Dem Quarantäne Blues begegnen
Mundpartie. Foto: Jürgen Fiege
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
„Quarantäne Blues“ – Tuschespuren von Jürgen Fiege und li(e)derliche Texte von Peter Reuter, soeben im Kulturmaschinen Verlag erschienen, ist eine tiefgründige Analyse der vergangenen Monate, bissig, ironisch und zum Nachdenken anregend.
Schon in ihrem Buch „…am Fluss“ bewies das Duo, das mit Pinsel und Feder gemeinsam den Dingen auf den Grund geht, seine kongeniale Zusammenarbeit.
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Auch in ihrem neuen und höchst aktuellen Buch beweisen der Sauerlacher Grafiker und Illustrator Jürgen Fiege und der Südpfälzer Autor Peter Reuter, wie sich Text und Bild zu einem Ganzen vereinen.
Ihr Thema, der Titel verrät es, ist Corona. „Eine verwegene Zeit“, heißt es im Vorwort, „von der wir nicht wussten, dass es sie in dieser Form gibt“. Aber, so stellen sie fest, es lohne sich, darüber zu erzählen. Dieser Meinung sind auch wir und haben das Dokuronaprojekt ins Leben gerufen, an dem sich die beiden Künstler beteiligen werden.
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Sie wollen aber nicht nur Corona dokumentieren, sondern auch dem Blues ein Denkmal setzen, „diese wunderbare Musik“, die helfe, den anderen Blues, nämlich den des Stimmungstiefs zu überwinden. Dies gelingt den beiden, die sich Kalligraph und Schreiber nennen, ganz vorzüglich.
Doppelseite. Foto: Jürgen Fiege
Jürgen Fiege beschreibt seine Intention so: „In der Kontaktsperre werde ich zum Voyeur, zum Schwamm.“ Sein Pinsel übertrage seine Erschütterungen als Seismograph auf ein Blatt Papier. Peter Reuter drängt es, seine Gedanken, zu Emotionen werdend, in dieser fordernden Zeit zu formulieren, als Geschichte, Gedichte, Notizen.
Hilflos und ironisch, überspitzt und satirisch, lächelnd und spöttisch, traurig und wütend, aber auch melancholisch, und er sagt: „Hoffentlich bleiben meine Buchstaben gesund.“
Das Buch ist eine künstlerische Dokumentation vieler Situationen, Zustände, Verlautbarungen, die die letzten Monate über uns hereinstürmten, verdichtet in kalligrafische Tuschezeichnungen und in poetische, aber auch böse und kritische Texte.
Cover „Quarantäne Blues“. Foto: MZ
Da geht es um die Abwrackprämie von Autos, die doch auch als Unterstützung für Kulturschaffende eingefordert werden könnte. Es geht aber auch um die Sorge danach: „Wenn alles wieder ’normal‘ sein wird, weiß keiner mehr, um was es geht.“
Sehr traurig, der Gruß zum Geburtstag an die Mutter hinter die Gitter des Heims. Und der Aufruf, dass die Kontaktsperre nicht für Barmherzigkeit und Menschlichkeit gelte.
Gratulation. Foto: Jürgen Fiege
Ob sich vielleicht das Virus von der Lunge in die Köpfe so mancher Menschen bewegt habe, fragt der Schreiber, bestimmte Artikulationen von Individuen seien doch sehr schadstoffbelastet. Und Hass sei ein zu bekämpfendes Virus übelster Art.
Satirisch wird es, wenn die Anhänger von Verschwörungstheorien aufgespießt werden, aber auch Herr Scheurer muss dran glauben. Sehr persönlich wird Peter Reuter, und so mancher erkennt sich darin wieder, wenn er sich als kriminellen Großvater bezeichnet. Warum? Weil er sich den Regeln widersetzte und den kleinen Enkel mit offenen Armen auffing.
Problemlösung. Foto: Jürgen Fiege
Die Rosenheimer Problemlösung indes, findet satirische Aufmerksamkeit. Da coronainfizierte Asylbewerber auf andere „Auffangstationen“ verteilt wurden, konnte die Quote unter den Bayerndurchschnitt gesenkt werden. Prima, lobt der Schreiber.
Auch die Demonstrationen in München sieht er eher kritisch, ohne Abstand und ohne Masken war man unterwegs, herzte und küsste sich, aber die Polizei schritt nicht ein. Wieder einmal bewahrheitet sich der Satz, dass man Demokratie mit ihren eigenen Gesetzen bekämpfen kann.
Texte und Zeichnungen ergänzen sich bei allen Themen ganz vorzüglich, so auch beim Thema „Hilfsprogramm“, das die alte Dame, die Tonne des Biomarktes durchwühlend, nicht erreichte. Oder bei dem ironischen Text zur Kontaktbeschränkung.
Hilfsprogramme und Kontaktbeschränkung. Foto: Jürgen Fiege