Babylonisch, virtuos und schräg – wer ist Alex?
Posaunist Sebi Tramontana, Dramaturgin Julia Wahren, Countertenor Christopher Robsen und Pianistin Masako Ohta (v.l.) in der Musikperformance „Alex. Reality Tips and Tricks“. Foto: Judith Buss
Kultur in München
Ein Experiment aus Text, Klang, Bild und Raum rund um die Wahrnehmung und ihre Tücken begeisterte im HochX Theater München die Zuschauer an drei Abenden.
Was ist Wirklichkeit? Ist es das, was ich sehe und höre? Wenn ja, was sehe oder höre ich nun eigentlich genau – und dann, was schlussfolgere ich daraus? Also vielmehr, verstehe ich denn, was ich sehe und höre? Interpretiere ich richtig? Oder etwas ganz anderes als mein Sitznachbar? Da ist sie wieder, die berühmte Frage nach der Wahrheit. Und die Schlussfolgerung, dass es vielleicht auch viele Wahrheiten und nicht nur die eine gibt. Viele Wahrnehmungen, Annahmen, Zuschreibungen.
Eine rote Mütze voll Glück. Foto: Judith Buss
Die Musikperformance „Alex. Reality Tips and Tricks“ ist solch ein virtuoses Spiel mit der individuellen Wahrnehmung. Vier Musikerinnen und Musiker, Performer und Darstellerinnen experimentieren mit Text, Klang, Bild und Raum. Und im Mittelpunkt steht die fiktive Figur Alex, die von den vier Menschen auf der Bühne gleichsam immer wieder neu erfunden wird. Mit großer Lust daran, ein Bild zu zeichnen, das so oder auch so sein könnte. Ist Alex ein Er oder eine Sie? Was eigentlich macht Alex hier? Und wo will Alex hin in seinem Leben? Fakt ist: Alex ist eine schillernde Figur voller Widersprüche.
Sprache wird Raum wird Musik
Wie ein Kaninchen aus dem Hut entsteht und verschwindet Alex in diesem Experimentierlabor auf der kleinen, schwarzen Bühne im HochX Theater München. Wandelt sich. Wird zum Gesamtkunstwerk unterschiedlicher Dimensionen. Aus übereinandergestapelten Stühlen, aus Hierhins und Dorthins, aus Gemeinsamem und Solistischem. Aus Tönen, Wörtern, Klängen, die aus vier Mündern in vier Sprachen strömen, aus zwei Instrumenten und allerhand Klangkörpern, aus einer knarrenden Schranktür und nicht zuletzt einem Text, der digital über die Bühne läuft.
Dramaturgin Julia Wahren hat Alex „getextet“ und auf die Bühne gebracht. Foto: Judith Buss
„Alex“ ist ein Feuerwerk an Gedanken, das sich als Karussell in den Köpfen der Zuschauenden weiterdreht. Hier erfinden alle gemeinsam Alex. Und niemals lässt er oder sie sich richtig fassen. Denn, wozu auch? „Die Wirklichkeit ist ein höchst dubioses Ding“, meint Julia Wahren. Von ihr stammen Konzept, Texte und Regie der Performance. Die Dramaturgin, Regisseurin und Journalistin hat auch Musik studiert. Seit Jahren verbindet sie Theater, Sound und Voice Art – auf nationalen und internationalen Bühnen und im öffentlichen Raum. Die Bühne im HochX Theater teilt sie mit drei bekannten Münchener Improvisationsgenies: mit der Pianistin Masako Ohta, die das Klavier als Fantasieinstrument bespielt, dem Avantgarde-Posaunisten Sebi Tramontana und dem Countertenor Christopher Robsen, Spezialist für Alte und Neue Musik.
Die Bühne wird zum Gestaltungsraum – sie stammt, wie auch die Kostüme, von Barbara Fumian. Foto: Judith Buss
In deutscher Sprache, auf Italienisch, Japanisch und Schottisch nähern sie sich Alex. Gesprochen, gesungen, auf den Instrumenten und wunderbar performt. Vier Menschen – ein babylonisches … nein, nicht Gewirr. Eine inspirierende, erfrischende, rasante, nachdenkliche, manchmal innehaltende, dann wieder vorwärtsdrängende, begeisternde Performance. Etwas, das es so vor oder ohne Corona nicht geben würde. Das es nun mit einer immerhin wieder fünfzigprozentigen Auslastung der Theater gibt, ermöglicht auch durch eine Förderung im Rahmen von NEUSTART KULTUR #TakeAction der Bundesregierung .
Was ist Glück?
Endlich wieder Theater, Performance, Konzerte, Kultur. Oder die schillernde Figur Alex, der von jedem von uns etwas innewohnt – mit aller Begeisterung, allen Fehlern und Schwächen, freudigen Luftsprüngen und depressiven Momenten, auf der Suche nach dem Glück. Und das Glück, es sieht für jeden anders aus. Und gut so.