Reise in das Zwielichtland
Lotte Ingrisch in Schloss Weitra zu den Sommergesprächen der Waldviertler Akademie. Foto: MZ
Nachruf auf die Schriftstellerin Lotte Ingrisch
Im Alter von 92 Jahren ist jetzt die österreichische Schriftstellerin Lotte Ingrisch gestorben, zu der KulturVision enge Kontakte pflegte. In der 10. Ausgabe der KulturBegegnungen veröffentlichten wir ein Porträt der außergewöhnlichen Frau.
Damals durften wir sie in ihrer Wohnung in Weitra besuchen. Später trafen wir uns immer wieder im Wald4tler Hoftheater, bei der Waldviertler Akademie oder bei unserem Kulturpartner, der Kulturbrücke Fratres. Eine letzte Begegnung gab es vor vier Jahren, als wir sie in der Hofburg in Wien, wo sie ihre letzten Lebensjahre verbrachte, trafen. Eine Einladung in den Landkreis Miesbach zu einer Lesung wollte sie gern annehmen, musste dann aber aus gesundheitlichen Gründen passen.
Lotte Ingrisch in ihrem Garten in Weitra 2017. Foto: MZ
In Erinnerung an diese bemerkenswerte Frau, die sich von allen Anfeindungen nicht beeindrucken ließ und ihren Weg unbeirrt ging, veröffentlichen wir hier unseren Beitrag aus der Printzeitung.
Das Ehrenkreuz 1. Klasse für Kunst und Wissenschaft erhielt die österreichische Schriftstellerin Lotte Ingrisch für ihre Jenseitsforschung. Sie haben richtig gelesen, für Jenseitsforschung! Für Jenseitskunde im Schulunterricht setzt sich die in Wien und im Waldviertel lebende Autorin ebenfalls ein. Mit ihren zahlreichen Büchern zum Thema und ihrem unermüdlichen Einsatz, die geistige Welt in unser materielles und vom Positivismus beherrschtes Leben einzulassen, wurde sie in Österreich berühmt und gleichzeitig verfemt.
Das macht ihr wenig aus. „Viele Menschen wissen meine Erfahrungen zu schätzen“, sagt sie, „denn die Begegnungen mit Toten und Vorahnungen, das ist sehr alt.“ Sie erzählt, wie sie als Kind in Böhmen, wohl auf einer starken geomantischen Störzone für ihre besondere Gabe geöffnet wurde. „Normalerweise filtert das Hirn diese Dinge aus, aber bei mir kam ein Loch in den Filter.“
So konnte sie in den Jahren mit ihrem Ehemann, dem berühmten Komponisten Gottfried von Einem in Rindlberg, einem Dörflein im Waldviertel, ganz bemerkenswerte Erfahrungen machen, denn auch dort befindet sich eine starke geologische Bruchlinie. Verstärkt werde der Effekt noch durch den Granitboden, dem das radioaktive Gas Radon entströmt, das in Trance versetzen könne. Dokumentarisch sind diese nächtlichen Erfahrungen in ihrem Buch „Eine Reise in das Zwielichtland“ niedergelegt.
Mit „Physik des Jenseits“ wagte die Autorin eine Verknüpfung des Jenseits mit den Ergebnissen der Quantenphysik. Keinen Fehler, so sagt sie, habe er in ihren Betrachtungen finden können, bescheinigte ihr ein bekannter theoretischer Physiker, der aber gleichzeitig erklärte, dass man als Physiker an der Universität geächtet werde, wenn man sich vom positivistischen Standort entferne und andere, geistige Sichten zulasse.
„Aber das ist Aufklärung, wenn man darüber spricht“, sagt Lotte Ingrisch, „die Menschen fürchten sich vor dem Tod und wenn sie wissen, dass wir alle unendliche Wesen sind, dann werden sie nicht mehr so gierig sein.“ Allerdings, so hat Lotte Ingrisch in zahlreichen Gesprächen mit Toten erfahren, als die historischen Personen mit all den Konditionierungen, die wir heute sind, werden wir nicht hinübergehen. „Hör auf Lotte Ingrisch zu sein und wir sind zusammen“, hat ihr ihr verstorbener Mann gesagt.
Mit ihm konnte sie schon zu Lebzeiten ihre Erfahrungen austauschen, als eine Art Kontrolle sieht das die Autorin heute. Der heute im Zeittrend liegenden Bewusstseinsverengung hin zu einem rein materialistischen Weltbild will Lotte Ingrisch ihre Aufklärungsarbeit entgegensetzen.
Lotte Ingrisch bei einer Lesung in der Kulturbrücke Fratres. Foto: MZ
So hält sie es für sehr wichtig, dass die Schule reformiert wird und die Seele in den Unterricht Einzug halten darf. Ihr alternatives Unterrichtskonzept hat sie im Buch „Die Schmetterlingsschule“ dargelegt. Es sei nicht von ihr, betont Lotte Ingrisch im Gespräch, sie habe es einfach nur weitergeleitet. Mit ihrer Technik, beim Schreiben die linke, logische Hirnhälfte stillzulegen und die rechte, intuitive zuzulassen, sei sie in der Lage jenseitiges, universelles Wissen aufzuschreiben. Wie es denn dort so sei, frage ich. Sie lacht. „Es scheint jede Menge Humor zu geben und Selbstrelativierung.“
Ihr Einsatz für eine ars moriendi schließt auch Sterbehilfe mit ein. „Der Leib ist das Gefährt, mit dem wir durch die materielle Welt fahren, und wenn er kaputt ist, steige ich aus“, bekräftigt die 78-Jährige, die sich aber auch vehement für einen anderen Umgang mit Tieren stark macht. „Wir sind eine Weltfamilie und führen uns auf wie das Letzte“, schüttelt sie den Kopf und bittet mich, vorsichtig im Garten wegen der kleinen Kätzchen zu gehen.