Standing Ovations für den jungen Starpianisten
Jan Lisiecki brillierte beim Musikfest Kreuth am Tegernsee. Foto Holger Hage / Deutsche Grammophon
Konzert am Tegernsee
Jan Lisiecki ist zum zweiten Mal beim Musikfest Kreuth am Tegernsee zu Gast. Bereits 2019 hat er die Herzen der Klassikliebhaber erobert. Beim diesjährigen Konzert hatte er vor allem Chopin und Mendelssohn Bartholdy dabei – zwei Komponisten, die er über alle Maßen schätzt.
Als er nach pandemiebedingter Pause endlich wieder auf Konzertreise aufbrechen konnte, hatte der junge Kanadier Jan Lisiecki viel Mendelssohn in seinem Gepäck. Er bettet dessen beredte Klänge ein in ein Rezital, das zwischen zart und hochvirtuos alle Qualitäten des Klaviers ausspielt. Der andere Komponist, den er – aber nicht nur – wegen seiner eigenen polnischen Wurzeln schätzt, ist Chopin. Kein Wunder, wenn bei diesem außergewöhnlichen Konzert in der Tenne von Gut Kaltenbrunn gerade diese beiden Komponisten den größten Raum des Abendprogramms einnahmen.
Musikfest Kreuth am Tegernsee 2021 – Jan Lisiecki
Es war der erste Konzertabend in der Tenne von Gut Kaltenbrunn im diesjährigen Konzertzyklus und es stand den Gästen förmlich ins Gesicht geschrieben, wie lange und wie sehr sie sich nach Konzerterlebnissen wie diesem gesehnt haben. Drum war auch das erste Stück, das der 26-jährige Klaviervirtuose ausgewählt hatte, wie kein anderes dafür prädestiniert, das Klavierrezital furios zu eröffnen: Beethovens Rondo a capriccio G-Dur op. 129, besser bekannt unter dem Titel: „Die Wuth über den verlornen Groschen, ausgetobt in einer Caprice“.
Gerade einmal Mitte zwanzig war Beethoven, als er das energiegeladene, feurige Werk komponierte – im gleichen Alter etwa wie heute der junge Starpianist. Dessen Leidenschaft und Spielfreude an diesem Stück war gleichwohl ein stürmischer Willkommensgruß an das Publikum, der mit großer Begeisterung quittiert wurde: endlich wieder Konzerte – und endlich, ach! So eine wunderbare Qualität von klassischer Musik.
Jan Lisiecki am Flügel – Musikfest Kreuth am Tegernsee 2021. Foto: IW
Liebevoll, zärtlich und mit fast elfenhafter Leichtigkeit durchfluteten als nächstes die Klänge zur Einleitung des „Rondo capriccioso“ Felix Mendelssohn Bartholdys den Raum. Zwischen zart und hochvirtuos spielte Jan Lisiecki alle Qualitäten des Flügels aus. Sensibel und romantisch mit singender Melodik und einem Hauch getragener Schwermut führte er die Konzertgäste ein in das Larghetto und Andante aus den Nocturne op. 9 von Frédéric Chopin und damit in die romantische Seele des Komponisten.
Dass Mendelssohn Bartholdy seinen Zyklus „Lieder ohne Worte“ zur selben Zeit und dennoch einen vollkommen neuen Gattungstyp erschuf, ließ sich anhand dieser wunderbar gelungenen Gegenüberstellung nachvollziehen. Rein, einfach, elegant und tief emotional interpretierte der Jungstar Mendelssohns und Chopins Kompositionen der Frühromantik, die wunderbar ineinander übergingen. Seine Qualitäten als Tasten-Schnellläufer kamen dabei jederzeit zur Geltung – ebenso wie die tief sinnlichen Empfindungen, die den leisen Tönen und erhabenen Passagen innewohnen.
Die großen Orchester der Welt
Jan Lisieckis Interpretationen und Technik zeugen von einer Reife, die seinen jungen Jahren weit voraus ist. Längst ist er deshalb ein international gefeierter Star, der bereits mit den New Yorker Philharmonikern, dem Chicago Symphony Orchestra, der Staatskapelle Dresden, dem Orchestre de Paris, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem London Symphony Orchestra konzertiert hat.
Mit Frédéric Chopins Ballade f-moll op. 52 und den Variations sérieuses d-moll op. 54 von Felix Mendelssohn Bartholdy, mit denen der gefeierte Pianist noch einmal mehr sein ganzes Können unter Beweis stellte und mit seiner jugendlichen Spielenergie und Variationsfreude die Herzen des Publikums berührte, ging der offizielle Teil des Konzertes zu Ende. Die Gäste indes wollten es keineswegs dabei bewenden lassen und konnten nicht aufhören, langanhaltenden Beifall zu spenden. Solange, bis Jan Lisiecki sich noch zu zwei Zugaben auf die Bühne bitten ließ. Und das, obwohl es an diesem Abend bereits das zweite Konzert war, dass er in der Tenne auf Gut Kaltenbrunn spielte.