„Moment, ich wecke den Kanzler“
Buchcover „Moment ich wecke den Kanzler“. Foto: Stefan Scheider
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
Flucht, Armut, politische Macht, gesellschaftliches Leben und soziales Engagement. So könnte man das Leben von Elisabeth Leutheusser von Quistorp zusammenfassen. Immerhin war sie Hausdame bei drei Bundeskanzlern. BR-Moderator Stefan Scheider hat ein Buch über das reiche Leben einer bemerkenswerten Frau geschrieben, das soeben erschienen ist.
Es trafen sich zwei Gmunder in Hamburg und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Stefan Scheider drehte einen Film über Caspar David Friedrich und Elisabeth Leutheusser von Quistorp besuchte die Kunsthalle. Sie sprach den Fernsehmann an und er lernte eine Frau kennen, der er ein literarisches Denkmal setzen wollte. „Gesamtkunstwerk Elisabeth“ nennt er es. Stefan Scheider kennen wir alle als Anchorman der „Rundschau“. Er ist KulturVision eng verbunden, unterstützt uns als Moderator, er gibt Kurse in Coaching, aber Schriftsteller?
Elisabeth Leutheusser von Quistorp und Stefan Scheider 2020 in Wismar. Foto: privat
Vor 30 Jahren habe er Computerbücher geschrieben, erzählt er, aber dies sei seine erste Biografie. Und er habe Blut geleckt, das sei sicher nicht die letzte. Das Schreiben sei ihm sehr leichtgefallen, denn in Coronazeiten seien alle Termine weggefallen und er habe sich tief in die Materie versenken können. Hilfreich sei gewesen, dass er das Leben seiner Protagonistin durch zahlreiche Begegnungen gut kannte, auch an Schauplätzen mit ihr gemeinsam war. „Vor den Kontaktbeschränkungen hatten wir ein paar Interviews und es war wichtig, ihr Gesicht bei den Erzählungen zu sehen“, erzählt Stefan Scheider, später habe man auf Sprachnachrichten zurückgreifen müssen.
„Ich bin ein dienender Mensch“
Elisabeth Leutheusser von Quistorp ist mit dem fertigen Buch zufrieden. „Er hat mich gut getroffen und viel herausgearbeitet, was mir so gar nicht bewusst war“, sagt sie. Im ersten Moment sei sie erschrocken gewesen, zu lesen, was sie alles gemacht habe. „Ich bin ein dienender Mensch und helfe Menschen, ihr Leben zu bewältigen“, erklärt sie. „Wenn das von außen wahrgenommen werde, dann kann das ja nicht so verkehrt gewesen sein, oder?“ fragt sie.
Die Familie von Quistorp stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, sie waren Großgrundbesitzer in Bauer bei Lassan am Peenestrom und eng verwandt mit Wernher von Braun. Schlechte Voraussetzungen im Frühjahr 1945, als die russische Armee einmarschierte. Viele von Quistorps wurden umgebracht, der Vater in das KZ Sachsenhausen verschleppt, wo er 1946 verhungerte. Die Mutter floh mit sieben Kindern, eins kam bei der Flucht ums Leben, Elisabeth war das jüngste. Man kam bei Verwandten am Niederrhein unter, aber die Nachkriegsjahre waren schwer. Sie lernte den Beruf der Kinderpflegerin und arbeitete in einem privaten Säuglingsheim in Gummersbach.
Jahre im Kanzlerbungalow
Luise Erhard erkannte das immense Organisationstalent der 20-Jährigen und so kam sie als Hausdame zu Kanzler Ludwig Erhard. Es folgten intensive Jahre im Kanzlerbungalow. Sie hatte Verantwortung und Macht. Als Mittelsmann zwischen dem Privatleben und dem Amt des Bundeskanzlers und als Filter sieht sie ihre damalige Stellung. Jedes Telefonat, jedes Papier landete zunächst bei ihr. Ein 24-Stunden-Job sei es gewesen. Bei Ludwig Erhard war sie von 1964 bis 1966 Hausdame, danach folgte Kurt Georg Kiesinger bis 1969 und danach Willy Brandt. Zu den Erhards aber, die sich in Gmund schon in den 50er Jahren niedergelassen hatten, blieb eine enge Verbindung. Ludwig Erhard war der Trauzeuge bei ihrer Hochzeit mit Brauereibesitzer Helmut Leutheusser.
Buchcover „Moment ich wecke den Kanzler. Foto: Elisabeth Leutheusser von Quistorp
Elisabeth Leutheusser von Quistorp gelang der Wechsel von der Politik zum gesellschaftlichen Leben, zuerst in Oberfranken, dann in Gmund, ihre Kinder Frank und Ina wurden geboren. Nach der Scheidung folgte der Spurwechsel zu ihrem sozialen Engagement. Ob Kriseninterventionsdienst oder Hospizkreis, in vielen Bereichen war sie von nun an für andere Menschen da.
Oft sei sie von Journalisten angesprochen worden, die ein Buch über ihr Leben schreiben wollten. Aber erst Stefan Scheider habe ihr volles Vertrauen gewonnen. „Er hat ausgewählt, was er schreibt und was er nicht schreibt“, lobt sie, denn sie habe ihm auch einiges am Rande erzählt. Und was ihr Leben im Kanzlerbungalow betreffe, „da hat er nie nachgefragt und nur das preisgegeben, was vertretbar ist“.
Das Buch „Bei Kanzlers“ ist eine Hommage an eine Frau, die auf ein reiches, nicht immer einfaches Leben schaut. Es gelingt Stefan Scheider bei all der Hochachtung, auch ein wenig Salz in die süße Lektüre zu streuen. „Am Ende muss es ein bisschen Gegenwind geben“, sagt er, „denn sonst ist es eine zu süße Sahnetorte.“ Dennoch konstatiert er: „Sie ist eine Superfrau, ich kenne niemanden, der so viel für andere tut und sich so wenig hervorhebt.“
Dieser Text erschien in der 34. Ausgabe der KulturBegegnungen, Seite 23.