Miesbacher Tracht im Waldviertel
Autorin Verena Wolf vermittelt das Wesen der Miesbacher Tracht beim Thementag in Fratres. Foto: © Hannes Reisinger
Thementag in Fratres
Der Thementag „Mode – Schönheit – Kontroverse“ bei der Kulturbrücke Fratres im niederösterreichischen Waldviertel schlug einen eleganten Bogen von der Haute Couture bis zur Tracht. Dabei wurde auch wieder eine Kulturbrücke ins Bayerische Oberland gespannt: Autorin Verena Wolf hatte die Miesbacher Tracht und historische Gewänder im Gepäck.
Wieder einmal war es ein hochsommerlicher Tag im Waldviertel, als der Thementag „Mode – Schönheit – Kontroverse“ die Rolle von Mode und Tracht sowie deren Wirkung in unterschiedlichen Zeiten, Gesellschaftsschichten und Ordnungssystemen beleuchtete. Umringt von einer erstaunlichen Fülle westafrikanischer Masken und Skulpturen aus der Sammlung von Peter Coreths Museum Humanum begrüßte die Kuratorin des Thementages Jana Zoglauer-Vinsová in deutscher und tschechischer Sprache die Menschen der drei Länder, aus denen sich Protagonisten und Mitgestalterinnen sowie Gäste des Thementages eingefunden hatten.
Vintage-Kleid von Vivienne Westwood inmitten westafrikanischer Masken. Foto: © Hannes Reisinger
Die ausgestellten Gewänder, Kleider, Abendroben namhafter Modeschöpfer und Designerinnen sowie historische wie gegenwärtige Tracht zeigten das breite Spektrum an textilen Kostbarkeiten, das an diesem Tag im Fokus stand. „Bekleidung“ ist ein beide Bereiche umfassendes Phänomen. Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde mit einer Unterscheidung zwischen Mode und Tracht begonnen. Seither haben sich beide Gewandarten wechselseitig inspiriert.
König der Mode
Viele Modeschöpferinnen und Designer wären kaum derart erfolgreich gewesen, hätten sie nicht zuvor die historische Kostümkunde und Tracht sowie ihre handwerkliche Präzision genau studiert und aus dem Vergangenen Neues kreiert. Darin eine Ausnahme und zugleich ein Phänomen war der Modeschöpfer Fred Adlmüller. Filmemacher Robert Styblo hat dessen erstaunliche Karriere und schillerndes Leben nachgezeichnet. Mit seinem Film „Fred Adlmüller – Der König der Mode“, einem gleichzeitig spannenden und amüsanten Sitten- und Gesellschaftsbild einer unvergleichlichen Zeit, startete der Thementag.
Das Phänomen Fred Adlmüller in einem Film von Robert Styblo . Foto: © Hannes Reisinger
Ohne zeichnen und schneidern zu können, hatte Fred Adlmüller eine beispiellose Karriere als Modeschöpfer begonnen. Es gelang ihm, dem Kriegsdienst vollständig zu entgehen. Er hatte als offen Homosexueller weder vor, während, noch nach der Nazizeit Probleme, indem er aus allen politischen Systemen seinen Vorteil zog – immer in den Diensten der Mode und Schönheit. Seine nach eigener Ansicht größte Chuzpe: Unmittelbar nach dem Krieg stellte er sich den Besatzern als „größter Modeschöpfer Österreichs“ vor. Daraufhin kleidete er nach den Frauen der Nazi-Größen bald die Gattinnen russischer Funktionäre, wie Frau Molotow, ein. Er baute ein Netzwerk zu Königshäusern und Herrschern in aller Welt auf, stattete die Damen des Wiener Opernballs aus und unterrichtete an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Mode, Schönheit, Kontroverse – kaum ließ sich die Biografie eines Modeschöpfers besser in diese drei Worte fassen.
