Reisen als Arbeit an sich selbst
Autor, Reiseschriftsteller und Nietzscheaner Matthias Politycki liest aus seinem neuen Buch. Foto: Ines Wagner
Lesung und Vortrag in Weissach
Zur dritten Reihe des Korbinians Kolleg im Hotel Bachmair Weissach war Matthias Politycki geladen. Sein Thema „Warum wir reisen und was wir dabei denken“ führte die Zuhörer in fremde Welten und ein bisschen auch zu sich selbst, sofern sie gerne reisten.
Das Anliegen von Unternehmer Korbinian Kohler ist es, die Philosophie zu den Menschen zu bringen. Warum nicht im Rahmen eines philosophischen Kollegs in den Räumen der Bachmair Arena? Inzwischen bereits zum dritten Mal begrüßte dort Schirmherr Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl einen prominenten Gast auf dem Podium, um mit ihm gemeinsam Fragen der Zeit zu erörtern. Nach Finanzwirtschaft und Neurobiologie stand am Freitag Abend die Literatur auf der Agenda.
Reisender Schriftsteller Matthias Politicky
Aber es wäre kein philosophisches Kolleg, wenn nicht der Autor zugleich ein Philosoph wäre. Matthias Politicky ist Nietzscheaner, Lyriker und Romancier. Er selbst sieht sich nicht als Reiseschriftsteller, sondern vielmehr als reisenden Schriftsteller. Da bestehe ein großer Unterschied. Ebenso wie im Umstand, ob man sich als Tourist oder Reisender in einem Land bewege.
Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl im Gespräch mit Dr. Matthias Politycki (v.l.). Foto: Ines Wagner
In einem anregenden Gespräch auf dem Podium erörterte Philosophieprofessor Vossenkuhl gemeinsam mit Matthias Polityki, was es mit dem Reisen auf sich habe. Dessen Buch „Schrecklich schön und weit und wild“ trägt den Untertitel „Warum wir Reisen und was wir uns dabei denken“. Es ist weder Reiseführer, noch Reiseroman, sondern geht der Philosophie des Reisens auf den Grund und ist zugleich ein sehr persönliches Buch über allgemeingültige Fragen.
Schule des Reisens
Für einen Philosoph ist das Reisen immer auch Arbeit an sich selbst, so Politycki. Er selbst bricht jedes Mal aufs Neue auf, nicht um ein besserer, sondern ein anderer Mensch zu werden. Die „Schule des Reisens“ bestünde demnach auch darin, aus Niederlagen zu lernen. Man erlange nach einer Weile eine gewisse Gelassenheit gegenüber den Menschen und Dingen, die man nicht ändern kann. Man könne nur das einzige Mögliche ändern – sich selbst, so der Autor.
Beim Reisen schärfe man nicht nur den Blick, sondern alle Sinne. Um die unterschiedlichen Lebensweise und Gewohnheiten zu verstehen und selbst verstanden zu werden, müsse man sie ein Stück weit adaptieren. Das bedeute, seine Ansichten eventuell auch robuster zu vertreten, dicker aufzutragen, das Archaische zu „spielen“, um anerkannt zu werden. Sich hinter seiner scheinbaren Zivilisation zu verstecken, nütze nichts.
Hinter die Sehenswürdigkeiten gehen
Das Leben als Schriftsteller, der behütet am Schreibtisch sitzt, ist für Matthias Politycki nur die halbe Seite. Um sie zu komplettieren gälte es, hinter die Sehenswürdigkeiten zu blicken, noch hinter die Slums zu gehen, dorthin wo die Müllberge liegen. Das hat er beispielsweise in Indien gemacht. Er stand mit den Müllmännern auf dem Müllberg und betrachtete aus der Ferne gemeinsam mit ihnen das Schöne: den Taj Mahal. Genau hier läge der Unterschied zwischen Tourist und Reisenden: „Der Tourist sieht die Sehenswürdigkeiten, der Reisende begibt sich hinter die Sehenswürdigkeiten.“ Dass er auch Marathonläufer ist, hat ihm in vielen Dingen geholfen.
Buchcover. Foto: Verlag Hoffmann und Campe
Kurzweilig floss der Abend in der Bachmair Arena dahin. Als Zugabe zählte Matthias Politycki humorvoll die kulinarischen Absonderlichkeiten auf, die es beim Bereisen von Ländern des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens zu bewältigen gilt. „Will man derjenige sein, der lebende Maden gegessen hat?“, fragte er sich und die Zuschauer.
Spannend: Nicht die Erfolge, sondern die Niederlagen
Das momentane Gefühl des Scheiterns, beispielsweise an der Kulinarik der Fremde, relativiere sich mit der Zeit. Reisen sei etwas fröhliches, auch in den Niederlagen. Schließlich sei es hinterher nicht spannend, zu erzählen, dass man den Taj Mahal gefunden habe. Deshalb seien am Ende der Reise das Wichtigste, was man mit nach Hause nähme, die Niederlagen. Auch die Demütigungen, die man von Reisen zurückbringe, machen einen selbst schließlich demütiger. Die Quintessenz des Reisens und des Vortragsabends: „Wir sind nicht aufgebrochen, um ein besserer Mensch zu werden, sondern ein anderer.“
Hotelier Korbinian Kohler (rechts), der das das „Korbinians Kolleg“ initiierte, studiert Philosophie bei Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl. Foto: Ines Wagner
Über das Reisen zu philosophieren passte bestens in das Hotel Bachmair Weissach: Hotelier Korbinian Kohler ist selbst ein Reisender, der sich in der Ferne inspiriert. Von seinen zahlreichen Reisen nach Japan hat schließlich er die Idee mitgebracht, sein Hotel um ein einzigartiges Onsen Spa zu erweitern.
Hier lesen Sie den Artikel über das zweite Korbinians Kolleg zum Thema Neurobiologie: