Der Poet, der keine Gedichte schreibt
Kam vom Jazz zur Minimal Music und an den Tannerhof – Andreas Dombert. Foto: IW
Konzert in Bayrischzell
In einer Welt, in der täglich alles schneller wird, wagt es Andreas Dombert, die Klänge seiner Gitarre auf ein Minimum zu reduzieren. Mit einem exquisiten Konzert im Stil der „Minimal Music“ eröffnete der außergewöhnliche Gitarrist die diesjährige Konzertreihe am Tannerhof in Bayrischzell.
2016 kam das kreative Loch, in das Andreas Dombert fiel. Kurz nach der Veröffentlichung seines viel gefeierten Jazzalbums, in das er alles an Kreativität gesteckt hatte, was in ihm zu finden gewesen war. Mehr als das, was gerade entstanden war, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Er kehrte an die Universität Regensburg zurück und fand dort irgendwo zwischen Philosophie und Musik ein Seminar über Minimal Music, das seinem musikalischen Schaffen eine neue Richtung gab. „Weg mit den vielen Lauten – mit einem Ton anfangen und den wiederholen“ war die neue Devise.
Der Reiz der Wiederholung
Die Zuhörer des ersten diesjährigen Konzertes am Tannerhof haben das Glück einer Kostprobe der Musik, die nicht auf immer Neues für den Geist setzt, sondern auf Wiederholungen, die der Seele gut tun. Die heimelige Atmosphäre des Konzertsaals und seine Akustik erlauben dem Musiker und seinem Publikum das Konzentrieren auf das Wesentliche. Sie machen das „hier in diesem Moment sein wollen“ einfach. Denn Minimal Music erfordert eine reife Auseinandersetzung des Publikums mit dem Gehörten. Eine aktive Beteiligung, die aus wachem Zuhören besteht, ein bedingungsloses Einlassen auf Unbekanntes, Unvorhersehbares.
„Like the birds sing“ heißt das Stück in drei Sätzen, das um die 35 Minuten dauert. Erstaunlich daran ist, dass alle drei Sätze im Prinzip gleich verlaufen. Das heißt, dass Andreas Dombert dasselbe Stück dreimal hintereinander spielt. Zu erkennen ist das allerdings nur für sehr geübte Zuhörer, wobei auch diese in jedem Augenblick etwas Neues hören. Einzelne Noten werden wahlweise betont. Klangmuster werden lauter und leiser, Rhythmuswechsel kreieren Dynamik. Musik fließt, verändert konstant ihr Erscheinungsbild, zieht den Zuhörer mit sich, erweckt Staunen ob ihrer nie enden wollenden Lebendigkeit.
Die nackte Melodie
Minimal Music, die sich ab den 1960er Jahren in den USA entwickelte, bringe oft minimale Besucherzahlen, weiß Andreas Dombert, der nach der ersten Hälfte des Konzertes gespannt ist, wieviele Zuhörer auch nach der Pause noch da sein werden. So gut wie alle, ruhig, bereit für mehr. Beinah hypnotisch zieht das nächste Stück die Aufmerksamkeit aller in den Bann. Der einfachen Melodie werden Schritt für Schritt Harmonien und Bass hinzugefügt, um sie ihr langsam wieder abzuringen, bis sie nackt dasteht, wiedererkannt und doch als neu empfunden wird.
Die neue CD von Andreas Dombert „Guitar“ mit den Kompositionen „like the birds sing“ und „minimal music“ . Foto: AD
Und dann folgt das gelungene Experiment, das Andreas Dombert nur an wenigen Orten durchführen kann, weil es ein geübtes Publikum braucht, eine hohe Konzentrationsfähigkeit von Künstler und Zuhörer verlangt. „Man kann nicht nichts hören“, sagte einst Avantgarde-Komponist John Cage und ließ sich in einen schalldichten Raum sperren. Er hörte seinen Atem, seinen Herzschlag. Sein berühmtes Werk 4’33“ gilt als Schlüsselwerk der Neuen Musik, das eine immense Intensität des Interpreten verlangt und außerdem ein Publikum, das versteht, dass es selbst Teil der Musik ist, die gerade entsteht. Bei seiner Uraufführung 1952 löste es einen Skandal aus. Das Publikum am Tannerhof war in der Lage, es beinahe atemlos anzuhören und seinen Zauber zu verstehen.
Weniger ist mehr
Den Abschluss des poetischen Konzertes bildete „Minimal Music“, op.1 von Andreas Dombert. Mit Tremolo Technik, vom klassischen Gitarrenspiel auf das Spiel mit Plektrum auf eine halb-akustische Gitarre übertragen, durch die schnell hintereinander gespielte Töne beinah zu einem werden, der zwei Ebenen gewinnt. Das möglicherweise Erstaunlichste an der Musik von Andreas Dombert ist, dass sie keine Vorstellungen oder Bilder braucht, um erlebt zu werden. Sie besänftigt den nach Information und Assoziationen suchenden Geist in Sekunden und führt den Zuhörer an einen Ort wacher Entspanntheit, an dem es um tieferes Zuhören geht, um eine Erweiterung der Wahrnehmung. Und weckt ganz bestimmt den Wunsch, noch mehr von diesem „Weniger“ zu erleben.