Die Wahrheit über den Missbrauch
Blick auf die Skulpturengruppe. Foto: Isabella Krobisch
Kunst gegen Missbrauch
Die Missbrauchsfälle der katholischen Kirche in Unterwössen veranlassten den Bildhauer Andreas Kuhnlein, einen Andachtsraum mit der zentralen Botschaft des Glaubens und einen Hinweis auf den Missbrauch zu schaffen. Dieser Raum wurde jetzt eingeweiht.
„Drei meiner besten Freunde sind betroffen“, erzählt Andreas Kuhnlein, der seit über 30 Jahren mit dem Thema befasst ist. Er habe auch versucht zu helfen, indem er Kontakte zu Ärzten, Theologen und anderen Persönlichkeiten herstellte.
In seiner Rede bei der Eröffnung sagte er: „Das letzte Gespräch zu diesem Thema fand statt mit Alois Glück und einem Betroffenen aus Unterwössen. Alois Glück bestätigte nicht nur mir, sondern auch in einem Zeitungsinterview zu seinem 80. Geburtstag, dass ihm erst bei diesem Gespräch richtig bewusst geworden sei, was Missbrauch mit einem Menschen macht.“
Andreas Kuhnlein bei seiner Ausstellung in Prien 2022. Foto: Isabel Oberländer
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Andreas Kuhnlein suchte aber auch den Kontakt zu Kardinal Marx, der sich wiederholt für Missbrauchsgeschehen in der Diözese entschuldigte. Er habe ihm das Missbrauchsgeschehen in Unterwössen von 1959 bis 1963 geschildert und eine Lösung angeregt, sagte der Bildhauer, dessen Freunde inzwischen verstorben sind.
Er wurde in das Ordinariat eingeladen und konnte dort sein Konzept für die Gestaltung des Andachtsraumes vorstellen. „Das Gespräch ist mir bis heute in bester Erinnerung, weil es geprägt war von Offenheit und schonungslosen Bekenntnissen der Beteiligten aus dem Ordinariat, die zudem eine absolute Unterstützung des Projektes zusagten“, sagte Andreas Kuhnlein.
Verurteilung Jesu. Foto: Isabella Krobisch
Ergebnis seiner Überlegungen war, das Leben Jesu in drei Stationen darzustellen. Bei der Umsetzung des Entwurfes für die drei Stationen sei ihm aufgefallen, dass es bei den ersten zwei Stationen Parallelen zwischen dem Leben Jesu und dem Leben der Betroffenen gibt.
Station 1: Verurteilung Jesu: „Auch die Missbrauchsopfer wurden verurteilt, von nicht wenigen bis zum heutigen Tag. Die Buben waren ja schuld, dass der Pfarrer wegmusste und – sie wurden ja bezahlt, beziehungsweise bekamen Geschenke“, erklärte der Bildhauer. Wer so etwas behaupte, der habe sich noch keine Minute ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, geschweige denn, mit einem Betroffenen gesprochen.
Kreuzigung Jesu. Foto: Isabella Krobisch
Station 2: Kreuzigung Jesu: „Auch die Betroffenen wurden stigmatisiert, und zwar ein Leben lang, bis zum heutigen Tag. Bei der Darstellung wählte ich nicht die Frontalansicht auf Jesus, die es Millionenfach gibt, sondern eine Perspektive von schräg hinten“, sagte Andreas Kuhnlein. Wichtig seien ihm die Menschen unter dem Kreuz, denn ohne Menschen gebe es keine Kreuzigung, kein Verbrechen, keinen Missbrauch. „Es befinden sich gewiss Menschen davor, die aufrichtig trauern, aber auch jene, die mitschrien und sich erst im Augenblick des Geschehens über die Konsequenzen ihres Handelns im Klaren sind“, betont er.
Auferstehung Jesu. Foto: Isabella Krobisch
Station 3: „Ich wollte eine Skulptur schaffen, die etwas Positives beinhaltet“, sagt Andreas Kuhnlein, „die österliche Botschaft, Auferstehung, Befreiung. Diese Befreiung hat aber nur Jesus erlebt, nicht aber die Betroffenen.“
Die Gesellschaft müsse zur Einsicht kommen, dass hier ein Verbrechen geschah. Aber die heile Welt auf dem Land sei immer wichtiger als die Wahrheit gewesen.
Tafel im linken Fenster. Foto: Isabella Krobisch
Deshalb habe er im rechten Fenster ein Wort aus dem Johannesevangelium angebracht, in dem es heißt: „Wenn Ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien.“
Auf der Tafel links im Fenster wird den Opfern des Missbrauchs gedacht.
Andreas Kuhnlein sagt: „Geht rein, da steht es schwarz auf weiß, dass die Kirche großes Leid verursacht hat.“ Er sei froh und dankbar, dass er von der Missbrauchsstelle des Ordinariats große Unterstützung erfahren habe. Jetzt erhalte er Briefe von Betroffenen aus ganz Deutschland.
Kirche St. Martin Unterwössen. Foto: Isabella Krobisch