Martin Calsow: Quercher und der Volkszorn
Krimi-Empfehlung der Redaktion
Da wird vorsätzlich mit physischer und psychischer Gesundheit und dem Leben von Kindern gespielt, damit ein gekränkter Aufstreber Rache nehmen kann an der eingeschworenen Gemeinschaft Einheimischer. Tier- und menschenquälende Psychopathen, machtgetriebene rechtspopulistische Aufsteiger und Orte, die öder nicht sein können als Öd bei Ostin im kalten Morgennebel, ein nervenaufreibendes Katz- und Mausspiel zwischen den Tätern und der Polizei, die sich durch interne Machtränkel selbst ausbremst, und die Geschichte des Rattenfängers von Hameln – all das mixt Martin Calsow zu einem verstörenden und zugleich von der ersten Seite an ungemein fesselnden Krimi, angesiedelt in einem Tegernseer Tal von fragwürdiger Idylle.
Nervenaufreibender Wettlauf mit der Zeit
Als vier Kinder entführt werden und deren Erzieherin brutal getötet wird, veranstaltet die Polizei zunächst eine Hetzjagd auf den wegen Vergewaltigung und aggressiven Übergriffen vorbestraften Jugendtäter Toni Knöchel. An dessen Schuld tauchen nach seiner Verhaftung allerdings rasch Zweifel auf. Bevor diese aber ausgeräumt sind und die Spur der verschwundenen Kinder aufgenommen werden kann, fällt Knöchel ins Koma, und ein ungeheurer Vorwurf steht im Raum: Polizeifolter. Damit hat das LKA sogleich zwei Probleme am Hals, offensichtliche Gewalt in den eigenen Reihen und einen dadurch vernehmungsunfähigen, einzigen Verdächtigen. Gleichzeitig tickt die Uhr um das Leben der entführten Kinder entschieden zu laut.
Böse, verstörend und fesselnd
Während die Polizei noch im Stockdunklen tappt, werden dem Leser schon fragmenthafte Einblicke in die Psyche der Täter gewährt, die krankhafter und sadistischer beinahe nicht sein kann. Es beginnt ein nervenaufreibender Wettlauf mit der Zeit, während weiterhin Lösegeldforderungen oder Bekennerschreiben ausbleiben, und weder vom Täter konkrete Spuren, noch das Motiv ersichtlich sind. Bis plötzlich inmitten einer von Landrat und Polizei organisierten Bürgerversammlung das erste der verschwundenen Kinder auftaucht: stumm.
Im entsetzten Kommissar Quercher keimt ein ungeheurer Verdacht auf, der weder belegbar ist, noch Gehör findet: Der Täter verübt möglicherweise Rache, und zwar mit den Methoden des Rattenfängers von Hameln.
Niedertracht in der trügerischen Idylle des Tales
Calsows Zentralfigur, der Kommissar Max Quercher samt der nicht von seiner Seite weichenden Hündin Lumpi, menschelt in diesem niederträchtigen Wirrwarr aufs Schönste, wenn er unfreiwillig eine Wohngemeinschaft bildet mit seinem schwer krebskranken Polizeichef Pollinger, der nervenden, aber ungeheuer brauchbaren Kollegin Arzu samt Kleinkind und seiner von den Ermittlungen suspendierten Exfreundin Julia. Soll dieser Fall gelöst werden, bleibt diesem ungleichen Quartett nur eine heimliche Ermittlung mit nicht immer legalen Methoden, und davon sind die konspirativen Treffen mit Querchers querschnittsgelähmten, doperauchenden Jugendfreund Steinleitner bei Weitem die harmlosesten.
Cover. Foto: Graphit Verlag
Martin Calsow, der als TV-Journalist und Filmchef beim Sender Premiere arbeitete, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete, lebt seit einigen Jahren in Bad Wiessee. Er hat sich genau umgesehen in der wahren und auch in der scheinbaren Idylle des Tegernseer Tales.
Wie schon in „Quercher und die Thomasnacht“ greift er eine heimische Tradition auf, die als Paukenschlag das Finale in den Drehungen und Wendungen der Handlung einläutet: das Haberfeldtreiben, Rügegericht des Volkszornes, Dorfjustiz ohne Gewalt.
„Quercher und der Volkszorn“ – Das ist nun wirklich kein seichter Provinzkrimi aus dem Oberbayrischen. Da muss man beim Lesen auf dem Sofa wenigstens mit dem Hund kuscheln!