Enfant Terrible und Bayerndichter, zum 150. Geburtstag Ludwig Thomas
Im Podium: Nicole Durot, Gertrud M. Rösch, Bernhard Gajek (v.l.). Foto: Katja Klee
Kolloquium in Tegernsee
Wie geht man mit einem Jubilar um, der lange Zeit als „Bayerndichter“ verehrt und dann jäh als „Enfant Terrible“ verdammt wurde? Ein wissenschaftliches Kolloquium in Tegernsee zum 150. Geburtstag von Ludwig Thoma versuchte Leben und Werk des Dichters einzuordnen.
Rund 80 Personen, darunter Schüler des Ludwig Thoma-Gymnasiums in Prien, zahlreiche Experten und Interessierte, waren am vergangenen Samstag bei herrlichem Winterwetter zu dem von Franz-Josef Rigo organisierten Kolloquium in den Tegernseer Ludwig-Thoma-Saal gekommen. Sie alle trieb die Frage um, warum sich der außerordentlich erfolgreiche Dichter Ludwig Thoma zum hasserfüllten Antisemiten wandelte und in seinem letzten Lebensjahr rund 170 rechtsradikale Kolumnen für den Miesbacher Anzeiger schrieb.
Die Auseinandersetzung damit sei für Tegernsee wichtig, so Bürgermeister Johannes Hagn, daher habe er die Schirmherrschaft der Veranstaltung gerne übernommen.
Ludwig Thoma. Foto: Katja Klee
Das zu Beginn gezeigte TV-Portrait „Ludwig Thoma – Jagd und Wahn“ (BR 2004) lieferte das notwendige Basiswissen über Werk und Persönlichkeit des seit 1907 auf der Tegernseer Tuften lebenden Schriftstellers. Das hochkarätig besetzte Podium baute darauf auf.
Die Heidelberger Germanistik-Professorin Gertrud M. Rösch, die sich 1989 mit einer Studie über Ludwig Thoma promoviert hat, stellte die Frage „Ist Thoma ein bayerischer Klassiker?“ ins Zentrum ihres Vortrags. Für seine Zeitgenossen zweifellos: Der Literaturnobelpreisträger Paul Heyse oder später auch Oskar Maria Graf lobten Thomas vielseitige literarische Talente als Dramatiker, Lyriker, Romancier, Redakteur und Satiriker.
Auch der monetäre Erfolg hatte sich bei Thoma rasch eingestellt. Seine Werke erreichten hohe Auflagen und wurden häufig gespielt, was ihm den gesellschaftlichen Aufstieg und eine luxuriöse Lebensführung ermöglichte. Über die Zeit jedoch ließ das Interesse an seinem Werk nach, dafür rückte der Mensch Thoma stärker ins Interesse. Thoma, der berserkerhafte Arbeiter, der glücklose Liebhaber, der von Depressionen und Krankheiten Geplagte hatte seine persönlichen Konflikte stets im Schreiben verarbeitet und war dabei nicht zimperlich mit seinen Gegnern und jenen, auf die er seine Feindbilder projizierte, umgegangen.
Doch auch wenn Thoma ein „Autor mit Irritationspotenzial“ sei, so Rösch, plädierte sie dafür, die literarisch wertvollen, dramatisch wuchtigen und witzigen Werke Thomas als Klassiker ihrer Genres zu lesen.
Katharina Osterauer und Franz-Josef Rigo. Foto: Katja Klee
Auch Nicole Durot aus Versailles, die Thomas Bezug zu München untersucht hat, wo er immerhin ein Drittel seiner Lebenszeit verbrachte, zeigte anhand zahlreicher Beispiele, wie Thoma persönliche Erfahrungen während seiner Münchner Zeit literarisch verarbeitete. Authentisch blieb Thoma dabei nicht nur bei Themen, die er süßlich-kitschig aufgriff wie etwa im Zweizeiler „A Bierl und mei Ruah – da brauch I nix dazua“, sondern auch dann, wenn er gegen den modernen Tanz, die verachteten „Malweiber“ oder die Moderne Kunst wetterte, die ihm ein Dorn im Auge waren.
Wenig bekannt war bis vor kurzem das Engagement Ludwig Thomas bei der Zeitschrift „März“ in den Jahren 1907 bis 1917, über das Katharina Osterauer referierte. Die Zeitschrift verstand sich als Stimme des Aufbruchs in eine neue Zeit, jede Form der Demokratisierung sollte unterstützt werden, ebenso der deutsch-französische Austausch wie überhaupt die internationale Zusammenarbeit. Thoma gehörte nicht nur zum Kreis der Mitbegründer der Halbmonatsschrift um den Verleger Albert Langen, sondern er war auch als leitender politischer Redakteur mit einem erklecklichen Anteil am Gewinn vorgesehen.
Doch im Projekt hakte es immer wieder. Thoma kam seinen Herausgeberpflichten und der vereinbarten Beitragsarbeit nicht nach. Er räumte selbst ein, dass ihm das journalistische Schreiben weniger gut von der Hand gehe, weil ihn weder Grundforschung noch umfassende Recherchen, sondern das Temperament bei seinen politischen Artikeln leiteten. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Uneinigkeit über die programmatische Ausrichtung des Blattes größer. Schließlich stieg Thoma, der mit seiner patriotischen, antimodernen Gesinnung nicht hinterm Berg hielt, 1917 aus. 1919 wurde die Zeitung, deren Herausgeberschaft nun maßgeblich in den Händen von Theodor Heus lag, eingestellt.
Der Nachmittag war schon weit fortgeschritten, als Franz-Josef Rigo, der Organisator des Symposiums, 7 Thesen zu den mittlerweile weithin bekannten, berüchtigten Hetzartikeln Ludwig Thomas im Miesbacher Anzeiger vorbrachte. 1989 war die einschlägige, kommentierte Edition von Wilhelm Volkert publiziert worden, die das Bild von Thoma als „Bayerndichter“ und „Bauerndichter“ schlagartig zerstörte und eine verstörte und orientierungslose Thoma-Gemeinde zurückließ. Rigo ließ zwar gelten, dass Thoma im Ersten Weltkrieg publizistisch heimatlos geworden war und persönliche Umstände wie Einsamkeit, Resignation u. a. seine Psyche stark angegriffen haben könnten. Doch für den unbändigen Hass, den Thoma in einem so auflagenstarken und viel rezipierten Blatt wie dem Miesbacher Anzeiger bewusst gesät habe, gebe es keine Entschuldigung, im Gegenteil: „Der Stil ist die Physiognomie des Geistes“. Mit diesem Zitat von Arthur Schopenhauer fällte Rigo ein klares, entschlossenes Urteil über das „Enfant Terrible“ Ludwig Thoma.
Wilhelm Volkert und Franz-Josef Rigo. Foto: Katja Klee
Das Schlusswort war Bernhard Gajek, Emeritus der Universität Regensburg und sicherlich einer der besten Kenner von Ludwig Thomas Leben und Werk, gewidmet. In seinen Ausführungen über eine ganze Reihe von engen, beruflichen wie privaten Verbindungen Thomas zu Juden und Jüdinnen –Thoma setzte seine jüdische Geliebte Maidi von Liebermann im Testament als Alleinerbin ein – unterstrich Gajek den unberechenbaren und widersprüchlichen Charakter Ludwig Thomas. Diese – fesselnde – Disposition Ludwig Thomas ist es, die die Zuhörerschaft im verdunkelten Ludwig-Thoma-Saal auch nach sieben Stunden noch aufmerksam folgen ließ, immer in der Hoffnung, das Phänomen Ludwig Thoma am Ende besser begreifen zu können.