Am Ort des Reformationsgeschehens
Marktplatz von Wittenberg. Foto: Isabella Krobisch
Geistige Impulse aus der Lutherstadt Wittenberg
Bereits im Juli 2015 drängte es uns an den Ort des Geschehens. Dort wo Martin Luther seine 95 Thesen anschlug und die Reformation ihren Anfang nahm. Wittenberg als ein weiterer Baustein unserer Exkursionen in den Osten Deutschlands, ein Beitrag zum Abschluss des Reformationsjahres.
Was davon haften blieb als unser damaliges Zeitungsteam mit Regina Biber, Rosi Griemert, Petra Kurbjuhn, Monika Ziegler und mir den Boden der Reformationsgeschichte betrat: Dass dieser Luther, den unsereiner nur aus Schulbüchern kannte, wirklich gelebt und gewirkt hat und in verschiedensten Ausprägungen in Schaufenstern, Auslagen, Museen und Medien noch heute präsent ist.
Gegen den Missbrauch des Ablasshandels
Es soll am 31. Oktober 1517 gegen Mittag gewesen sein, dass der Theologieprofessor Martin Luther vom Schwarzen Kloster hinüber zur Schlosskirche ging. In der Hand hielt er ein Pergament, auf das er handschriftlich und in Latein 95 Thesen gegen den Missbrauch des kirchlichen Ablasshandels geschrieben hatte. Seine Streitschrift schlug Luther an das Nordportal der Schlosskirche – so will es die Überlieferung.
Luthers 95 Thesen. Foto: Isabella Krobisch
Eigentlich war das Gotteshaus noch wegen umfangreicher Renovierungsarbeiten geschlossen, aber uns war das große Glück beschieden, einem nachmittäglichen Gospelkonzert beiwohnen zu dürfen.
Lutherkanzel, Mönchskutte und zugewandtes Personal
Blick ins Luthershaus. Foto: Isabella Krobisch
Mit dem Lutherhaus lernten wir das größte reformationsgeschichtliche Museum kennen. Über 35 Jahre war es Martin Luthers Wirkungsstätte. Hier lebte der Reformator zuerst als Mönch und später als Ehemann und Vater, hier verfasste er seine Schriften und unterrichtete Studenten. Die umfangreiche, über mehrere Stockwerke verteilte Ausstellung, erzählt vom Leben und Werk Luthers, aber auch von seinem familiären Alltag und der reichen Wirkungsgeschichte. Höhepunkte sind die Kanzel Luthers aus der Stadtkirche, die Zehn-Gebote-Tafel von Lucas Cranach und eine Mönchskutte Luthers. Besonders haften blieb das überaus freundliche Personal im Lutherhaus, das – stolz auf die reichen Bestände – die Zugereisten mit allen erdenklichen Informationen bedachte.
Büste Martin Luthers im Lutherhaus. Foto: Isabella Krobisch
Auf dem Wittenberger Marktplatz begegneten wir den mächtigen Bronzedenkmälern der beiden bedeutendsten Bürger der Stadt. Das Lutherdenkmal zeigt den Reformator im Talar mit einer aufgeschlagenen Bibel in der Hand. Das Melanchthondenkmal gegenüber zeigt den Gelehrten mit der Rolle des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses in der Hand.
Das Ideal einer verantwortungsvollen, pflichtbewussten Lebensführung
Die Schriftstellerin, Publizistin und Moderatorin Christine Eichel spürt in ihrem Buch „Deutschland, Lutherland“ dem reformatorischen Denken und Handeln in der deutschen Gegenwart nach und kommt zu der Überzeugung, dass Martin Luther das Christsein neu definierte. Ohne kirchlich-institutionellen Segen könne jeder der Gnade Gottes teilhaftig werden. „Das war ein Frontalangriff auf die Papstkirche. Der Reformator sprach ihr sowohl die Deutungsmacht als auch das Erlösungsmonopol ab. Sein Menschenbild schloss Freiheit und Mündigkeit ein, religiöse Autonomie war für ihn jedoch keineswegs gleichbedeutend mit moralischer Indifferenz. Stattdessen erklärte Luther das tägliche Leben zum Gottesdienst. Dezidiert legte er fest, wie wir’s denn halten sollen mit Arbeit, Geld und Kunst, mit Familie, Staat und Bildung. So formte sich ein protestantisches Selbstverständnis, dessen Ideal die verantwortungsvolle, pflichtbewusste Lebensführung war.“
Ökumenische Verbundenheit und spirituelle Erneuerung
Melanie Striebeck und Erwin Sergel. Foto: Monika Ziegler
In diesem Sinne riefen zu Hause im Landkreis Miesbach die Pfarrer Melanie Striebeck und Erwin Sergel bereits im Herbst 2015 dazu auf, das Reformationsjubiläum in ökumenischer Verbundenheit mit den katholischen Pfarreien zu feiern. Daraus entstand ein Programmheft für die Gemeinden Miesbach, Hausham und Schliersee. Die Vielfalt dieser mehr als 50 Angebote dürfte kaum zu überbieten sein. Wer aktiv an Tischreden, Bach-Kantaten, Lange Nacht der Kirchen, Vorträgen, Ausstellungen und Exkursionen teilnahm, gerät ins Schwärmen. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zollte in seiner Predigt am 10. Dezember in der Miesbacher Apostelkirche deshalb den hiesigen Protestanten allen Respekt für ihren großartigen Einsatz im Lutherjahr 2017.
Landesbischof Heinrich Bedform-Strohm in der Apostelkirche Miesbach. Foto: Petra Kurbjuhn
Die spirituelle Erneuerung durch das Reformationsjubiläum lobten auch verschiedene Akteure, wie im aktuellen Evangelischen Gemeindeblatt für Miesbach und Hausham zu erfahren ist. Dorothea Strecker, 18 Jahre lang im Kirchenvorstand aktiv, war das Gedenken an die Frauen wichtig, „weil diese in der Zeit der Reformation viel aushalten mussten, aber auch viel bewirken konnten.“ Für Christof Sturm, Musiklehrer am Gymnasium Miesbach, war „das aktive Mitmachen als Geiger bei den Kantaten-Gottesdiensten“ wesentlich. Bei Pastoralreferentin Kathrin Baumann ist die Gestaltung des Kinderbibelkalenders zu Beginn des Lutherjahres besonders lebhaft in Erinnerung geblieben. Betty Mehrer, Vertrauensfrau des Miesbacher Kirchenvorstandes und Mitglied der Landessynode, hat festgestellt, dass „die evangelische Geschichte des Ortes und der Bürger im Landkreis ganz neu bewusst geworden ist“.
Mir selbst, als die gemeinsam mit meinen Freunden nach Wittenberg Reisende, sind die blauen Fußabdrücke auf den Gehwegen in Miesbach am meisten im Gedächtnis geblieben. Sie drücken zum einen den Reichtum ökumenischer Begegnungen aus, aber auch das Glück gemeinsamen Unterwegsseins. Es wird uns darin stärken, die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft zu meistern – nicht zuletzt dank Martin Luther.