes Herkunftsland verloren und ist in der alten Heimat nicht willkommen.

Ein persönliches und hoch politisches Buch

„Ich bin eine „Ich-Erzählerin,“ sagt die Autorin Verena Nolte von sich und erklärt, dass das Buch nicht als klassische Biografie bezeichnet werden kann, weil sie als Autorin bewusst keine neutrale Stellung einnimmt. Vielmehr wurde sie in die Lebensgeschichte von Paula „hineingezogen“ und erzählt, was durch die vielen Gespräche mit Paula Morandell ans Licht gekommen ist. Mit dem Anspruch, an die Wahrheit so nahe wie möglich heranzukommen. Obwohl das Buch eine sehr persönliche Lebensgeschichte beschreibt, rückt es die politische und gesellschaftliche Realität der damaligen Zeit schonungslos in die Aufmerksamkeit des Lesers.

Literaturcafé
Die drei Protagonisten im Klostercafé Weyarn. Foto: Petra Kurbjuhn

Doch zurück ins Jahr 2022 ins Klostercafé Weyarn. Neben den literarisch hochwertigen Auszügen aus den vorgestellten Büchern waren es auch die Gespräche, die am Podium geführt wurden, die das Flair der Premiere des Literaturcafés ausmachten. So erfuhren die Zuhörer, wie die Autorinnen an das Schreiben herangehen, was sie vom disziplinierten täglichen Schreiben halten und welche Werte sie nicht nur im Schreiben ausdrücken, sondern auch in vielfältigen Handlungen ihres Lebens. Das alles natürlich bei einer Melange oder gegen Ende der Veranstaltung auch bei einem Glas Wein. Wer sich das entgehen ließ, kann von Glück reden, dass Peter Becher und Monika Ziegler schon an den nächsten Ausgaben des literarischen Cafés arbeiten.


Das Weyarner Klostercafé wird am 24. November wieder zum Literaturcafé. Foto: Petra Kurbjuhn

Das nächste Literaturcafé von KulturVision e.V. unter der Leitung von Peter Becher findet am 24. November um 18.30 Uhr im Klostercafé Weyarn statt. Es lesen Gerd Holzheimer und Martin Calsow.

Zum Weiterlesen: Prag ist nicht nur Franz Kafka

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf