Meine Familie und ihr Henker
Jennifer Roger und Niklas Frank. Foto: Hannah Miska
Lesung mit Niklas Frank in der Schlierseer Bücheroase
Es ist Jennifer Rogers Verdienst, Niklas Frank zu einer Lesung in die Bücheroase eingeladen zu haben. Dass der Buchladen jedoch — bei diesem für die Schlierseer doch eher schwierigen Thema der Vergangenheitsbewältigung — mit über dreißig Zuhörern fast aus den Nähten platzte, hat die Inhaberin der Bücheroase selbst überrascht. Sie freute sich insbesondere auch über die Anwesenheit junger Menschen.
„Roosevelt ist tot. Jetzt gewinnen wir den Krieg.“ Niklas Frank erinnert sich, wie sein Vater jubelnd durch den Schoberhof rannte, rauf in den ersten Stock, wieder runter, durch die Halle, in die Bauernstube. Das war am 12. April 1945. Kurze Zeit darauf, am 4. Mai 1945, wurde der Vater von den Amerikanern festgenommen – in seiner letzten „Geschäftsstelle“ als Generalgouverneur von Polen, die er sich nach seiner Flucht aus Krakau im Café Bergfrieden im Neuhauser Ortsteil Josefstal eingerichtet hatte.
Hans Frank, genannt „Schlächter von Polen“
Hans Frank, Jahrgang 1900, promovierter Jurist, kunstsinnig und musisch, trat früh in die NSDAP ein und legte eine steile nationalsozialistische Karriere hin: Mit 33 Jahren wurde er Justizminister von Bayern, gleich darauf Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz, 1934 trat er als Reichsminister ohne Geschäftsbereich in die Reichsregierung ein, und nach der Besetzung Polens übertrug ihm Adolf Hitler das Amt des Generalgouverneurs der besetzten und nicht ins Reich eingegliederten Gebiete Polens.
Hans Frank mit seinem geliebten Führer. Foto mit Genehmigung Niklas Franks.
Frank richtete seinen Amtssitz auf der Krakauer Burg Wawel ein, dem ehemaligen Sitz der polnischen Könige, und begann flugs mit der Errichtung eines Schreckensregimes gegen die Zivilbevölkerung: Die Führungselite wurde liquidiert, Universitäten und Schulen wurden geschlossen (die Schulbildung der Polen sollte nicht über einfaches Rechnen, das Schreiben des Namens und die Lehre vom Gehorsam gegenüber den Deutschen hinausgehen), und innerhalb von sechs Monaten beschlagnahmte der Kunstliebhaber – nicht ohne sich selbst dabei reichlich zu bedienen – den gesamten Kultur- und Kunstbesitz des Landes. Die Juden wurden gettoisiert – Ehefrau Brigitte assistierte, indem sie den Juden für wenig Geld und gegen allerlei Heilsversprechen die letzten Pelze und Juwelen abnahm – zahllose Zwangsarbeits- und Konzentrationslager und schließlich die Vernichtungslager Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek errichtet.
Kindheit und Trauma
Die Frank-Kinder: Norman, Michel, Niklas, Sigrid, Gitti (v.l.), Schoberhof 1941. Foto mit Genehmigung Niklas Franks.
Niklas Frank wird 1939 als fünftes Kind des Ehepaars Frank geboren. Er wächst in Fischhausen und auf der Burg Wawel auf, führt ein zunächst sorgenfreies und durchaus komfortables Leben, das allerdings spätestens sechs Jahre später mit der Verhaftung und anschließenden Verurteilung des Vaters ein Ende findet. Hans Frank wird im Oktober 1946 im Nürnberger Prozess wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tod durch den Strang verurteilt.
Zu dem Zeitpunkt war Niklas Frank sieben Jahre alt. Man mag es sich nicht vorstellen: Die langsam wachsende Erkenntnis in dem Jungen, dass sein Vater zu den Hauptverbrechern des Nazi-Regimes gehörte, die Erschütterung, das Grausen, die Fragen nach dem Warum. Nirgends fand er Antworten: nicht in der Familie, nicht in einem Nachkriegsdeutschland, das ein Meister im Verdrängen war.
Abrechnung mit der Familie
Niklas Frank ist seinen eigenen Weg gegangen. Er hat begonnen, alles zu sammeln und zu lesen, dessen er habhaft werden konnte über seinen Vater; er saß in Archiven und recherchierte, er interviewte Zeitgenossen. Er wurde Journalist und Autor – und veröffentlichte, knapp 50jährig, schließlich eine Abrechnung mit seinem Vater. Es folgten ein Buch über seine Mutter und seinen Bruder Norman. Mit seinem jüngsten Buch „Meine Familie und ihr Henker“ ergänzt er nun die Trilogie und legt, eingebettet in seine eigenen Erlebnisse sowie Ergebnisse seiner Recherchen, den Briefwechsel seines Vaters aus der Nürnberger Gefängniszelle mit dessen Frau Brigitte, mit den fünf Kindern, mit der Mutter, mit der Jugendgeliebten Lilly vor.
Das neue Buch von Niklas Frank. Foto: Hannah Miska
Es ist keine einfache Lektüre. Man begibt sich – wie Niklas Frank selbst – auf die Suche nach einem Schuldeingeständnis des Vaters. Der gab vor Gericht zwar „unter dem Eindruck dessen, was er im Prozess erfahren hätte“, eine diffuse Verantwortung für die Judenvernichtung zu, relativierte jedoch seine eigene Schuld erheblich. „Aber wenn Adolf Hitler persönlich diese furchtbare Verantwortung auf sein Volk gewälzt hat, dann trifft sie auch mich…Tausend Jahre werden vergehen und diese Schuld von Deutschland nicht wegnehmen.“
Also leb ich ewig und drei Tag
Niklas Frank seziert das „Schuldeingeständnis“, das keines war, und nimmt Franks Briefe unter die Lupe, in denen 550 mal „Gott“ vorkommt, 16 mal „göttlich“, 99 mal „gnädig“, 148 mal „Schicksal“. Nach dem „verfluchten Wörtchen mit den sechs Buchstaben und dem dunklen ‚u‘ dazwischen“ sucht der Sohn – auch in den Antwortbriefen der Familie – vergeblich. Vergeblich sucht er nach einem Wort der Empathie des Vaters mit den Opfern.
Niklas Frank bei der Diskussion in der Bücheroase Schliersee. Foto: Hannah Miska
Den Schmerz für die Opfer trägt Sohn Niklas nun in sich und schreit ihn in seinen Büchern hinaus. In der sich an die Lesung anschließenden, sehr lebhaften Diskussion wurde deutlich, wie besorgt Niklas Frank um unsere fragile Demokratie ist, und warb für zivilgesellschaftliches Engagement. So endet denn auch sein Buch mit den Worten: „Niklas, genannt ‚Niki‘, lebt noch so lange, bis aus Deutschland eine Herzensdemokratie geworden ist, weil die Deutschen ihre Verbrechen während der Hitler-Zeit anerkannt haben, den Schmerz darüber empfinden, trotzdem ein pralles Leben führen und endlich empathisch reagieren. Also leb ich ewig und drei Tag‘!
Wir wünschen uns beides: Die Herzensdemokratie und ein langes Leben für den Autor.
Zum Weiterlesen: Frau Hullewulle – Kinderbücher für die Ferien