Queeres Leben auf dem Land
Ob die Regenbogenflagge, Zeichen der Queer-Community, mittlerweile auch schon als Zeichen für queeres Leben auf dem Land gehisst wird? Foto: pixabay
Sonntagskolumne
In Deutschland hat sich im Laufe der Zeit für queere Menschen sehr viel getan. Vom ersten Christopher Street Day über die „Ehe für alle“ hin zu der Möglichkeit für homosexuelle Paare, Kinder zu adoptieren. Doch tatsächlich ist Diskriminierung von queeren Leuten immer noch vorhanden, auch im ländlicheren Raum. Ein Lagebericht.
Vornweg eine paar Anmerkungen: In diesem Artikel wird der Begriff „queer“ verwendet, um insgesamt sexuell und geschlechtlich diverse Lebensweisen zu benennen. In diesem Kontext verwende ich ihn für nicht heterosexuelle und/oder nicht cis-geschlechtliche Personen, welche sich ihrem ursprünglichen, biologischen Geschlecht nicht, oder nur teilweise zugehörig fühlen. Für die Queer-Community ist LGBTQIA* unter anderem eine Bezeichnung. Straight Allies sind Personen, die sich selber nicht als queer identifizieren, sich allerdings für die Queer-Community einsetzen.
Caritas-Hort kündigte einer homosexuellen Erzieherin
Holzkirchen, April 2015. Die homosexuelle Leiterin des Caritas-Hortes musste ihre Stelle aufgeben, da sie ihre Freundin heiraten wollte. Eine Caritas-Sprecherin stellte klar, dass „die Grundordnung des kirchlichen Dienstes bei einer eingetragenen Lebenspartnerschaft eine Tätigkeit als Führungskraft, vor allem auch im erzieherischem Dienst, ausschließt“. Nach einer Erneuerung des kirchlichen Arbeitsrechts durfte die Hortleiterin an ihren Arbeitsplatz im darauffolgenden Jahr wieder zurückkehren.
Queeres Leben in Bayern: eine Studie
Dies mag zwar vor sechs Jahren gewesen sein, eine Studie der Grünen über queeres Leben in Bayern 2020 zeigt aber, dass es immer noch sehr viel Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gibt – nicht nur am Arbeitsplatz. Knapp 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab 16 Jahren wurden über die Lebenssituation von queeren Menschen in Bayern befragt, sodass erstmalig ein differenziertes und aussagekräftiges Bild über die Queer-Community im ländlichen Raum erstellt werden konnte.
Die Ergebnisse sind schockierend: Fast jede/r zweite Befragte gibt an, in den letzten drei Jahren Diskriminierung aufgrund der sexuellen oder geschlechtlichen Zugehörigkeit erfahren zu haben. Dabei handelt es sich meistens um Beleidigungen, Beschimpfungen und Ausgrenzungen. Gut 16% der Befragten wurde tatsächlich schon Gewalt angedroht oder hat diese bereits erfahren.
Stadt versus Land
Auch Unterschiede zwischen Stadt und Land sind festzustellen. So haben sich die Menschen in der Stadt häufiger geoutet. Im ländlichen Raum hingegen geben nur etwas mehr als ein Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, vollständig geoutet zu sein.
Grundsätzlich ist allerdings festzustellen, dass die Personen in der Stadt mehr Diskriminierung erfahren haben als auf dem Land. 52% der Menschen aus dem städtischem Raum wurden wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit benachteiligt bzw. beleidigt, im ländlichen Raum hingegen sind es „nur“ 43%. Dafür gibt es verschiedene Ansätze als Erklärung.
Einer besagt, dass man sich auf dem Land persönlich deutlich besser kennt und man sich somit intenisver mit der Thematik auseinandersetzen würde. In der Stadt hingegen ist es deutlich anonymer und es fällt den Leuten leichter, andere aufgrund ihrer „anderen“ Lebensform zu verurteilen.
Ein anderer Erklärungsansatz bezieht sich auf das Outing. In der Stadt sind die Leute häufiger geoutet, sodass Diskriminierung dort auch häufiger überhaupt „möglich“ ist. Auf dem Land hingegen wissen die Menschen meist nicht, dass eine Person queer ist und grenzen diese folglich auch nicht aus oder beleidigen sie nicht.
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Queere Beratungsangebote und Austauschmöglichkeiten fehlen
Desweiteren zeigt die Studie, dass oft Angebote und Austauschmöglichkeiten für queere Personen in den einzelnen Landkreisen fehlen und die Menschen erst in die Stadt, nach München fahren müssten, um Gleichgesinnte zu treffen.
Auch Robert Kühn, seit 2020 Bürgermeister von Bad Wiessee und selbst queer, meinte in einem Gespräch mit KulturVision, dass es in der Stadt deutlich einfacher sei, sich mit anderen queeren Menschen zu treffen und auszutauschen. Im Landkreis Miesbach hingegen würden die Rückzugsorte und Beratungsangebote für queere Menschen fehlen. Er schätze die aktuelle Situation im Landkreis für die LGBTQIA*-Community als „schlecht“ ein, da oft die nötige Sichtbarkeit und Akzeptanz fehle. So werde beispielsweise das Wort „schwul“, bzw. „Schwuchtel“ an vielen Schulen als Schimpfwort benutzt. Dies belegt auch eine Studie, die an Berliner Schulen durchgeführt wurde. Darin wird gezeigt, dass 62% aller Sechstklässler und Sechstklässlerinnen das Wort „schwul“ schon mal als Schimpfwort benutzt haben.
Queer wird diskriminiert, nach wie vor
Auch die Angst von queeren Jugendlichen gegenüber einem Outing vor ihren Eltern spricht Robert Kühn an. „Die Queer Community erfährt immer doppelte Diskriminierung: Diskriminierung z.B. in der Schule und Zuhause. Es braucht (auch in Zukunft) in der Gesellschaft die Sensibilität, damit die Zeit des Outings überstanden wird.“
Als weiteres Beispiel auch für offene Diskriminierung führt er an, dass Homosexuelle nicht an der Blutspende in Bad Wiessee teilnehmen dürfen.
Christopher-Street-Day Parade, wie z.B. in Bad Tölz. Foto: pixabay
Erster CSD in Bad Tölz
Allerdings gibt es bereits auch einige positive Entwicklungen. So fand im Jahr 2014 bereits im Nachbarlandkreis, Bad Tölz, der erste Christopher-Street-Day statt. Rund 650 Personen nahmen daran teil. Nach der Einschätzung von Bad Wiessees Bürgermeister hat sich die Situation im Landkreis verbessert. Beispielsweise die Einführung von Unisex Toiletten an der Realschule Gmund oder die LGBTQIA*-friendly Piktogramme beim Gastgeberverzeichnis Tegernseer Tal, hob Robert Kühn als positive Zeichen hervor.
Für die Zukunft wünscht er sich, dass nicht mehr die Gleichgültigkeit in der Bevölkerung im Hinblick auf queere Themen vorherrscht, sondern dass sich auch mehr und mehr Straight Allies für die Sichtbarkeit, die Rechte und die Akzeptanz der Queer Community einsetzen.
Julian Wenzel und Kathi Roeb, die homosexuellen Moderatoren des Puls-Podcast „Willkommen im Club“. Foto: BR/Fabian Stofferso
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