Martin Calsow: Mexiko liegt in Bad Iburg
„Atlas – frei zum Abschuss” Buchcover, Ausschnitt. Foto: KN
Krimiempfehlung
„Atlas – frei zum Abschuss” ist das zweite Buch der Serie um den Undercover-Ermittler Andreas Atlas im Teutoburger Wald, der Heimat des Krimischriftstellers Martin Calsow – düster, schweigsam und unberechenbar. Die Jagd ist eröffnet!
Das ist die Gabe von Martin Calsow – Morde, Worte, Gedanken, glasklar und gewaltig!
Am Anfang des Buches steht natürlich ein Mord, wie es sich für einen Krimi gehört. Dieser allerdings ist so perfide, böse und eiskalt, so unnötig wie unverständlich, dass man das Buch für einen Moment aus der Hand legen muss. Ungläubig durchatmet. Nicht grausig, nicht blutig, nicht die Tat selbst verstört. Eigentlich ist es nur eine Andeutung, aber die einer eiskalten Hinrichtung. Ein abgelegener Ort nahe der Niederländischen Grenze. Ein Profikiller, der Gefühle wie Menschlichkeit während des Krieges in Srebrenica in den Massengräbern verscharrt hat. Und schon ist man mitten im Sog der Handlung und kann das Buch von Martin Calsow nicht mehr aus der Hand legen.
Journalist und Krimischriftsteller Martin Calsow. Foto: KN
Der in Bad Wiesee lebende Autor lässt seine Leser eintauchen in die Welt des schweigsamen BKA-Fahnders Andreas Atlas, der nach Jahren Undercoverarbeit in Mexico in einer Kleinstadt am Rande des Teutoburger Waldes, seiner Heimat, untertaucht. Im Grunde wäre der stille Fleck ein gutes Versteck, um die Auftragskiller des mächtigen Drogenkartells abzuhängen. Aber die Bosse drüben in Cancún haben noch eine Rechnung mit ihm offen. Und ihr Arm ist lang.
Atlas könnte in einem anderen Zeugenschutzprogramm, an einem anderen Ort unsichtbar werden. Aber ausgerechnet in dieser westfälischen Kleinstadtidylle hat er in seinem alten Freundeskreis zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Halt, Friede und Heimat gefunden und zugleich seine Jugendliebe Grete und ihren autistischen Sohn Lars, der an ihm hängt und sein erneutes Untertauchen vereitelt. Lars sitzt auf Atlas unterschlagenen Millionen. Und der Killer ist ihm dichter auf den Fersen, als Atlas denkt. Denn die Jagd ist längst eröffnet.
Spröde Liebeserklärung an einen spröden Landstrich
Martin Calsow beschwört das Bild einer düsteren Landschaft. Nebenbei bemerkt – der Autor fotografiert sie auch sehr eindringlich. Selbst wenn nichts passiert, sich der Protagonist im Kleinstadtalltag herumschlägt, ist die Stimmung düster, die Spannung zum Greifen, die Luft zum Schneiden. Der Leser weiß längst: Die Mexikaner haben Atlas gefunden. Der Rest ist eine Frage der Zeit.
Perfekte Mordschausplätze und deren Stimmungen. Foto: Martin Calsow
Die Menschen in Atlas Heimat sind wortkarg, aber herzlich. Seine Freunde sind schräge Sonderlinge, die zusammenhalten wie Pech und Schwefel, denen er seine wahre Identität allerdings nicht preisgeben darf. Das führt zu einigen Verwicklungen. Nicht viel hat sich ansonsten verändert, seit Atlas zwanzig Jahre zuvor verschwand. Und genau das ist es, das ihn nun anzieht, nach den Jahren in Mexiko. Die waren geprägt von Gewalt, Waffen, Drogen, Geld. Verrat, die allgegenwärtige Rache, das lauernde Grauen inmitten der bescheidenen Idylle treiben den Rhythmus der Zeilen voran.
Martin Calsow: Andreas Atlas in Kultkneipe Casablanca
Geschickt vermischt der Autor die Erinnerungen seiner eigenen Jugend, der Zeit bevor Andreas Atlas auf Nimmerwiedersehen verschwand, mit dessen Erinnerungen und seiner Rückkehr nach Bad Iburg. Das alte Casablanca steht noch, eine Musikkneipe mit Kicker, Billard und inzwischen Bioland-Produkten statt Mettbrötchen. Andreas Atlas veranstaltet dort als angeblicher Ex-Animateur einen „Lipsync“-Abend, vor dem großen Showdown. Auch Martin Calsow machte auf seiner Lesereise Stopp im Casablanca. Der Krimi ist zugleich eine Huldigung an seine spröde Heimat.
Buchcover. Foto: Grafit Verlag
Martin Calsow schreibt am Tegernsee und in den USA und ist dabei äußerst produktiv, zwei Bücher erscheinen jedes Jahr. Dabei scheint es eine gute Abwechslung zu sein, neben der Krimireihe um den querulanten Kommissar Max Quercher am Tegernsee, mit der er hierzulande eine treue Leserschar hat, die Westfalenkrimireihe zu schreiben. Andreas Atlas und Max Quercher, unterschiedlicher können die beiden Ermittler kaum sein – wie Mettbrötchen und Leberkässemmel eben. Von den brillanten Ideen, der knappen Sprache und hochspannenden Erzählweise des Autors profitieren beide – und in beiden steckt ja eben auch hundert Prozent Martin Calsow drin.
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