Spiritualität diesseits und jenseits von Religion
Dr. Peter Erlenwein liest aus seinem Buch „Und sah die Himmel offen“. Foto: Ines Wagner
Lesung, Vortrag und Gespräch in Weyarn
In Zeiten fundamentaler Krisen spielt die Evolution des Bewusstseins eine immer entscheidendere Rolle. Dr. Peter Erlenwein, Autor des Buches „Und sah die Himmel offen“, im Gespräch über integrale Sichtweisen von Spiritualität, Religion und Demokratie.
Sebastian Snela, Vorsitzender der Stiftung Domicilium in Weyarn, begrüßte den Referenten als hervorragenden Psychologen, Redner und Autor der Integralen Entwicklung. Peter Erlenwein lebte und wirkte lange in Indien, der USA und in Afrika. Diese Erfahrung ermöglichte ihm, verschiedenste interreligiöse Dialoge zu führen.
Toleranz im interreligiösen Dialog
Dialoge eröffnen den Resonanzraum zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen religiösen Traditionen, erläuterte der Autor. Resonanz sei ein Schwingungsphänomen jenseits von Argument, Logik und Diskurs, entstehend aus tiefem Zu-Hören, Stille und Unvoreingenommenheit. Dialoge können scheitern, Resonanz in Sprachlosigkeit umschlagen. Man müsse am Ende eines Dialoges auch akzeptieren können, dass man sich nicht einigt.
Erlenwein verwies auf einen Dialog zwischen Elementarteilchenphysiker und Träger des alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr und Religionsphilosoph Raimon Panikkar: „Wozu noch Religion?“. Drei Tage intensiven Gespräches endeten ohne Ergebnis. „Ich bin da, du bist da, wir sind beide da und müssen auch einen Raum des Nicht-Verstehens akzeptieren.“
Demokratie und Religion
In seinem Buch „Und sah die Himmel offen“ stellt Peter Erlenwein anhand prominenter Stimmen ein postmodernes integratives Verständnis von Spiritualität, Religion und Demokratie vor. Er zitiert u.a. den Philosoph und Religionskritiker Peter Sloterdijk mit denkenswürdigen Anstößen zum säkularen Zeitgeist: Spiritualität würde missbraucht als „upgrade geistiger Immunsysteme“. Der Mensch bliebe „Gläubiger“, egal ob Kirchenangehöriger oder Atheist. Seine Abhängigkeit bestünde in der materiellen Rückversicherung. Daher lieferten Versicherungskonzerne heute das, was früher Glaube hieß: Immunisierung gegen die Wechselfälle des Lebens.
Gesprächsrunde im Domicilium Weyarn mit Dr. Peter Erlenwein . Foto: Ines Wagner
„Du musst dich ändern“, zitiert Sloterdijk Rilke und zielt auf individuelle Lebensoptimierung durch Übungssysteme wie Yoga, Jogging, T`aì Chi. Yoga und Meditation würden weniger aus Glaube praktiziert, denn zur Maximierung der Lebensenergie. Allerdings nicht in allen Religionen. Zen im Bogenschießen sei kein spiritueller Hochleistungseinsatz, sondern wirkliche Kontemplation. Regelmäßige Kontemplation aus Liebe und Glaube führe zu Spiritualität, wenn sie ohne Erfolgserwartung ist.
Glaube als innere Geisteskraft
Erlenwein zitierte Religionswissenschaftler, Zenmeister und Yogalehrer Michael von Brück, nach dem der Glaube eine innere Geisteskraft ist. „Eine göttliche Präsenz in uns, die uns die Welt im Vertrauen sehen lässt.“ Durch die Übungen wachse Glaube und Vertrauen. Der Homo Oeconomicus strebe zwar nach Spiritualität, wolle aber zugleich Beides: Gnade und Fitness.
Peter Erlenwein: Buchcover. Repro: KN
Nach dem Vortrag war es zunächst sehr still. Erlenweins „harter Tobak“, wie er selbst sagte, musste erst wirken. Dann kam, zuerst zögerlich, aber bald lebendig das Gespräch in Gang. Spirituelle Übungen ja, aber ohne den starken Imperativ, war eine Meinung. Üben, aber nicht Hinterherhecheln. Manchmal führe eine Not zur Veränderung im Leben, beginne das Üben als Notdurft. Das erfahre man dann als Gnade, so eine andere Erfahrung.
Sehnsucht statt Begierde
Das es der Gnade bedarf, um in die Übungen hineinzukommen, bestätigte Erlenwein. Sonst könne man 100 Jahre auf dem Meditationskissen hocken, zu viel Wollen allein nütze wenig. Begierde nach Gott sei schließlich auch eine Gier. Anders sei die Sehnsucht nach Gott. Sehnsucht sei eine Suche.
Wonach sehnen wir uns? Nach Verbundenheit, wurde deutlich. Nach Entwicklung, dorthin, wo wir mehr sein können als das, was von uns erwartet wird. Danach, das Sicherheitsbedürfnis abzulegen und loszulassen. Sehnsucht nach Veränderung, nach seelischem Wachstum, nach Transzendenz.
Peter Erlenwein führte zum Schluss der inzwischen lebhaften Diskussion noch zur allgegenwärtigsten aller Sehnsüchte: der Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit.
Diese existiert diesseits und jenseits der Religionen.
Lesen Sie auch unseren Artikel über das Symposium Interreligiöse Vielfalt in der Palliativ- und Hospizarbeit mit Michael von Brück am Domicilium Weyarn und zum Vortrag „Die Kunst des Sterbens im Leben erlernen“ .