Weder Täter, Freiheitskämpfer noch Opportunist
Im Podiumsgespräch erläuterte Robert Styblo, er habe den Modeschöpfer weder glorifizieren noch verurteilen wollen. Jeder solle sich selbst ein Urteil bilden. Adlmüller sei weder Täter noch Freiheitskämpfer oder Opportunist gewesen, sondern einer, der blendend verstand, aus allen Gesellschaftssystemen seinen Vorteil zu ziehen. Egozentrisch, aber großzügig, affektiert, arrogant, aber auch charmant wurde der Modedesigner von Zeitzeuginnen und Wegbegleitern im Film beschrieben. Lilo Hoffmann, ehemals Mannequin bei Adlmüller, sprach auf dem Podium offen und augenzwinkernd vom Zickenkrieg im Umfeld des Modekönigs und vom Umgang miteinander: „Er mochte mich nicht und ich mochte ihn nicht.“
Jana Zoglauer-Vinsová moderiert die Podiumsdiskussion mit Lilo Hoffmann, Robert Styblo und Raphael Payer. Foto: © Hannes Reisinger
Dritter Podiumsgast war Raphael Payer, der den Film als Modexperte begleitete: Fred Adlmüller habe vor allem Repräsentatives geschaffen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Designern aber habe er nicht aus sich selbst heraus oder aus der Inspiration der Kostümgeschichte geschöpft. Damit leitete er über zu der Ende 2022 verstorbenen Modeikone Vivienne Westwood. Die Britin mit ihren Statements gegen die Kommerzialisierung der Mode habe es schließlich geschafft, erfolgreich zu sein und dabei echt zu bleiben. Ihr großer Erfolg sei gewesen, dass sie den Punk mitentwickelt hat, als sie die Bühnenoutfits der Sexpistols kreierte, und somit aus dem Underground auf die Laufstege brachte. Dabei wollte sie sich nicht auf die „Queen of Punk“ festlegen lassen.
Tracht als Inspiration
Vivienne Westwood hat zeitlebens auf der ganzen Welt Trachten gesammelt und sich von ihnen inspirieren lassen, beispielsweise von barocken und viktorianischen Elementen. Zu ihrer unverwechselbaren Handschrift gehören neu und exzentrisch zusammengesetzte Kombinationen aus historischer Bekleidung, seltenem Textilgeweben und farbenfrohen Webmustern.
Ingrid Raab brennt leidenschaftlich für Haute Couture Mode. Foto: © Hannes Reisinger
Couture Mode von Fred Adlmüller, Vivienne Westwood und vielen anderen namhaften Modeschöpferinnen und Designern gibt es seit 45 Jahren bei Ingrid Raab in Wien in ihrem Vintage-Couture-Laden „FLO Vintage“. Die ehemalige ORF-Mitarbeiterin ist mittlerweile als Expertin international gefragt. Nicht selten klopfen die namhaften Modemacher bei ihr an, um in ihren Archiven zu stöbern und sich für die eigenen Kollektionen zu inspirieren, ebenso wie die Filmbranche. Ohne zu zögern hat die leidenschaftliche Sammlerin dem Thementag in Fratres eine Auswahl ihrer Designerroben für die Ausstellung überlassen und diese in einem kurzen Vortrag erläutert.
