Auf die Seele schauen
Zeit, sich zu besinnen. Foto: Karin Sommer
Buchrezension
„Auf die Seele schauen“ heißt das Buch des amerikanischen Psychotherapeuten Hunter Beaumont, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet. Gerade in diesen Zeiten lädt es ein, uns auf unsere ureigenen Erfahrungen einzulassen.
Niemand kann beweisen, dass Seelen existieren. Trotzdem sagen wir Dinge wie „das tut mir in der Seele weh“ und meinen doch irgendwie alle etwas Ähnliches, wenn wir von der Seele sprechen.
Hunter Beaumont beschäftigt sich in seinem Buch „auf die Seele schauen“ mit unseren subjektiven seelischen Erfahrungen, die durchaus ihre Wirklichkeit haben. Er beschreibt anschaulich die subtilen Bewegungen der Seele – vor allem die sich öffnende und schließende. „Wir merken, die Seele ist wie eine Blume, die sich manchmal öffnet und sich manchmal schließt. Es ist spürbar, wenn die Seele, hier im Brustbereich, aufgeht oder zugeht. Wenn sie sich öffnet, wissen wir, dass wir da sind, dass wir präsent und berührbar sind. Und wenn sie sich schließt, wissen wir auch, dass wir nicht ganz da sind. Eine Kränkung zum Beispiel kann die Seele sofort dazu bringen, sich zu schließen. Oder eine Enttäuschung, ein falsches Wort vom Freund oder vom Partner und die Seele geht zu. In solchen Momenten reden wir dann vielleicht weiter, wir versuchen, das Gespräch am Laufen zu halten – auch wenn wir eigentlich nicht mehr da sind.“
Woran merke ich, dass mir etwas fehlt?
„Auf die Seele schauen“ hält keine Patentrezepte bereit, zeigt keine schnellen Lösungen auf, sondern lädt dazu ein, sich auf das eigene Erleben einzulassen. Sich für die Seele zu interessieren, dem „es fehlt mir etwas“ nachzuspüren, Fragen zu stellen. Nachzuforschen, wo es weh tut und woran wir überhaupt erkennen, dass die Seele sich verschließt.
Wenn die Welt so wie wir sie kennen, untergeht. Foto: Karin Sommer
Hunter Beaumont kam vor vierzig Jahren nach Deutschland und erwähnt in seinem Buch, wie sehr er von seinen deutschen Klienten berührt und erschüttert worden ist. Durch sie habe er langsam erfahren, was Krieg eigentlich bedeute und was das Zusammenbrechen einer bekannten Welt in der Seele bewirke. Seine ehrliche, wertfreie Annäherung an die Menschen und ihre Verstrickungen, seine Bereitschaft, zu lernen, Annahmen fallenzulassen, um den Menschen vor ihm in diesem Augenblick zu sehen, ziehen sich durch das gesamte Buch.
Der Krieg hört nicht so einfach auf
Anschaulich beschreibt der Autor die Komplexität unseres Lebens, das von so vielem mehr beeinflusst wird, als uns bewusst ist. Das Buch ist eine Sammlung von gehaltenen Vorträgen, in dem der systemische Ansatz viel Raum bekommt. Unverarbeitete Kriegserlebnisse wirken sich bis in die übernächste Generation aus. Der Enkel möchte sich umbringen, ohne zu wissen, welch tragische Ereignisse im Leben des Großvaters nicht erlöst und somit weitergegeben wurden. Viel von dem, was Hunter Beaumont beschreibt, kommt in seinen Seminaren zutage, wo Menschen sich dem stellen, was ihnen im Weg zu stehen scheint. Themen, an die der Einzelne schwer herankommt, die aber im Gruppenprozess ungeahnte Dynamiken entstehen lassen und Wege öffnen.
Die Seele will nicht nur gebaumelt werden. Foto: Karin Sommer
Trotzdem einen Weg finden
Hunter Beaumont schreibt im Rahmen der spirituellen Psychotherapie über Themen, an denen kaum ein Mensch vorbeikommt: Was soll ich tun, wenn ich immer noch unter den Nachwirkungen meiner schwierigen Erfahrung mit meinen Eltern leide? Warum passieren nicht die Dinge in meinem Leben, die ich mir wünsche, oft sogar genau das Gegenteil? Wie gelingt es Menschen trotz gegenseitiger Enttäuschungen ihre Liebe zueinander wachsen zu lassen und sich zu entfalten? Inwieweit ist Selbstheilung möglich oder ist doch nur eine Illusion?
In Zeiten, in denen viele Menschen mehr Zeit und Ruhe haben, sich hinzusetzen und ein Buch in die Hand zu nehmen, ist „auf die Seele schauen“ eine wunderbare Lektüre, falls die Seele meint, es sei an der Zeit, sich um sie zu kümmern.