Dem Schmerz ein Gesicht geben

Szene aus „No Other Land“. Foto: Polyfilm

Filmmatinée in Holzkirchen

Israelis und Palästinenser kämpfen seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 um Land, Anerkennung und Sicherheit. Der immer wieder und auch aktuell zum Krieg mutierte Konflikt dürfte selbst den weniger aufmerksamen Beobachtern des Zeitgeschehens bekannt sein. Wie dieser Konflikt das Leben konkreter Menschen betrifft, gerät in der weltpolitischen Betrachtung mitunter aus dem Blick. Der Film „No Other Land“ zeigt eine solche Perspektive auf. In der Filmmatinée der KulturVision-Reihe „anders wachsen“ wurde er nun im Holzkirchner FoolsKINO gezeigt.

Masafer Yatta: Wohnen oder schießen?

Ausgangspunkt des Films ist der seit mehreren Jahrzehnten währende Kampf um die Region Masafer Yatta, die südlich von Hebron im Westjordanland liegt. Die Bevölkerung dort sieht sich dem israelischen Militär gegenüber, das das Land seit 1967 kontrolliert und es als Schießübungsplatz nutzt. Regelmäßig tauchen Bagger und andere schwere Baufahrzeuge auf, um, von Soldaten eskortiert, die palästinensischen Häuser zu zerstören. Diese haben aus israelischer Sicht keine gültigen Baugenehmigungen. Der Film dokumentiert den verzweifelten Kampf der Palästinenser gegen das Vorgehen des israelischen Militärs – ein Vorgehen, das für die Bewohner der Dörfer Masafer Yattas einem Apartheids-System gleich kommt.

Kein richtiges Leben im falschen

Die Perspektive, aus der heraus die Not der palästinensischen Bevölkerung in diesem Teil des Westjordanlandes betrachtet wird, ist die von Co-Regisseur Basel Adra. Er und der israelische Journalist Yuval Abraham freunden sich an und bilden ein ungleiches Paar, geeint nur durch die Ablehnung der Politik des israelischen Militärs. Während Yuval Abraham sich frei bewegen kann, ist es seinem Freund verboten, palästinensisches Gebiet zu verlassen.

Rachel Szors Kamera fängt die skrupellosen Zerstörungen der Bagger in zum Teil schwer zu ertragenden Bildern ein: Niedergerissen werden Häuser, Ställe, der Lebensmittelpunkt palästinensischer Familien. Und wenn es nicht die Soldaten sind, die Zerstörung bringen, dann tauchen israelische Siedler auf und attackieren die Bewohner der palästinensischen Dörfer mit Steinen, drohen mit ihren Schusswaffen. Bei Drohungen bleibt es indes nicht: Zwei Palästinenser werden von Israelis auch erschossen.

Zwischendurch zeigt „No Other Land“ immer wieder Alltag im Leben der Bewohner Masafer Yattas. Dieser Alltag hat fast etwas „normales“ an sich. Etwa, wenn ein Mädchen im Bett liegt und mit dem Handy spielt, während seine Mutter es ermahnt, das Handy wegzulegen. Doch kann es ein richtiges Leben im falschen geben, um mit dem Philosophen Theoodor W. Adorno zu sprechen?


Ungleiches Paar. Der palästinensische Aktivist und Filmemacher Basel Adra (links) und sein israelischer Freund, der Journalist Yuval Abraham. Foto: Yabayay Media / Antipode Films

Vielschichtiger Film

Der Film beeindruckt auf mehreren Ebenen. Zum einen kommt er gänzlich ohne antisemitische Vorurteile aus. Das ist beim Thema des Filmes nicht einfach, wie die Auseinandersetzung um die Verleihung des Preises als Bester Dokumentarfilm bei der Berlinale 2024 zeigte. Dort wurde die Rede des israelischen Co-Regisseurs Yuval Abraham vielfach als antisemitisch gebrandmarkt. Gesagt hatte er, dass die Apartheid zwischen ihm und Basel Adra enden müsse. Doch das ist genauso wenig antisemitisch wie auch der Film kein antisemitischer ist: Die Wut der Palästinenser dort richtet sich nicht verallgemeinernd gegen „die Juden“, sondern gegen das israelische Militär. Und sie greifen auch nicht zu Gewalt gegen Unbeteiligte, eine Maßnahme, die palästinensischen Terrororganisationen gemein ist. In all ihrer Wehrlosigkeit werfen sie den Soldaten lediglich Beschimpfungen entgegen. Was vorherrscht ist pure Verzweiflung.

Beeindruckend ist zudem auch die bildliche Verknüpfung des Leids der Palästinenser mit der Konstruktion des Films selbst. Die immer wieder gezeigten Aufmärsche der israelischen Bagger gehen mit der Zeit ziemlich unter die Haut. Könnte man dies nicht verdichten, mag man sich fragen. Nein, kann man nicht. So, wie der Zuschauer die Bilder immer wieder sehen muss, müssen die palästinensischen Dorfbewohner immer wieder die Zerstörung ihrer Häuser miterleben. So nimmt der Aufbau des Filmes die Zuschauer mit in die Verfasstheit der Bewohner Masafer Yattas.


Ein palästinensisches Kind aus Masafer Yatta steht vor den Ruinen eines Hauses, das von israelischen Baggern zerstört wurde. Foto: Yabayay Media / Antipode Films

Dem Schmerz ein Gesicht geben

Vor dem Hintergrund der Attacken der Hamas auf israelische Zivilisten am 07. Oktober 2023 könnte beim Betrachten von „No Other Land“ ein Schluss nahe liegen: Es sei doch nicht verwunderlich, wenn Palästinenser irgendwann zurückschlagen. Auch wenn richtig ist, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt, sollte man sich diesem Gedanken tunlichst entsagen. Das eine Leid kann durch das andere Leid weder aufgewogen noch gerechtfertigt werden. Ob Unterdrückung der Palästinenser oder Terror gegen die israelische Bevölkerung: den Schmerz müssen nicht „Völker“ ertragen, sondern konkrete Menschen. Im Falle Masafer Yattas haben Yuval Abraham und Basel Adra diesen Menschen ein Gesicht gegeben.

Am 09. März 2025 läuft im Rahmen der Filmmatinée von „anders wachsen“ der Film „Nilas Traum vom Garten Eden“ im FoolsKINO (Beginn: 11.00 Uhr). Der iranische Dokumentarfilm erzählt vom zermürbenden Kampf einer alleinerziehenden Mutter gegen die iranischen Behörden.

Zum Weiterlesen: CRESCENDO #makemusicnotwar

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf