Beim Rattenrennen mitspielen?
Theaterensemble vom Max-Rill-Gymnasium. Foto: MZ
Theater in Reichersbeuern
Eltern, die mit pathologischem Eifer und nahezu krimineller Energie um den Übertritt ihrer Kinder ins Gymnasium kämpfen. Dazu Aufeinanderprall von Ossis und Wessis, all das war gestern Abend Thema im Theater vom Max-Rill-Gymnasium in Reichersbeuern.
Sechs Jugendliche auf der Bühne, die mit vollem Einsatz und voller Textsicherheit eineinhalb Stunden ein anspruchsvolles Stück spielen: Gratulation an das Max-Rill-Gymnasium und insbesondere an Regisseur Nikolaus Frei und seine sechs Darsteller.
Das Stück „Frau Müller muss weg“ von Lutz Hübner karikiert das, was jeder Grundschullehrer alljährlich erlebt: Elternhysterie vor dem Zwischenzeugnis der 4. Klasse. An der Rosa-Luxemburg-Schule in Erfurt haben sich Eltern aufgrund der schlechten Noten ihrer Kinder zu einem Elternabend getroffen, bei dem die Lehrerin aufgefordert werden soll, die Klasse abzugeben.
Persönliche Diffamierungen
Was sich aus dieser Ausgangssituation entwickelt, erinnert an „Gott des Gemetzels“, denn bald geht es nicht mehr um die pädagogische Kompetenz von Frau Müller, sondern um persönliche Diffamierung jeder gegen jeden.
Da ist die außerordentlich selbstbewusst auftretende Sprecherin der Gruppe Jessica, gespielt von Katharina Roitzheim aus Mannheim. Ihre Tochter Laura, die so gern am PC daddelt, fälscht Entschuldigungen. Auch das Ehepaar Jeskow stammt aus dem Westen, pikanterweise ist Marina, in ihrer jammerigen Unzufriedenheit dargestellt von Sophia Kraus, vom Tegernsee und will unbedingt zurück. Aaron Behrend spielt ihren Mann Patrick, der auf seinem Job in Erfurt besteht und typische Gesten der Führungskraft offeriert. Ihr Sohn Lukas ist gewalttätig.
Zwischen Verletzung und Souveränität
Insbesondere schlägt er Fritz, den Sohn von Katja aus Leipzig, in ihrer souveränen, zurückhaltenden Art gespielt von Marie-Louise Kroha. Wolf, der zweite Ossi, ist arbeitslos, Philippe Ziegler spielt ihn emotional und mit hohem Aggressivitätspotenzial. Da die beiden eine Beziehung hatten, kommt ein weiteres Problem hinzu.
Auf diese illustre Runde trifft nun die arme Lehrerin Sabine Müller. Antonia Angermair gibt ihr im Spannungsfeld von Verletzung und Souveränität die nötige Ausstrahlung. Eine Botschaft hat das Stück natürlich auch, aber diese wird nicht verraten! Nur so viel: Überfordert sind viel mehr die Eltern in ihrem eigenen Anspruch an sich, an das Kind, als die Lehrerin. Und die Frage bleibt, ob das „Rattenrenenn“ in dieser Welt mitgespielt werden soll.
Nichts wird ausgelassen, was den anderen demütigen kann, es geht bis hin zu unerlaubten Handtaschenfrevels. Keine Sekunde ist die Spannung reduziert, die Zuschauer sind vom Stück, von der Inszenierung und den Schauspielern fasziniert und spenden frenetischen Beifall am Ende.
Das gelungene Bühnenbild mit Kinderzeichnungen der Grundschule Reichersbeuern trägt ebenfalls zum gelungenen Theaterabend bei. Ein herrlicher Gag, als zwei der Bilder herunterfallen, kommt das DDR-Emblem zum Vorschein.