Mordendes „Maskottchen“: Kill Katzelmacher!
Der neue Calsow-Krimi handelt in der Landeshauptstadt im Jahr 1948. Foto: MC
Buchrezension
Seinen neu erschienenen Roman hat Krimischriftsteller Martin Calsow im München des Jahres 1948 verortet. Dem Tegernsee ist er damit jedoch nicht untreu geworden. In „Kill Katzelmacher“ kämpfen zwei ungleiche Männer in einen Wettlauf mit der Zeit gegen Nazis und Antisemitismus, Korruption und einen skrupellosen Häuter.
Bisher waren seine Helden Einzelkämpfer – angefangen beim Arzt Jan Kistermann im Debütroman „Der Lillith Code“, Ermittler Andreas Atlas in seinem Teutoburger-Wald-Krimi und schließlich Kommissar Max Quercher in der Krimireihe am Tegernsee. Zähe Querulanten und unbeirrbare Dickschädel allesamt, die sich mit Sarkasmus und Provokationen Feinde machen und liebevoll, beinahe zärtlich zu Freunden sind. In „Kill Katzelmacher!“ hat Martin Calsow nun seine Aufmerksamkeit auf ein ungleiches Männerduo verteilt. In welchen mehr vom Alter Ego des Krimischriftstellers steckt, lässt sich für Fans des Autors unschwer erkennen. In der Auflösung, wer als Vorbild für den anderen dient, liegt ein Stück Biografie, die sich am Schluss erklärt.
Feinstein und Steinmüller
Der Spruch „Gegensätze ziehen sich an“ ist wohl eher für die Liebe reserviert. Dass Marcus Feinstein und Harald Steinmüller im Nachkriegsmünchen miteinander arbeiten und zurechtkommen müssen, begeistert anfänglich keinen von beiden. Der eine, ein arisch wirkender Hüne mit blonden Haaren und blauen Augen, ist Jude. 1936 als Jugendlicher zur Tante nach New York emigriert und nun, eher ungern, als First Lieutenant der US Army zurück in der alten Heimat. Der andere ein ehemaliger Wehrmachtsoldat und Feingeist. Der schmale und ehrgeizige Polizist mit dunklen Augen liebt das Klavierspiel und die klassische Musik. Die scheinbar vertauschten Rollen beider sind einer der genialen Einfälle des Autors. Auch die Namensähnlichkeit der beiden scheint nicht zufällig gewählt.
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Die Männer kommen sich zwangsläufig näher, als das Nachkriegsmünchen, in dem die amerikanischen Besatzer versuchen, die Normalität wiederherzustellen und die Deutschen in absehbarer Zeit in Demokratie und Eigenverantwortung zu führen, von einer Serie grauenvoller Morde überschattet wird. Bald wird deutlich, dass es trotz Gegensätze bei ihrer gemeinsamen Arbeit weniger um Herkunft, Religion oder Menschen mit „besonderen Talenten“ geht, sondern vielmehr um „besonders menschliche Menschen“. Der gegenseitige Respekt, aus dem sich allmählich eine Freundschaft entwickelt, ist beiden Lagern ein Dorn im Auge.
Menschliche Abgründe
In einem genial verwobenen Geflecht aus Macht, Intrigen, Verrat und Liebe entwickelt Martin Calsow seine Geschichte, in der ein Häuter die Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Die Opfer sind allesamt SS-Männer – der oder die Täter deshalb womöglich sich rächende Juden? Bald ist das ungleiche Duo auf einer heißen Spur, die an den Tegernsee führt. Feine Fährten hat der Autor ausgelegt, die der Leser zwischen den Seiten aufnehmen und verfolgen muss, um den Faden im Beziehungsgeflecht aus Besatzern, Polizeibeamten, Spitzeln, traumatisierten Juden und Nazi-„Bestien“ nicht zu verlieren. Wo es brutal wird, liegt auch Zärtlichkeit, wo Menschlichkeit anstünde, lauert Verrat. Martin Calsow führt seine Leser gern die menschlichen Abgründe in schmerzhafter Deutlichkeit vor Augen.
Das Aufgebot an Protagonisten und Statisten in diesem hervorragend recherchierten Nachkriegskrimi ist groß, sodass es sich lohnt, sorgfältig zu lesen und durchaus ab und an die eine oder andere Wissenslücke mithilfe von Google zu schließen.
Quercher Fans aufgepasst
Eingefleischte Calsow-Fans kommen auf ihre Kosten, wenn sie hie und da eine Duftmarke ihrer Helden in diesem Nachkriegskrimi entdecken. Nicht von ungefähr heißt Feinsteins New Yorker Tante, die bald kräftig mitmischt, Regina, und auch dem Quercher wurde eine Statistenrolle zuteil – am Tegernsee leben eben Familien mit langem Stammbaum.
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Martin Calsow hat gekonnt seinen Leserkreis ausgeweitet und den Münchener Krimi trotzdem ins Tegernseer Tal verlegt. Am Ende überrascht ein Cliffhanger, von dem man sich wünscht, dass es weiter geht. Aber vielleicht folgt ja auch hier eine Fortsetzung. Und wenn nicht, können sich die Fans zumindest auf den siebten Quercher freuen, der aller Voraussicht nach im Herbst erscheinen wird. Wer bis dahin nicht warten will, nimmt sich noch einmal „Der Lilith Code“ vor, den ersten Roman des Krimischriftstellers, der auch als eine Art Fortsetzung von „Kill Katzelmacher!“ gelesen werden könnte.