Seide und Naturmaterialien fühlen
Ingrid Raabs große Liebe gilt dem zu wenig gewürdigten Modeschöpfer Rudi Gernreich, der mit 16 Jahren wegen seiner jüdischen Herkunft nach Amerika emigrieren musste und dort „der Designer schlechthin und Vorreiter sämtlicher amerikanischer Designer“ wurde. „Sie dürfen’s ruhig angreifen“, ermunterte sie die Gäste des Thementages, die teuren Designer-Roben nicht nur mit Blicken zu erfassen: „Weil wir in unserer Fast-Fashion-Welt beinahe verlernt haben, wie sich Seide und Naturmaterialien anfühlen.“
Was verbindet Haute Couture Mode und Tracht? Überleitung zum Miesbacher Teil des Thementages. Foto: © Hannes Reisinger
Mit Seide und Naturmaterialien ging es auch beim dritten Teil des Thementages weiter: Ganze 30 Meter Seide werden im Schalk, dem Festtagsgewand der Frauen, verarbeitet. Darum wird er auch die „Königin der Tracht“ genannt. Autorin und Historikerin Verena Wolf stellte ihr Buch „Die Tracht in Miesbach“ und die Entstehung und heutige Bedeutung der Tracht im Miesbacher Raum vor. Anhand der kostbaren Stücke, die sie ausstellte und erläuterte, wurde nicht nur das Wesen der Tracht, sondern auch die Verbindung zwischen Festtagstracht und Haute Couture deutlich. An Herstellungsaufwand, handwerklicher Qualität, Erlesenheit der Materialien und damit auch ihrem Preis steht die Tracht der Designermode in nichts nach.
Verena Wolf präsentiert die kostbaren Leihgaben aus dem Tegernseer Tal und aus Miesbach. Foto: © Hannes Reisinger
Dabei stachen besonders die prachtvollen historischen Leihgaben des Museum Tegernseer Tal ins Auge: zwei Männerwesten mit zweireihigen Silberknöpfen, ein kostbarer Schalk und ein reich besticktes Mieder aus dem 18. Jahrhundert. Leonhard Röhrl steuerte zwei original Miesbacher Lederhosen aus den 60er-Jahren bei und Regina und Verena Alt ein komplettes Miedergewand mit Hut sowie ein Tanzgewand für Mädchen mit dem roten Spenzer und dem traditionellen „Boinkittel“.
Das Wesen der Tracht
Ähnlich wie Fred Adlmüller hat die Tracht politische Systeme überlebt und ist heute im Alltag und insbesondere an Festtagen im Landkreis Miesbach ein Ausdruck von Authentizität, Identität und Lebensgefühl. Verena Wolf war mit ihren Recherchen lange dem Geheimnis hinter dem Wesen der Tracht auf der Spur. In Fratres inmitten der Atmosphäre der Westafrika-Sammlung ist ihr bewusst geworden: Es ist etwas Archaisches, Ursprüngliches, das uns mit der Tracht verbindet. Etwas, das die Mode nicht leisten kann.
Alle Protagonisten und Mitgestalterinnen des Thementages „Mode – Schönheit – Kontroverse“; in den blau-weiß-roten Gewändern das Ensemble Marjánka. Foto: © Hannes Reisinger
Als Abschluss des Thementages war die Aufführung des 15-köpfigen Ensembles Marjánka ein Fest für Augen und Ohren. Der Wiener Tanz-, Musik- und Sprachverein widmet sich samt Hackbrett-Ensemble der stilisierten Folklore. Ihr Repertoire an Liedern und Tänzen ist so vielfältig wie seine Mitglieder und deren Vorfahren, die einst aus Böhmen, Mähren, Schlesien und der Slowakei nach Wien kamen. Aus dieser Mischung an Traditionen kreierten sie ihre eigene Tracht und versprühten generationsübergreifend zum Tagesausklang pure Lebensfreude mit ihren Liedern und Tänzen.
Peter Coreth bedankt sich bei den beiden Kuratorinnen des Thementages Jana Zoglauer-Vinsová (links, Kulturbrücke Fratres) und Ines Wagner (KulturVision). Foto: © Hannes Reisinger
Als Kuratorinnen-Team waren Jana Zoglauer-Vinsová und die Autorin des Artikels bereits 2018 in Fratres erfolgreich mit dem Thementag „Glaskunst im Dreiländereck“. Seit vielen Jahren ist der Verein KulturVision eng mit der Kulturbrücke Fratres verpartnert und beteiligt sich bei der Ausgestaltung der Sommer-Thementage.