Sie löffelt blau aus einer Tonne
Lyrikseminar in Warngau
Diese Anfangszeile stammt aus einem Gedicht von Marcel Beyer und sollte fortgeschrieben werden. Einige Nachwuchslyrikerinnen hatten die Farbe Blau zum Thema gemacht, manche hatten sich dem absurden Sprachgebrauch angeglichen und wieder andere hatten eine poetischen Stil gewählt. Überrascht waren wir alle, als der Seminarleiter das Originalgedicht vorlas.
Markus Hallinger aus Irschenberg, Lyrikpreisträger der Stadt München 2014, hatte den Schwerpunkt des Seminars darauf gelegt, mit der Sprache zu hantieren. Die Aussage sei bei den modernen Lyrikern nahezu verschwunden, betonte er und begründete: „Da unsere Welt so vielfältig ist, bestehen moderne Gedichte meist nur aus Bruchstücken.“ Ganz im Gegensatz dazu hatten alle Teilnehmerinnen ihre Lieblingsgedichte aus vergangenen Epochen, aber auch der Gegenwart mitgebracht, in denen es sehr wohl um Sinn und Bedeutung ging.
Das liegen gelassene Hemd
Da waren Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Erich Fried, Else Lasker-Schüler, Fred Endrikat, Heiner Müller, Alberto Vigevani, Mascha Kaleko und Ulla Hahn zu Gast. Es ging um Krieg und Frieden, um Liebe, Geld, Fremdsein, die ewigen großen Themen also, um Emotionen und Erkenntnisse, die den Lyriker zu seinen Werken hinführen.
Buchcover Gesumsel Markus Hallinger. Foto: Peter Engstler Verlag
Markus Hallinger brachte uns den Unterschied von Prosa und Lyrik an einem Beispiel näher, dem im Zimmer liegen gelassenen Hemd. Der Prosaschriftsteller versuche, die Geschichte des Hemdes zu ergründen, während der Lyriker sich dem Gegenstand Hemd widmet, wobei allerdings während des Schreibprozesses durchaus eine Geschichte entstehen könne.
Alles zum Brot
Als erste Übung diente die „aufzählende Gedichtform“. Zum Wort „Brot“ durften wir alles sammeln, was uns einfiel. Diese Übung beeinflusste weitere Versuche zu dichten stark. In einer zweiten Übung ermunterte uns der Seminarleiter, aus dem Fenster zu schauen und Gegensätze zu finden, also fern und nah, Himmel und Erde, draußen und drinnen. Dabei sollten wir die Dinge umkreisen und uns an vorgegebenen Gedichten orientieren, auch deren Schwächen erkennen.
Sehr hilfreich für das eigene Schreiben waren die Übungen, bei denen Markus Hallinger Wörter in Gedichte eingeschmuggelt hatte, die wir als solche entlarven sollten. Es ging darum, heraus zu finden, wann der Rhythmus holpert oder welches Wort schlicht überflüssig ist. Immer waren es Adjektive, die den Fluss des Gedichtes störten.
Hier soll Preußen schön sein
Es fiel uns ziemlich schwer, ein Gedicht mit Reimen zu schreiben. Da fällt man schon leicht in solche Schrecklichkeiten wie Plastikstühle und Frühlingsgefühle, die für Heiterkeit in der Runde sorgten. Einfacher war es, ein Gedicht nach eigenem Gefühl umzuschreiben. Streetview von Werner Weimar-Mazur bot eine passende Grundlage.
„Hier soll Preußen schön sein“, diese Anfangszeile von Barbara Köhler durften wir weiterspinnen, auch Preußen durch andere Heimatregionen ersetzen. Sehr unterschiedlich fiel die Begeisterung für Oswal Eggers „Apfelspalten/Handteller, Regen“ aus. Während einige mit solchen Sprachschöpfungen wie Grasperlen oder Glastsaum nichts anfangen konnten, waren andere angetan.
Die Beziehung moderner Lyrik zu abstrakter Malerei zeigte Markus Hallinger anhand von Blaise Cendraros „Prosa von der transsibirischen Eisenbahn“, das Sonia Delauney illustrierte. Letztlich brachte uns der Seminarleiter seine eigene Sprache näher und zeigte mit seinem preisgekrönten „Gesummsel“ wie die Sprache Wahrnehmung vermitteln kann. Für alle Teilnehmerinnen ein bereichernder Tag mit vielen neuen Erkenntnissen, begleitet von gutem Essen in einer inspirierenden, kreativen und zuweilen auch sehr heiteren Gemeinschaft.