Was sagt die Neurologie zum Thema Mitgefühl?
Schauspielerduo Lydia Starkulla und Bernd Schmidt untermalt den Wissenschaftsvortrag. Foto: Petra Kurbjuhn
Vortrag mit Theaterszenen in Holzkirchen
Ist Mitgefühl erlernbar? Gute Nachricht der Hirnforschung: Ja, denn das Hirn ist plastisch. Der Vortrag von Monika Ziegler über Forschungsergebnisse von Tania Singer war anschaulich und kurzweilig – nicht zuletzt wegen der großartigen Theaterszenen, gespielt von Lydia Starkulla und Bernd Schmidt.
Wissenschaft muss nicht trocken sein, dachte die promovierte Physikerin Monika Ziegler und holte Regisseurin Cathrin Paul ins Boot. Die Holzkirchnerin schrieb zwei Szenen, die den Vortrag anschaulich untermalten und auflockerten. Die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung von Tania Singer, Neurowissenschaftlerin und Psychologin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, sind spektakulär. Um die Gäste nicht mit zu trockener Wissenschaft zu langweilen, würzte das Schauspielerduo Lydia Starkulla und Bernd Schmidt den Vortrag mit zwei eindrucksvollen Theaterszenen.
Monika Ziegler präsentiert Erkenntnisse der Neurobiologie. Foto: Petra Kurbjuhn
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr? Stimmt nicht. Das Hirn ist plastisch und formbar. Das ist eine richtig gute Nachricht. Alles, was immer wieder geübt wird, verbessert sich. Neurobiologe Gerald Hüther nennt den Effekt „Autobahnen im Hirn“, zu denen kleine Pfade, Wege und Straßen ausgebaut werden können. Einfaches Beispiel sind die sogenannten Powerposen von Amy Cuddy aus den USA. Nachweislich sinkt das Stresshormon Cortisol, werden die Posen regelmäßig geübt. Der Adrenalinspiegel hingegen steigt – wir fühlen uns toll und sind aktionsbereit. Die Powerposen sind ein echter Geheimtipp – beispielsweise vor Bewerbungsgesprächen.
Mitgefühl verbessert Beziehungen
Und was macht unser Paar auf der Bühne? Lydia Starkulla und Bernd Schmidt streiten, dass die Fetzen fliegen. Was vielen bekannt vorkommt, ist natürlich etwas übertrieben. Die Ehepartner bringen sich gegenseitig auf die Palme, keiner hört richtig zu, keiner geht auf den anderen ein. Die gute Nachricht: Es lässt sich etwas dagegen tun. Mitgefühl kann trainiert werden und damit werden Beziehungen verbessert, im Kleinen und im Globalen.
Bei Tania Singers umfassender Studie, dem „Resource Projekt“ haben 324 Probanden über elf Monate täglich 30 Minuten Mitgefühl geübt. Das Ergebnis ist eine tragfähige wissenschaftliche Aussage mit verblüffenden Erkenntnissen. Nachweislich haben die Probanden verbesserte Werte beim Bindungshormon Oxytocin, bei der Hirnplastizität und dem Blutdruck. Das Stresshormon Cortisol hingegen verringerte sich. Das Ergebnis zeigte, dass sich das Sozialverhalten der Menschen verbessert hatte und damit ihre Fähigkeit zu Mitgefühl und Empathie.
Achtsamkeitstrainer Daniel Bußjäger. Foto: Petra Kurbjuhn
Was haben die Probanden gemacht? Sie haben über elf Monate Methoden der Achtsamkeit trainiert sowie Wohlwollen und Güte anderen gegenüber, auch gegenüber Hindernissen. Und sie haben gelernt, die Perspektive des Anderen einzunehmen. Um die Methoden der Achtsamkeit zu demonstrieren, unterstütze MBSR-Trainer Daniel Bußjäger den Vortrag auf der Bühne mit einer kleinen Mitmachmachübung für alle im Publikum. MBSR, Mindfulness Based Stress Reduction, oder Achtsamkeitsreduzierte Stressreduktion, ist eine Methode, Mitgefühl, Selbstfürsorge und die Fähigkeit, besser mit Stress umzugehen, zu erlernen.
Üben, üben, üben
Und was hat unser streitendes Ehepaar in den elf Monaten der Singerschen Studie gelernt? „Ich habe verstanden, dass du dir mehr Zeit mit uns als Familie wünschst“, sagt Bernd Schmidt zu Lydia Starkulla und legt die Zeitung beiseite, um sich ihrem Anliegen zu widmen. Ganz klappt es aber dann doch noch nicht mit der mitgefühlvollen Kommunikation. Beide fallen schnell in ihre alten Rollen und den Streit zurück, um es zu bemerken und darüber zu lachen: „Wir müssen noch etwas üben“.
Tania Singer hat ihre Forschungsergebnisse beim Wirtschaftsgipfel in Davos vorgetragen. Mitgefühl ist das, was dringend gebraucht wird in unserer wirtschaftlich und politisch immer schneller und fragwürdiger drehenden Welt. Es muss sich etwas ändern. Jeder kann bei sich selbst anfangen – damit es am Ende auch unsere Gesellschaft und globalisierte Welt verändert.
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