Starke Karikaturen einer starken Frau
Europa: Marie Marcks‘ Karikatur – Maggie Thatchers Nackenbiss, 1980. Foto: Förderverein des Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst
Ausstellung in Tegernsee
Karikaturistinnen sind selten, die Zunft der spitzen Stifte und Federn ist eher maskulin dominiert. Unter ihnen hob sich eine Frau jedoch deutlich hervor: Marie Marcks. Ihr widmet das Olaf Gulbransson Museum jetzt eine umfangreiche Sonderausstellung.
Bereits im Jahr 2004 wurden Werke der 1922 geborenen und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Karikaturistin in Tegernsee ausgestellt – vor dem Umbau allerdings, als wenig Platz zur Verfügung stand. Jetzt darf sich ihr umfangreiches Werk, in Zusammenarbeit mit dem Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, facettenreich entfalten.
Weitsichtig, provokant, humorvoll
Die gerade beendete Ausstellung im Olaf Gulbransson Museum bestritt der Zeichner papan – und schuf damit einen schönen Übergang zu Marie Marcks. Durfte papan einst für die Emma zeichnen (er war offensichtlich für einen Mann feministisch genug), wurden Marie Marcks‘ Zeichnungen von Alice Schwarzer abgelehnt: angeblich zu männerfreundlich. Für die Betrachter mag das nicht nachvollziehbar sein. Unter den etwa 120 Zeichnungen sind nicht wenige, die wiederum von anderen Medien zurückgewiesen wurden, „zu radikal, zu unsittlich“. Die weitsichtige Zeichnerin provozierte gern, ihre Themen der Gleichstellung von Mann und Frau sowie auch ihre politischen Themen haben auch nach ihrem Tod im Jahr 2014 nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
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Marie Marcks: Alleinerziehende, 1992. Foto: Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst
Die Ausstellung lässt die Besucher eintauchen in die Welt einer klugen, pragmatischen und selbstbewussten Frau, die durch das Elternhaus schon früh mit Kunst in Berührung kam und gefördert wurde. Dass die Realität außerhalb der Familie anders aussah, war schnell klar und forderte sie geradezu heraus. Die Themen, die sie in ihren Zeichnungen und Karikaturen verarbeitete, legte ihr das Leben buchstäblich in den Schoß: Fünf Kinder hat Marie Marcks – zumeist allein – aufgezogen, dabei war sie freischaffende Künstlerin. Der Spagat war immens und bot doch so genügend Humus für ihre Kunst. In vergleichsweise bequemeren Zeiten, beispielsweise mit Ehemann und Kindern während eines zweijährigen Aufenthalts in den USA, sehnte sie sich zurück nach Deutschland, nach Herausforderungen und Reibung.
Von der Gebrauchsgrafik zur Karikatur
Die Gliederung der Ausstellung ermöglicht den Betrachtern ein umfangreiches Bild voller Kontraste auf das Lebenswerk der spannenden Zeichnerin, beginnend mit der Gebrauchsgrafikerin bis hin zur politischen Karikaturistin. Nur mit wenigen Tuschestrichen und sparsamen Kolorierungen gelang ihr ein beachtliches grafisches Werk, garniert mit spitzen, zynischen oder humorvollen Sätzen.
Marie Marcks: Gleichberechtigung von Mann und Frau, 1980. Foto: Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst
Der Rundgang beginnt mit Zeichnungen und Illustrationen aus ihren autobiografischen Büchern „Marie, es brennt“ und „Schwarz-weiß und bunt“. Weiter geht es mit „Frauen in der Gesellschaft“ und den Karikaturen zahlreicher Klischees, in denen sie die gängigen Rollenmodelle umkehrt. „Tut mir echt leid, aber es ist leider nur ein Junge“, tröstet beispielsweise die Hebamme am Wochenbett. Den „gender pay gap par excellence“, so Eva Winter vom Olaf Gulbransson Museum, charakterisieren zahlreiche Zeichnungen mit spitzen und provokanten Titeln wie „Emanze, blöde!“.
Familie und Gesellschaft
Obwohl die Künstlerin immer wieder als Sprachrohr der Frauenbewegung gefeiert wurde, bezeichnete sie selbst sich jedoch nicht als Feministin: „Ich habe immer meine eigene Position gehabt.“ Während die Gleichstellung von Frau und Mann einen immer zentraleren Stellenwert in ihren Zeichnungen einnahm, stieg zugleich ihr politisches Engagement. Zahlreiche Karikaturen entstanden zum Thema Europa vorm Hintergrund des atomaren Wettrüstens zwischen Ost und West. Sie thematisierten den aufkeimenden Neonationalismus und die Umsetzungen des Asylrechts. Zugleich beschäftigten sie die Entwicklungen von „Stadt und Umwelt“, zu denen Abriss und Zersiedelung, Smog und Ölkatastrophen zählten.
Am Büchertisch in der Ausstellung liegt ein beredtes Zeugnis: Marie Marcks (v.l.) als einzige Frau unter den Zeichnern der SZ. Foto: IW
Marie Marcks gelang es auf eindrucksvolle Weise, die Spanne von der Nachkriegszeit bis zu ihrem Tod im Jahr 2014 mit scharfem Blick und Liebe zu Details zu dokumentieren. Der Spagat zwischen Kindern, Familie, Feminismus und den großen politischen Themen glückte. Dass die Ausstellungseröffnung auf die Europawahl fiel, kam nicht von ungefähr. Marie Marcks zeichnete das Bild eines fragilen und schützenswerten Europas, das auch heute noch hochaktuell ist.