Der Klang der Oboe ist ein kühles Grün
Musico Philia – ein Stück des Meta Theaters, Regie Axel Tangerding. Foto: Meta Theater
Theaterperformance in München
Welche Farbe hat E-Moll? Wie schmeckt die große Terz? Mit „MUSICO PHILIA“ hat das Meta Theater Fallbeispiele des berühmten Neurologen Oliver Sacks auf die Bühne gebracht – als geheimnisvolle Welt neuronaler Korrelationen aus Musik und Gehirn.
Axel Tangerding, Architekt und experimenteller „Theatermacher“, Regisseur und Gründer des Meta Theaters, hat Oliver Sacks in Paris im Rahmen einer Theaterproduktion kennen gelernt. Fasziniert von den Erkenntnissen, die sich aus der Erforschung der Wirkung von Musik auf das Gehirn ergeben, hat er gemeinsam mit Bachmann-Preisträger Norbert Niemann aus über einhundert Fallstudien aus Sacks Buch „Der einarmige Pianist“ neun Beispiele herausgefiltert und großartig für die Bühne bearbeitet. Im Rahmen der Kontakte mit dem Neurologen ergab es sich auch, dass dieser für die Theaterproduktion einige seiner wichtigen Erkenntnisse „eingesprochen“ hat: Anfangs- und Schlusssätze der Aufführung, die nun, nach Sacks Tod 2015, ein kostbares Erbe sind.
Wie tief ist Musik im Gedächtnis verhaftet?
Begleitet wird das Theaterstück, das bereits in New York, Shanghai und weiteren Stationen weltweit erfolgreich gastiert hat, nun im „Schwere Reiter“ in München mit neurowissenschaftlichen Vorträgen von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts Leipzig. Zum Auftakt der dreitägigen Aufführungsreihe sprach Dr. Daniela Sammer über die Einflüsse von Musik auf die Spracherwerbung von Kleinkindern und die Wirkung von Musik und Gesang bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten. Wie aber geht das nun zusammen, Neurowissenschaft und Theaterbühne? Natürlich spielt die Musik eine der Hauptrollen.
Musico Philia – Musik, Psycholigie, Theater. Foto: Meta Theater
Eigens für das Stück komponierten Steffen Wick und Simon Detel intensive Musik- und Klanglandschaften, durch welche die beiden Hauptdarsteller Peter Pruchniewitz und Cornelia Melián die Zuschauer mitnehmen auf eine Reise in die Gehirne von Menschen, die an seltenen neurologischen Krankheiten leiden. Da ist beispielsweise eine Komponistin mit „absolutem Gehör“, die aufgrund eines Unfalls ihre Fähigkeit zum polyphonen Hören verliert. Die vier Stimmen eines Streichquartetts werden für sie zu messerscharfen, schmerzhaften Laserstrahlen.
Licht- und Soundeffekte und starkes Schauspiel. Foto: Meta Theater
Ein fünfjähriger Junge, der bei verschiedenen Tonarten unterschiedliche Farben von intensiver Strahlkraft sieht, kann nicht verstehen, dass diese Gabe des „Farbenhörens“ nicht jeder Mensch hat. Und eine Demenzpatientin lernt durch Singen wieder ihre Bedürfnisse zu kommunizieren, wo sich das Sprechen schon lange verabschiedet hat. Ausserdem geht es um musikalische Halluzinationen, Amusie, Hirnwürmer und weitere Phänomene. Die Bühne aus neun begehbaren Zylindern, gleich medizinischen Beobachtungszellen, wird durch Lichtinstallationen zum eindrucksvollen Spiegel der musikalischen Wahrnehmungen.
Besonderer Grat: Grenze zwischen Gehirn und Geist
„MUSICO PHILIA“ ist eine Annäherung ans Innenleben der Menschen in Sacks Buch, der Versuch eines Zugangs zu „anderen Welten“. Zugleich ist es ein Experiment: Wie wirkt die Musik auf das Publikum? Gertrud Schilde an der Violine und Mathias Beyer-Karlshoj am Cello lassen diese Musik zu einer Erfahrung werden, mit der die Zuhörer auch an die Grenzen des Hörbaren geführt werden: In die Köpfe von Menschen, in denen sich die Musik verselbständigt.
Tänzerin Katja Wachter unterstützt Cornelia Melián als „Bewegungsdouble“, weil sich die Schauspielerin nach einem Bandscheibenvorfall nicht bewegen kann. Wachter ist eine wachsame „Bewegungserforscherin“ mit beeindruckendem Tanzausdruck. Beide ergeben eine intensive Symmetrie, beinahe wie zwei Gehirnhälften, durchflutet von der Musik, den intensiven Farben, Lichtspielen und Klangwelten der großartigen Aufführung.