Eisbär im Fischernetz
Autorin, Vortragsrednerin und Expedititionsleiterin Birgit Lutz. Foto: Birgit Lutz
Vortrag in Schliersee
Was hat der sich im Fischernetz verheddernde Eisbär mit uns zu tun? Hilft es ihm, wenn wir weniger Plastik kaufen? Einen mitreißenden Vortrag über die bedrohte Schönheit der Arktis hielt Birgit Lutz in der Schlierseer Whisky Destillerie Slyrs.
100 Menschen sitzen dicht aneinandergedrängt in der Destillerie Slyrs in Schliersee. Heute nicht, um Whiskey zu trinken, obwohl er den Magen bei arktischen Temperaturen wohl gut wärmen würde, sondern um Birgit Lutz zuzuhören.
Die in Schliersee lebende Journalistin arbeitet seit 2008 auf Expeditionsschiffen, seit 2014 auch als Expeditionsleiterin. Es sind Touristen, die sie in die Arktis führt. Doch während wir Tourismus oft eher mit Umweltverschmutzung in Verbindung bringen, sind es eben diese Touristen, die zumindest einen Tag ihres Urlaubs mit Strandreinigung verbringen.
Das Foto vom Eisbären, der ein Fischernetz um den Hals geschnürt hat, geht unter die Haut. Er hatte Glück, das er gesichtet, betäubt und vom tödlichen Strick befreit wurde. Anderen ergeht es weniger gut. Rentiere verheddern sich mit ihren Geweihen in den am Strand liegenden Netzen, versuchen sich gegenseitig zu helfen und verenden qualvoll gemeinsam.
Leidtragende Tierwelt. Foto: Pixabay
Neben dem Plastikmüll, der von der Fischerei achtlos weggeworfen wird, kämpft die Region aber auch noch mit Plastik aus anderen Quellen. Kleinste Plastikteile, die sich mit natürlichen Materialien am Strand vermischen, machen eine Reinigung so gut wie unmöglich.
Wissenschaftliches Müllsammeln
Aus der zuerst spontan entstandenen Strandreinigung wurde letztendlich ein wissenschaftliches Projekt. Als Birgit Lutz 2015 den Grad der Verschmutzung ihres Lieblingsgebietes, dem Nordosten von Spitzbergen sah, wandte sie sich an das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Im daraus entstandenen Projekt wird der gefundene Müll seither in einem ausgemessenen Bereich gesammelt, kategorisiert und seit 2017 auch gezählt. Die Daten fließen in eine größere Datenbank ein, um mehr Wissen über den Weg des Mülls zu erlangen, öffentliches Bewusstsein zu wecken und Quellen des Mülls anzusprechen.
Die Bilder mit bunten Fischernetzen, Kanistern, Kisten, Bändern und unzähligen anderen Plastikteilen beeindrucken genauso wie die harten Fakten, die Birgit Lutz mitteilt. Sie spricht über Mikroplastik in Kosmetik, Zahnpasta und Fleece Pullovern. 330.000 Tonnen Plastik produzieren wir im Jahr allein in Deutschland. Sie erzählt von den gesundheitsschädigenden Wirkungen der Inhaltsstoffe des Plastiks und dass dieses dann auch noch Gifte absorbiert. Wir hören, dass nur 20 Kläranlagen in Deutschland dieses Mikroplastik im Wasser filtern können. Somit ist es mittlerweile auch schon in den Flüssen Bayerns zu finden und wurde vor kurzem auch schon im menschlichen Stuhl nachgewiesen. Die Probleme, die die Arktis mit dem Plastik hat, sind also definitiv schon unsere.
Schützenswerte Schönheit. Foto: Pixabay
Die entscheidende Frage, die Birgit Lutz in ihrem Vortrag aufwirft, ist die, was getan werden kann. Wenn sich nichts ändert, werden wir im Jahr 2050 viermal so viel Plastik wie heute produzieren. Heute kommt ein Stück Plastik auf 5 Fische. 2050 wird ein Plastikteil einem Fisch gegenüberstehen.
Was kann also getan werden?
Am wirkungsvollsten seien Verbote und Gebühren, die von Regierungsseite verhängt werden, meint Birgit Lutz – wie das Verbot von Plastiktüten in Ruanda oder die Besteuerung ebendieser von Regierungsseite in Irland. Daneben fordert sie eine Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik und eine erweiterte Herstellerverantwortung. Die Welt brauche Innovationen, intelligente Lösungen, die die echten Kosten von Produkten berücksichtigen.
Plastik in der Arktis – was kann ich tun?
So wenig wie möglich Plastik kaufen. Sich vor jedem Kauf eines Plastikproduktes fragen, ob es wirklich gebraucht wird. Produkte ohne Mikroplastik wählen. Niemand braucht Zahnpasta mit Plastik. Keine Plastiktüten verwenden. Glas oder Edelstahlflaschen vorziehen, sie zu Hause auffüllen, um die Apfelschorle in der Plastikflasche zu vermeiden. Keine Kaffeekapsel-Maschinen verwenden und zum Kuchenbacken die Silikonauflage, weil sogar das beschichtete Backpapier dazu führt, dass Plastik mitgegessen wird.
Diese und weitere gut umsetzbare Tipps gibt es am Ende des Vortrags. Die Schlierseer Outdoor Firma Smartino, die Produkte wie Merino Wolle von glücklichen Schafen und wenn schon Kunststoff, dann teilweise recycelt, verwendet, überreicht der Vortragenden den Scheck mit den Eintrittsgeldern als Spende für ihr Projekt.
Zeit für die Kinder, die sich im Publikum befinden, ins Bett zu gehen. Von ihnen erhofft sich Birgit Lutz die innovativen Lösungen der Probleme, für die wir verantwortlich sind. Sie sind es auch, denen wir es schuldig sind, dass wir nach Hause gehen und aufhören damit, gedankenlos weiterhin Plastikprodukte zu kaufen. Für sie sollten wir dafür sorgen, dass die Politik aufwacht und handelt.
Vorträge wie dieser zeigen das Problem hautnah, tun weh, weil sie nicht nur Fakten bringen, sondern auch das verursachte Leid spürbar machen. Sie zwingen zur Handlung und sind somit unverzichtbar.
Lesetipp: Thomas Ulrich & Birgit Lutz: „Schwarzes Wasser“ – Lesung in Schliersee