Parasoziale Beziehungen und Hyperrealität
Parasoziale Beziehungen und Hyperrealität. In einer digitalisierten Welt können Realität und Simulation schnell verschwimmen. Foto: Pixabay
Kolumne
Parasoziale Beziehungen und Hyperrealität. Wenn Simulation zu Wirklichkeit wird. Der Konsum von verschiedenen sozialen Medien gehört für viele schon längst zum Alltag. Das Leben der Influencer dort scheint gleichzeitig nahbar und perfekt – eine gefährliche Mischung. Daraus können Hyperrealität und parasoziale Beziehungen resultieren, komplizierte Begriffe für etwas, was mittlerweile ebenfalls Alltag ist.
Parasoziale Beziehungen und Hyperrealität
Wenn man Ende Mai diesen Jahres sein Handy öffnete und eine social media Plattform aufrief, wurde man, zumindest in bestimmten Kreisen, mit Beiträgen zu dem Beziehungsaus von Bibi und Julian Claßen geradezu überhäuft. Wenn man sich in diesen Kreisen bewegt, ist das nun etwas sehr natürliches. Gleichzeitig fragt sich der ein oder andere jetzt aber vielleicht auch: wer bitte sind Bibi und Julian Claßen und was hat ihre Trennung im Internet zu suchen?
Kurz gesagt sind die beiden das wohl bekannteste und erfolgreichste YouTuber-Paar Deutschlands… gewesen. Denn nach einer 13jährigen Beziehung inklusive Heirat und zwei Kindern gehen die beiden jetzt getrennte Wege. Dass das so viele Fans schockt und ein wenig fassungslos macht, hängt wohl damit zusammen, dass das Paar seine gemeinsame Geschichte von Anfang an teilte. Es wurden Videos vom gemeinsamen Haus hochgeladen, genauso wie von den ersten Schritten der Kinder und Urlaubsvlogs mit der ganzen Familie.
Wenn dann auch noch „Realtalk“-Videos dazukommen, in denen die beiden scheinbar ganz offen mit ihrer Community über ihre Beziehung und privaten Probleme sprechen, dann kann ganz schnell die Illusion entstehen, man wüsste alles über das Liebesleben des Paares. „So etwas hätte ich nie gedacht“ oder „Ich habe den Glauben an die wahre Liebe verloren“ sind Kommentare, die so oder so ähnlich sehr oft unter den Posts von Bibi und Julian hinterlassen wurden.
Wenn Beziehungen online geteilt wurden und dann zu Ende gehen, kann das Probleme mit sich bringen. Foto: Pexels
Probleme
Dies zeigt zwei Probleme, die vor allem durch die social media Welt zu Tage getreten sind und die wir als Gesellschaft, und dabei vor allem junge Leute, immer mehr zu spüren bekommen. Zum einen sind da parasoziale Beziehungen, die entstehen, wenn Influencer neben unseren Freundinnen auf derselben Plattform Ratschläge verteilen und uns scheinbar einen Einblick in ihr Leben geben, sodass wir das Gefühl bekommen sie zu kennen. Eng verbunden damit ist das Konzept der Hyperrealität, also die Unfähigkeit zu erkennen, was Realität und was Simulation ist, sodass beides miteinander verschwimmt. Aber zunächst zu den parasozialen Beziehungen.
Parasozial bedeutet in diesem Kontext, dass die Beziehung einseitig ist, also im Beispiel der Influencerinnen nur ihre Zuschauer alles über sie zu wissen und sie zu kennen glauben, die Influencerin andersherum aber nicht einmal weiß, dass der Zuschauer existiert. Das wird noch einmal verstärkt, indem die Community quasi persönlich angesprochen wird, indem Influencer von „euch“ oder sogar „dir“ sprechen. Außerdem wird die parasoziale Beziehung stärker, je mehr eine Person von sich teilt und preisgibt. So wird man zu einer Fitness-YouTuberin, die wöchentlich Workoutvideos hoch lädt, eine weniger starke Bindung aufbauen als zu einem Vlogger, der regelmäßig sein Leben filmt.
Dadurch kann es dann wiederum passieren, dass Fans Dinge persönlich nehmen. Also beispielsweise enttäuscht oder wütend reagieren, wenn ihr Lieblings-Influencer einen Fehler macht oder etwas, was nicht in das Bild des vermeintlichen Freundes passt, den man so gut kennt. Kommentare wie „Das hätte ich nicht von euch erwartet“ rühren also vor allem aus der falschen Annahme, man würde die Influencer aufgrund ihrer Videos und Beiträge gut kennen und könnte sie einschätzen. Obwohl dem natürlich nicht so ist.
Auch durch persönliche Kommunikation wie Kommentare oder Instagram Direktnachrichten, wirken Influencer besonders nahbar. Foto: Pixabay
Falsche Vertrautheit und Nähe
Dieses Phänomen gibt es übrigens nicht erst seit Instagram und YouTube, auch bei Auflösungen von Bands konnte man ganz ähnliches beobachten. Als beispielsweise die Beatles oder Destiny’s Child getrennte Wege gingen, führte das bei den Fans zu großem Entsetzen. Und das nicht nur, weil sie keine Musik von der Band mehr zu erwarten hatten, sondern auch, weil ihre parasoziale Beziehung mit der Band gekappt wurde.
Der Unterschied zu damals ist nur, dass wir heute viel näher an unsere Lieblingsstars herankommen. Vor allem Instagram gibt uns ein großes Gefühl der Nahbarkeit, denn eigene Freundinnen posten neben Weltstars und nach der Story einer guten Bekannten komme ich auf die meiner Lieblings-Influencerin. Doch nicht nur das Gefühl von Nähe und Vertrautheit wird dadurch fälschlicherweise erzeugt, sondern auch die Hyperrealität.
Soziale Medien nehmen einen immer größeren Raum im gesellschaftlichen Leben ein, deshalb müssen wir lernen mit ihnen umzugehen. Foto: Pexels
Realität vorgaukeln
Wie bereits zuvor erwähnt bedeutet Hyperrealität, dass Simulation und Realität so sehr verschwimmen, dass man sie nicht mehr auseinanderhalten kann und vor allem nicht mehr weiß, was nun „real“ ist. Der Begriff wurde schon im 20. Jahrhundert von Jean Baudrillard geprägt und könnte in der heutigen Zeit nicht besser passen. Denn oftmals vergessen wir leider, dass die Realität, die uns auf social media vorgegaukelt wird, niemals das ganze Bild ist.
Wir werden weder die Streitgespräche in einer Beziehung, noch die Tage, an denen es unserer Lieblings-Influencerin mal richtig schlecht geht, mitbekommen. Was wohl auch den meisten schnell einleuchtet, schließlich würde man selbst so etwas wohl auch kaum an einem Ort hochladen, wo es prinzipiell für jeden sichtbar ist. Obwohl also online viel geteilt wird, ist es doch meist einfach nur die „gute“ Seite des Lebens und dann ist auch nicht immer alles davon wahr. Mittlerweile reisen Influencer nicht mehr, weil sie neue Orte entdecken wollen, sondern vor allem, um gute Fotos zu schießen.
Und das Video, bei dem die Influencerin scheinbar glücklich und unbeschwert am Strand entlangläuft musste auch von irgendjemandem gefilmt werden und danach hat sie überprüft ob der Winkel so ist wie sie es sich wünscht. Diese beiden Aspekte sorgen gemeinsam für die Hyperrealität unserer Zeit. Also zum einen, dass die schlechten Momente, in denen es einer Person nicht so gut geht, nicht geteilt werden. Zum anderen, dass die meisten Fotos und Videos gestellt sind und die Realität durch Filter und Bearbeitung von Licht und Farben kaum mehr abbilden.
Influencerinnen geben einen Einblick in ihr Leben – aber wir sehen nie alles! Foto: Pexels
Der Einfluß auf das eigene Leben
Die Simulation des Lebens und der täglichen Realität eines Menschen, die wir auf unserem Bildschirm vorgespielt bekommen, ist niemals komplett und zum Teil nicht einmal in ihrer Unvollständigkeit echt. Gleichzeitig haben wir aber das Gefühl, eine eigentlich fremde Person in- und auswendig zu kennen, obwohl wir eigentlich nur eine parasoziale Beziehung mit dieser Person führen. Und das ist gefährlich. Es kann dazu führen, dass sich das eigene Leben weniger spannend, glamourös und perfekt anfühlt und wir uns konstant vergleichen.
Dabei sind große Instagram Stars und YouTuberinnen am Ende des Tages auch nur normale Menschen, die ihren Job machen. Das ist etwas, was wir uns immer wieder vor Augen führen sollten. Und natürlich hat social media auch viele Vorteile, wenn Influencerinnen zum Beispiel über Themen reden, die junge Menschen beschäftigen oder Probleme teilen, mit denen sie sich identifizieren können.
Aber trotzdem: Manchmal ist es auch ganz schön, eine soziale, also beidseitige Beziehung zu führen, die keine Bildschirme involviert und zur Abwechslung ganz real im echten Leben stattfindet.
Lesetipp: Zukunft gestalten statt gestaltet werden