Zwischen Realität und Illusion
Michael von Hassel, Rebecca Niehues-Paas, Mike Kraus und Andreas von Maltzan – „Three Guys – Photography Now!“ Foto: Jacqueline Krause-Burberg
Ausstellung in Rottach-Egern
Mit der Ausstellung „Three Guys – Photographie Now!“ holt Galeristin Rebecca Niehues-Paas drei namhafte Münchner Fotokünstler in die RNP fine arts Galerie an den Tegernsee. Der eine konstruiert, der andere inszeniert und der dritte fängt den Zufallsmoment ein – die drei unterschiedlichen Herangehensweisen von Michael von Hassel, Mike Kraus und Andreas von Maltzan in dieser Weise kurz auf einen Punkt zu bringen, trifft allerdings nicht ganz ins Schwarze.
In Wahrheit ist alles komplexer. Tatsächlich gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als auf den ersten Blick sichtbar werden. Und überhaupt, der erste Blick, ist er nicht trügerisch? Und geht es nicht sowieso in der Fotokunst darum, den Blick zu schärfen, andere Blickwinkel aufzuzeigen, alte Sehgewohnheiten zu hinterfragen und sich vom Verwirrspiel um Realität und Illusion verführen zu lassen? Oder aber die Realität so hypergenau abzubilden, dass man sie genau darum anzweifelt …
Aus der Serie „Bundesliga Kathedralen“: Veltins-Arena Gelsenkirchen. Foto: Michael von Hassel
Da sind beispielsweise Michael von Hassels großformatige „Bundesliga Kathedralen“. Die religiös anmutenden, menschenleeren Fußballtempel hinter Diamantweißglas wirken beinahe wie ein Blick durchs Kaleidoskop. Sie erzeugen eine Art Illusion, die dennoch das Reale abbildet. Aber: „Diesen Moment gibt es eigentlich nicht“, sagt der Künstler, „das komplett leere Stadion, nachts, hell erleuchtet“. Das muss er sich erarbeiten. Durch Mehrfachbelichtung und anschließendem Zusammenfügen unzähliger Einzelaufnahmen verfremdet Michael von Hassel die Realität und schärft zugleich den Blick des Betrachters für die Wirklichkeit.
Stadion als Kultstätte
Akribisch und detailgenau setzt er Millionen von leeren Fußballplätzen zusammen und zeigt die sonst überfüllten Stadien, in denen es vor Energie brodelt, komplett menschenleer. Ein Raum, der normalerweise ein Massenphänomen beherbergt, eine Kultstätte, wo der Fußball zur Religion erhoben wird, „… was macht das mit dem Ort?“, fragte er. Es gehe ihm in seinen Fotografien darum, herauszufinden, wie Infrastruktur und Architektur funktionieren und stets „die andere Seite“ zu zeigen. Fünf Jahre lang hat er alle Stadien der ersten und zweiten Bundesliga fotografiert – ein einzigartiges Unterfangen.
Teil der Serie „Unverblümt“ von Mike Kraus – sechs Stars des deutschen Kinos, geschmückt mit opulenten Blumenarrangements. Foto: IW
Flower Power
Perfektionierte Ästhetik zeichnet die Arbeiten von Mike Kraus aus. Der Fotograf, Regisseur, Dokumentarfilmer und Musiker zeigt in der RNP fine arts Galerie in Rottach eine Bandbreite seiner unterschiedlichen Fotoarbeiten. Schon von weitem fallen im Schaufenster zwei beleuchtete Bilder der sechsteiligen Serie „Unverblümt“ auf. Die Aufnahmen von bekannten deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern in Komplementärfarben sind präzise inszeniert und ergeben einen Regenbogen, das Symbol für Diversität und Respekt. Schönheit ist dabei gepaart mit Humor. In Kooperation mit der Kunsthalle München entstand diese ausgewogene Serie anhand der großen Sommerveranstaltungen 2023 in München – CSD Pride Weeks, Flowerpower Festival und 40. Filmfest München.
Schönheit und Ästhetik
Porträts machen einen großen Teil seines Œuvre aus und darüber hinaus ist es immer wieder die Natur, in ihrer Schönheit ins Licht der Kamera gerückt. Bei den zwei schwarzweißen Bildern „Shell“ geht es dem Künstler darum zu zeigen, dass die Haut(farbe) letzten Endes nur eine Hülle ist.
Links: „Shell“ und rechts aus der Serie „Vénération – Verehrung“. Foto: Mike Kraus
Wie wird man mit fotografischer Ästhetik einem 12 Millionen Dollar wertvollem Dressurreitpferd gerecht? Sicher nicht mit schlechten Handyfotos, fand Mike Kraus und entwickelte eine Idee für die Serie „Vénération“ – Verehrung. Unter großem logistischem Aufwand inszenierte er höchst ästhetisch, klar und minimalistisch drei edle Pferde und dazugehörige Werkzeuge der Domestizierung durch den Menschen vor einem jeweils weißen, braunen und schwarzen Hintergrund. Sie scheinen in der Luft zu schweben.
„Navaho“. Foto: Andreas von Maltzan
Einen komplett anderen Ansatz verfolgt Fotokünstler Andreas von Maltzan. Er ist immer auf der Suche nach dem richtigen Augenblick, der aus der Situation in Kombination mit ungewöhnlichen Lichtverhältnissen entsteht: „Der Moment ist das Bild“, stehe für seine Arbeiten. Inszenieren könne man solche Situationen, wie er sie einfängt, nur bedingt. Sie existieren oftmals nur für Sekundenbruchteile, wie das Flugzeug, dass seinen Schatten auf die Wolkenformation wirft, in der sich eine Aura des Lichtes öffnet. Oder ein Sandsturm, der durch die Wüste zieht. Meist sind es leere, weite, geradezu surreal wirkende Landschaftsstimmungen, die der Künstler einfängt. Gern verfremdet er die Dimensionen, indem er Horizonte gezielt an den Bildrand verschiebt. Die Bilder erhalten eine haltlos wirkenden Weite, in der der Mensch beinahe verloren wirkt und doch Teil das Ganzen ist.
„Fahrt in eine andere Dimension“
Wenn Andreas von Maltzan die Bilder nachträglich durch digitale Bearbeitung weichzeichnet oder schärft, kommen zu den fotografischen Effekten auch malerische. Indem er das Licht einfängt, wenn es durch Wolken und Nebel bricht, ergibt sich manchmal eine „Fahrt in eine andere Dimension“, wie die des Skiliftes, der sich in einer Supernova aufzulösen scheint. Neben dem Licht sind es die Elemente und Naturgewalten, die oft seine Bilder prägen.
Blick in die RNP fine arts Galerie: Fotokunst von Andreas von Maltzan „Wilderness“ (vorn) und Michael von Hassel „Olympiastadion Berlin“ (rechts) . Foto: IW
Bei allen Unterschieden zwischen den Arbeitsweisen und Werken der „Three guys“ sticht doch ins Auge, was sie verbindet: Sie fordern die Betrachtenden auf, sich wachen Auges auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Illusion zu begeben und eigene Gefühle und Sehnsüchte in die Bilder zu projizieren.
Weiterlesen: Ausstellung „Art for Memory“ in der Galerie RNP fine arts