Momo und die gestohlene Zeit
Momo (Laura Quaderer) und Kassiopeia (Nora Heimerl). Foto: Manfred Lehner
Familientheater in Holzkirchen
Mit Michael Endes Welterfolg „Momo“ hat sich das Fools-Ensemble des Freien Landestheaters Bayern ein Stück vorgenommen, das jeder kennt und liebt. Sarah Thompson gelang es, die Bilder im Kopf des Publikums zu einer dramaturgisch hoch interessanten und bewegenden Inszenierung zu formen. Dabei stellt sie einiges auf den Kopf.
Alle Darsteller glänzten unter der professionellen Führung der Theaterpädagogin durch großartige schauspielerische Leistungen, wobei zwei sehr junge im Mittelpunkt stehen. Laura Quaderer ist nicht nur optisch die ideale Besetzung des kleinen Mädchens Momo. Mit ihren strahlenden Augen, ihrem Lächeln und ihrer warmen, liebevollen Sprache verkörpert sie die Person des richtigen, des gelingenden Lebens, des Lebens, in dem Zeit nicht getaktet ist.
Gestohlene Zeit
Auch wenn es ihr offensichtlich nicht so gut geht. Mit einer Decke und einem aus Topflappen zusammengefügten Schal, barfuß, erinnert sie an ein Flüchtlingskind, allein und mittellos. Und dennoch will sie helfen, den Menschen die gestohlene Zeit zurückzugeben.
Momo (Laura Quaderer) und Beppo (Bernd Schmidt). Foto: Manfred Lehner
Was Zuschauer Arthur (9) auffiel, das war, dass Momos besondere Begabung, gut zuhören zu können, zu Beginn noch gar nicht zum Tragen kam. Vielleicht will die Regisseurin damit ausdrücken, dass auch Momo im Lauf des Prozesses sich entwickelt und nicht statisch bleibt, dass sie durch die Begegnung mit Meister Hora erst diese Qualität, dem Menschen Lebenszeit zu schenken, entwickelt.
Helfen will auch Kassiopeia, die Schildkröte. Sarah Thompson hat die Rolle der Weisen mit der erst neunjährigen Nora Heimerl besetzt. Ein kluger Einfall, denn damit zeigt sie, dass im Gegensatz zur landläufige Meinung das Kind weise ist. Nora berührt das Publikum mit ihrem ernsthaften, konzentrierten Spiel und ihren knappen, aber wesentlichen Äußerungen zutiefst.
Momo (Laura Quaderer) und Meister Hora (Sebastian Urmel Saurle). Foto: Manfred Lehner
Auf der guten Seite der Geschichte um die Zeit steht auch Meister Hora, der den Menschen ihre Lebenszeit zuteilt. Auch Sebastian Urmel Saurle ist für den Herrn mit weißem Haar und weißem Bart viel zu jung, aber dennoch das souveräne Wesen, das ihm Michael Ende zuschreibt.
Nur den nächsten Schritt denken
Dazwischen agieren Momos Freunde, die am Anfang der Geschichte noch voller Lebensfreude sind, dann aber zu Wesen mutieren, die in die Fänge der Zeitstehler geraten. Bernd Schmidt ist der weise und liebenswürdige Straßenkehrer Beppo, der die wohl berühmteste Passage aus Endes Buch spricht. Man dürfe niemals die ganze Straße sehen, die zu kehren ist, sondern immer nur den nächsten Schritt denken. „Dann macht man seine Sache gut.“
Gigi (Andrea Beier), Momo (Laura Quaderer) und Beppo (Bernd Schmidt). Foto: Manfred Lehner
Arthur sagt: „Ich mag den Straßenkehrer, der hat einen Beruf, der nicht so cool ist, den man aber braucht.“
Gigi, die Fremdenführerin zeigt schon durch ihr verändertes Outfit, dass sie dem Konsumismus verfällt. Andrea Baier, mit dem Smartphone in der Hand, hat keine Zeit mehr, wird immer nervöser und erkennt eine andere Weisheit: „Das Gefährlichste ist, wenn alle Wunschträume in Erfüllung gehen.“ Arthur findet Andrea Baier in ihrem Spiel sehr cool, aber auch die tollen Sachen, die sie am Ende anhat.
Verwandlung zum angepassten Bürger
Aus Herrn Fusi, dem Frisör, wird ein Polizist. Wie so viele verkauft er für ein bisschen Wohlstand seine Seele. Cornelius Heuten zeigt die Verwandlung vom Menschen, der Zeit für seine Mutter, für den Wellensittich oder gar für Bücher verplempert, zum angepassten Bürger glaubwürdig.
Ebenso agiert Detlef Dauer als Wirt. Nachdem die Pacht erhöht wurde, muss er endlich mal an sich denken, schließlich machen es ja alle so und letztlich wird er mit Käppi zum Burgerbrater. Seine Frau Liliana (Christa Bergmeier) indessen sieht diese Verwandlung sehr kritisch.
Die grauen Damen
Schuld an der Verwandlung der Menschen von fröhlichen, lebenslustigen Typen hin zu Zeitsparern, Hektikern und Geldhinterherjagern sind die grauen Damen. Johanna Heuten, Heidi Thompson, Anja Erbricht und Christa Bergmeier geben diese kalten, grauen, an ihren ewigen E-Zigaretten saugenden Agenten der Zeitsparkasse schauspielerisch brillant. Und die Damen, wieder eine Umkehrung in der Inszenierung, agieren genauso skrupellos wie die Herren im Roman Michael Endes.
Die grauen Damen umkreisen Momo. Foto: Manfred lehner
Sie schauen sich niemals in die Augen. Sie sprechen staccato, in Zahlen, unmenschlich. Sie sind auch keine Menschen, saugen diese aber aus, stehlen ihre Zeit und tun das dramaturgisch immens geschickt inszeniert. Sarah Thompson und Cathrin Paul haben das Stück von Michael Ende, das an sich schon zeitlos ist, noch einmal in unsere Zeit transportiert und es damit verstörend aktuell gestaltet.
Nur Momo lässt sich nicht in die Falle locken, auch nicht durch das Geschenk der grauen Damen, die automatische Puppe Bibi Girl, von Julia Quaderer beängstigend roboterhaft gespielt.
Vroni Muth begleitet mit der Geige
Zum Gelingen der Inszenierung trägt auch das Bühnenbild (Sarah Thompson, Reinhold Schmid) bei, bestehend ausschließlich aus Stühlen mit verspiegelten Sitzen, die die Kälte demonstrieren. Die Kostüme von Angelika Hubner und Tamara Krüger beinhalten gekonnt die Symbolik der Figuren.
Was Arthur neben den Schauspielern besonders gefallen hat, war die Musik. Vroni Muth begleitet das Geschehen mit der Geige enorm einfühlsam. Prädikat: Unbedingt ansehen! Nur leider sind fast alle Vorstellungen bereits ausverkauft. Aber vielleicht gibt es Zusatzvorstellungen?