Kann uns Wissenschaft retten?
Cover des Buches. Foto: MZ
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
Auf diese Frage versucht Astrophysiker Martin Rees in seinem Buch „Wenn uns Wissenschaft retten soll“ Antworten zu finden. Dabei plädiert das Mitglied des britischen Oberhauses für eine Öffnung der Wissenschaft in die Gesellschaft.
Marin Ress ist Wissenschaftler und Politiker gleichermaßen. Er kennt den britischen und amerikanischen Wissenschaftsbetrieb und war Präsident der Royal Society. Sein in der Reihe „Kurven“ der Edition Konturen erschienenes Kompendium geht zunächst der aktuellen Situation auf den Grund.
Welchen Herausforderungen muss die Gesellschaft, Politik und eben auch die Wissenschaft begegnen? Dabei nimmt er Covid-19 als Beispiel und startet mit zwei Behauptungen. Erstens: Unsere Welt ist vernetzt und zweitens: Wissenschaft kann unsere Rettung sein, die rasche Entwicklung der Impfstoffe habe dies bewiesen.
Herausforderungen der Zukunft
Mit dieser optimistischen Grundhaltung geht der Wissenschaftler an die Herausforderungen der Zukunft heran. Er nennt dabei Bevölkerungswachstum bei gleichzeitigem Verlust biologischer Vielfalt und Klimawandel, ethische und sicherheitspolitische Probleme aufgrund der Biotechnologie und Künstliche Intelligenz.
Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Energie, Zusammenbruch von Ökosystemen, die bekannten Folgen des Klimawandels sieht Martin Rees als wichtige Probleme, die die Wissenschaft heraufordern.
Ausgaben für saubere Energie erhöhen
Eine gute Nachricht hat er bezüglich der Energieversorgung. Er plädiert dafür, Forschung und Entwicklung für kohlenstoffarme Technologien, wie Sonne, Wind, Speicher- und verlustarme Netzsysteme zu beschleunigen. Es lohne sich auch, Kernkraftwerke zu modernisieren und die Entwicklung der Kernfusion fortzusetzen.
Martin Rees fordert vehement, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich der sauberen Energien zu erhöhen und schlägt vor, dass sich alle Länder verpflichten, bis 2050 eine Netto-Null-Energieversorgung zu erreichen, dann könne die Erderwärmung auf 1,5 °C begrenzt werden. Er fürchte aber, dass es einen Plan B in Form von Anpassung geben müsse und letztlich sieht er die Klimaprognose düster, nicht wegen der fehlenden Technologien, sondern des fehlenden politischen Willens.
Verantwortung des Wissenschaftlers
Die Biotechnologie habe rasante Fortschritte gemacht, lobt Martin Rees, damit aber massive ethische Fragen aufgeworfen. Er räumt auch ein, dass technisches Fachwissen mit Fanatismus einhergehen könne. Die Welt sei auf die Herausforderungen der Biotechnologie nicht vorbereitet. Dasselbe gelte für die Künstliche Intelligenz. Der Autor warnt, dass wir das Wohlergehen unserer Kinder und Enkel gefährden und den Verlust künftiger Chancen riskieren.
Mit der Frage, welche Verantwortung der Wissenschaftler trägt und wie er sich in der Öffentlichkeit und Politik engagieren solle, leitet Martin Rees in die Folgekapitel über. Wissenschaft, so schreibt er, sei „organisierter Skeptizismus“. Dazu aber komme das Phänomen der Leugner, die Zweifel und Unsicherheit über wissenschaftliche Erkenntnisse verbreiten.
Martin Rees. Foto: Roger Harris
Entscheidend sei deshalb eine für alle Bürger offene Diskussion, wobei anerkannt werden müsse, dass alle Theorien vorläufig seien und neu bewertet werden müssen, wenn neue Daten vorliegen. Dem Wissenschaftsjournalismus komme die Aufgabe zu, klarzustellen, ob ein Standpunkt von der Mehrheit der Wissenschaftler unterstützt oder bestritten wird.
Die Öffentlichkeit befürchte, dass Wissenschaft und Technologie so viele ethische Fragen aufwerfen, dass weder Politik noch Gesellschaft mit der Bewertung Schritt halten könne. Das betreffe, so befürchtet Martin Rees, insbesondere die Schnittstelle zwischen Biologie, Informatik und Technik, wie Cyborg-Techniken, die den Menschen verändern.
Optimierung von Bildung und Forschungsumfeld
Leider nehme die Öffentlichkeit verschiedene Risiken unterschiedlich wahr. „Wir ignorieren Störungen durch folgenschwere/unwahrscheinliche Ereignisse, solange sie nicht eintreten“, schreibt er. Eine Nation aber müsse sich auf potenzielle Katastrophen vorbereiten, Infrastruktur und „Humankapital“ darauf ausrichten.
Der Wissenschaft falle dabei die Aufgabe zu, nicht nur mit Gefahren fertig zu werden, sondern für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt entscheidend zu sein. Dies aber müsse durch Optimierung von Bildung und Forschungsumfeld gewährleistet werden. Zudem müsse das Verständnis, was Wissenschaft ist und was sie leisten kann, gefördert werden.
Globale Zusammenarbeit erforderlich
Im letzten Kapitel, in dem Martin Rees intensiv auf den Wissenschaftsbetrieb in Großbritannien und den USA eingeht, fordert er, ein effizienteres Bildungssystem und ein nationales Ethos, das zu wissenschaftlichen Leistungen ermutige und Anreize schaffe. Man brauche hervorragende, gut bezahlte Lehrkräfte in den Schulen und die Forschungseinrichtungen müssen durch Organisationen im öffentlichen oder privaten Sektor ergänzt werden.
Kritische Töne findet er zum Thema Preisvergabe, wie Nobelpreis, der die öffentliche Wahrnehmung der Bedeutung der Wissenschaft verzerre.
Letztlich fordert der Autor, dass das Studium flexibel gestaltet werden solle, sowohl Präsenz- als auch Onlineveranstaltungen besucht als auch abgebrochen und wieder aufgenommen werden können.
Die Bildung möge jedem Menschen helfen, die Welt zumindest in Umrissen zu verstehen. Dann könne sich ein jeder an demokratischen Entscheidungen mit wissenschaftlicher Dimension beteiligen. Darüber hinaus aber erforderten die globalen Probleme eine globale Zusammenarbeit.
Sein Fazit: „Es scheint kein wissenschaftliches Hindernis für eine nachhaltige Welt nach 2050 zu geben, in der die Entwicklungsländer den Abstand zu den Industrieländern verringert haben und alle von weiteren Fortschritten profitieren… Doch Politik und Soziologie stimmen pessimistisch….“ Es hänge von der wissenschaftlich bewussten Öffentlichkeit ebenso ab wie von charismatischen Wahlkämpfern, etwa Papst Franziskus oder Greta Thunberg, „die mit der Wissenschaft im Einklang stehen, aber auch die ethische Führung und Motivation vermitteln, die die Wissenschaft allein nicht bieten kann“.
Zum Weiterlesen: Ermahnung zur Bescheidenheit