Michael Maar und „Die Schlange im Wolfspelz“
„Die Schlange im Wolfspelz“. Foto: MZ
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt und Buchtipp der Redaktion
Bücher über den guten Stil gibt es zuhauf. Jeder Schreiberling, der etwas auf sich hält, hat den Reimers im Regal. Jetzt aber sollte er dringlichst „Die Schlange im Wolfspelz“ von Michael Maar lesen und damit ein Gefühl für das Geheimnis großer Literatur erahnen.
Nicht nur für Schriftsteller, ebenso für Journalistinnen ist dieses umfassende Werk ein Schatzkästlein und wird so manchen von sich eingenisteten Stilfehler künftig bewahren. Was aber Michael Maar nicht tut, und das zeichnet das Buch aus, ist starre Regeln anzugeben. Was guter Stil ist? „Alles in Maßen.“ Eine Hauptregel aber gibt er an: „Es gibt keine Regeln, jedenfalls kann man sie alle brechen. Aber man muss es können.“ Dieses Können zeige sich in seiner spezifischen künstlerischen Hinterlassenschaft bei der, und das sei der Knackpunkt, Gedanke und Formulierung zueinanderfinden.
Sinn machen und unbequem
Auf den ersten 168 Seiten geht der Autor und Kritiker in die Werkzeugkiste der Sprache. Und spricht auch Verbote aus. Das betrifft Phrasen, wie „Sinn machen“ oder „vor Ort“ oder „in trockenen Tüchern“, er bittet aber auch, das Beiwort „unbequem“ entsprechenden Stühlen vorzubehalten, anstatt Denker damit zu schmücken.
Michael Maar schreibt sogar über Satzzeichen, denn ein fehlendes Komma könne Leben vernichten, wie in dem bekannten Beispiel des Begnadigungsgebots: „Warte nicht hängen“, das je nach Komma so und so gelesen werden kann. Stilsünden, wie die Verwendung von „völlig“ und „vollkommen“ oder „scheinbar“ und „anscheinend“ erklärt er ebenso einleuchtend, wie die oftmals falsche Verwendung des „um zu“, das sich ausschließlich auf das Subjekt bezieht. „Die Mutter schickte die Kinder in den Wald, um Pilze zu sammeln“ ist also grammatikalisch falsch.
Vorsicht bei Beiwörtern
Bei den Wörtern plädiert der Autor dafür entweder das schlichte oder ein speziell passendes, aber nicht gewollt aufhübschendes zu gebrauchen. Insbesondere bei Beiwörtern empfiehlt er Vorsicht, besser Verzicht, und zeigt gleich anschließend literarische Gegenbeispiele. Ob man die Wörter zu langen oder kurzen Sätzen formen soll? Wie Pat und Patachon, also beides und möglichst abwechselnd. Die schwarze Kunst der Prosa sei deren Rhythmus, sagt Michael Maar. Dafür gibt es nur die Regel, dass man ihn nicht merken dürfe, dass ihn aber alle großen Stilisten beherrschen.
„Herzstück der poetisch-rhetorischen Mittel ist die Metapher“, sagt er und bringt literarische Beispiel für gekonnte Bilder ebenso wie für Metapher con grata, wie „über den Tellerrand schauen“. Was einmal gelungen war, wirke nach millionenfacher Abnutzung nur noch schal. „Denk und sieh neu“, empfiehlt er.
Peru und Andenrepublik
Haben Sie gemerkt, dass ich abwechselnd „Michael Maar“, „der Autor“ und „er“ geschrieben habe, um Wiederholungen zu vermeiden? Die Variation indes sei eine Stilsünde, sagt Michael Maar. Wehe man ersetze das Fahrrad durch Drahtesel oder Peru durch Andenrepublik. Die unfreiwillige Wiederholung aber solle man ausmerzen, also nicht schreiben: „So stand es mit Veza und sie weigerte sich standhaft“ (Canetti).
Nicht nur in der Metapher, auch im Dialog beweise sich der gute Stilist, sagt Michael Maar. Und auch hier gilt es Fehler zu vermeiden. Personen müssen sich durch ihre Rede selbst charakterisieren, der Autor muss im Hintergrund bleiben, insbesondere darf er dem Leser nicht durch einen Dialog, den die Personen so nie führen würden, etwas beibringen wollen.
Die Bibliothek von Michael Maar
Als einen der besten Dialog-Dichter benennt er Heinrich von Kleist und damit wollen wir zum Hauptteil des Buches überleiten, den er „Die Bibliothek“ nennt. Hier zeigt er anhand von ausgewählten Beispielen literarischen Stil. Dies ist keine Anleitung mehr zum Schreiben, sondern es ist eine Wanderung durch die Literaturgeschichte. Der Leser spürt die Vorlieben des Autors und er darf sich anhand zahlreicher, auch langer Beispiele an Literatur ergötzen.
Die Bewunderung für Franz Kafka, Johann Peter Hebel, Gottfried Keller, Joseph Roth und Heimito von Doderer wird deutlich und ermuntert, einmal wieder den „Radetzkymarsch“ zu lesen. Stefan Zweig indes, mag er anscheinend nicht und auch Novalis und Hölderlin seien als Stilisten überschätzt. Auch die Literaturkennerin wird eine Menge Neues, zu Entdeckendes „In der Bibliothek“ finden. Und sie amüsiert sich über die Bemerkung, jedem, der Stifters „Nachsommer“ zu Ende lese, gebühre die Krone Polens.
Amüsement auch im letzten Kapitel, in dem Michael Maar Stil anhand eines prickelnden Themas bearbeitet, es geht um das Pikante, die Welt des Eros. Denn gerade und insbesondere hier hänge alles vom Stil ab. Da kann ein Gedankenstrich alles sagen.
Dürrenmatts 100. Geburtstag
Auf 374 Seiten darf der Leser einen Blick in die Weltliteratur werfen und sich selbst entscheiden, welchem der vorgeschlagenen Autoren er seine Zeit widmen möchte. Ganz klar, das sagt Michael Maar auch anfangs, seine Privatbibliothek habe Lücken und werde von Vorlieben, Desinteressen und Abneigungen bestimmt. So erfährt die Leserin ganz am Ende, dass es einige nicht geschafft hätten, in seine Betrachtungen aufgenommen zu werden, und das sei keineswegs ihre Schuld. Unter ihnen ist auch Dürrenmatt, der heute 100 Jahre alt geworden wäre.
Ob der Schreiberling am Ende weiß, wie er künftig zu schreiben hat? Durch die Beispiele ist er sensibilisiert gegenüber schlechtem Stil, vermeidet eklatante Stilfehler und wird bestätigt darin, dass zur Entwicklung des eigenen Stils nichts besser geeignet ist als: Lesen, lesen, lesen. Anregungen gibt es mehr als genug, vielleicht sogar den „Nachsommer“?
Lesetipp: Franziska Wanninger und „Der famose Freistaat“