Prof. Josef H. Reichholf: Unangenehme Wahrheiten
>Gäste erwarten gespannt den Vortragenden Foto: Karin Sommer </font
Vortrag in der Naturkäserei Kreuth
Die Schutzgemeinschaft Tegernseertal setzt seit Jahren alles daran, die Natur im Tal zu schützen und auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Mit der Wahl des Gastreferenten Prof. Josef H. Reichholf stellte sie einen kontroversen, provokativen und anregenden Abend sicher. Beim Vortrag „Vom Verschwinden der Natur und warum wir uns dagegen zur Wehr setzen sollten“ ging es heiß her.
Können Sie eine Handvoll heimische Schmetterlinge beim Namen nennen, oder gehören sie zur Mehrheit, die das nicht mehr kann? Warum Sie auch immer weniger von diesen sensiblen Wesen beim Spazierengehen treffen und warum es nicht reicht, dass Sie Bioprodukte kaufen, erklärte Reichholf, von der Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal eingeladen, anschaulich in der Naturkäserei Kreuth.
Vorstandvorsitzende Angela Brogsitter-Finck mit Prof. Josef Reichholf. Foto: Karin Sommer
Der renommierte Wissenschaftler, dessen Pensionierung nichts an seiner Leidenschaft für die Natur geändert hat, begann ohne Umschweife, die zahlreich erschienenen Zuhörer mit unangenehmen Fakten zu konfrontieren. Von den ca. 210 in unserer Region lebenden Brutvogelarten sind mehr als die Hälfte gefährdet und das sei noch eine optimistische Schätzung. Noch schlechter dran seien ihre sensibleren Fluggefährten, die Schmetterlinge. Sie reagieren viel schneller auf Veränderungen in der Umwelt und unter ihnen sind es die Tagfalter, von denen sich nur mehr weniger als ein Drittel über ein gesichertes Überleben freuen dürfen.
München, das Schmetterlingsparadies
Der Niedergang der Schmetterlinge und anderer Insektenarten begann laut Reichholf in den 80er Jahren. Wir denken sofort an den Klimawandel aber der Referent zeichnet ein anderes Bild. Als erste Ursache nennt er die strukturelle Vereinheitlichung am Land. Statt dem bunten Fleckerlteppich, den man früher vom Flugzeug aus betrachten konnte, begannen die Monokulturen mit ihren riesigen, gleichfarbigen Flächen die Vielfalt abzulösen. Dies führte unter anderem zu der paradoxen Tatsache, dass es heute in München mehr Schmetterlinge gibt als im Umland.
Die Überdüngung stellt eine weitere ernstzunehmende Bedrohung für Tiere und Pflanzen dar. Sie führt laut Reichholf dazu, dass die Vegetation in Bodennähe immer dichter wächst, und dadurch feuchtkalte Lebensbedingungen schafft. Trotz in den letzten Jahrzehnten wärmer gewordener Sommer sind viele Pflanzen und Tierarten durch diese nasskalten Bodenbedingungen bedroht und wir wundern uns, warum wir im Mai immer noch einen nassen Hintern haben, wenn wir uns ins Gras setzen.
Klimaerwärmung stellt keine ausreichende Erklärung dar
Deshalb ist Reichholf auch nicht damit einverstanden, die Klimaerwärmung als Erklärungsgrund für alle Veränderungen zu verwenden, die wir uns nicht erklären können. Die letzten Jahrzehnte zeigen eine Erhöhung der Temperaturen aber die hätten dazu führen müssen, dass Insekten und Pflanzenarten, die die Wärme lieben, bessere Bedingungen vorfinden müssten, was durch oben beschriebene Tatsachen aber nicht der Fall ist. Der Wissenschaftler nennt als Quelle seiner Klimawandelskepsis außerdem die Ergebnisse des Klimaforschers Christian-Dietrich Schönwiese, der in seinem Buch „Klimawandel“ auf die seit 1871 geführten Temperaturmessungen am Hohenpeissenberg hinweist, die, wenn diese gesamte Zeitspanne betrachtet wird, keine statistische Änderungstendenz erkennen lassen.
Professor Josef H. Reichholf.Foto: SGTT
Doch zurück zum Erklärungsmodell des Niedergangs der Insekten und vieler anderer Tier- und Pflanzenarten in Deutschland. Die Goldammer, die früher am Land das war, das die Spatzen in der Stadt sind, also eine sehr häufige Vogelart darstellte, ist heute kaum mehr zu sehen. Ihrer Verwandten, der Feldlerche, ergeht es ähnlich. Wer sie heute noch sehen will, trifft sie am ehesten am Münchner Flughafen. Und es kommt noch schlimmer: Die meisten Nachtigallen gibt es in Berlin, denn Tatsache ist, dass je größer eine Stadt ist, umso mehr Vögel gibt es, umso grösser ist der Artenreichtum. Das stößt uns als Landbevölkerung dann schon etwas sauer auf. Genauso wie die angesprochene These, dass es die Natur am besten auf Militärübungsplätzen hat und in Tschernobyl ein Fest feiert, weil wir sie dort endlich in Ruhe lassen.
Sorge um die Kleinen
Reichholf zeigt Tabellen darüber, wann am meisten Gülle ausgefahren wird und wir beginnen uns vor den kommenden Monaten zu fürchten, denn es sind 310 Milliarden Liter, die pro Jahr in Deutschland ungefiltert in den Boden und die Luft gelangen.
Wir hören, dass die, die von all diesen Veränderung profitieren, die Wildschweine und andere grössere Arten wie Seeadler sind und machen uns Sorgen um die Kleinen. Wir hören, wie fatal sich die vernichtende Pflege der Strassenränder auswirkt, die tödlich effizient alles wegrasiert, das dort lebt und es wird uns mitgeteilt, dass die Landwirtschaft zu 80% schuld am Verschwinden des Insekten- und Vogelbestandes ist.
Kann man tatsächlich den Bauern die Schuld geben? Was können wir Konsumenten tun? Das Publikum möchte am Ende des Vortrags Lösungsansätze hören. Reichholf gibt zu bedenken, dass unser Einfluss als Konsumenten nicht ausreichend ist. Wir kaufen schon mehr Bioprodukte als in Deutschland produziert werden. Er glaubt, wir müssen eine politische Veränderung herbeiführen. Es kann nicht sein, dass Bauern subventioniert werden, die massenweise Mais für erneuerbare Energie herstellen und somit die Artenvielfalt zerstören und auch uns Menschen beeinträchtigen. Uns, die wir die Blumen und Vogelgesang für unsere Seele brauchen und die Artenvielfalt auch für unser Überleben.
Der Referent verabschiedet sich, denn er hat noch eine lange Heimfahrt vor sich. Im Gespräch mit mir vor Beginn des Vortrags meinte er, dass seine Hoffnung in den jungen Menschen liege.
In der Naturkäserei Kreuth wird noch heftig weiterdiskutiert und ich steige in mein Auto. Ich kann es kaum glauben, dass ich die Zeit vergessen hatte, in der man noch häufig beim Autofahren stehenbleiben musste, weil die Windschutzscheibe ganz schwarz voller Insekten war. Erst als Reichholf das erwähnte, fielen sie mir wieder ein, die tausenden, winzigen, schwarzen Mücken und ihre Verwandten, totgeklatscht auf der Autoscheibe, so zahlreich, dass die Scheibenwischer gegen sie keine Chance hatten.
Die junge Generation, an der die Veränderung liegt, hat so etwas noch nie gesehen.
Zahlreiche Bücher von Josef Reichholz finden Sie im Buchhandel sowie im Internet.