Raunachtsagen Teil 1
Illustration von Bernd Wiedemann. Foto: Karl-Heinz Hummel
Raunachtsagen Teil 1
In zwei Folgen Raunachtsagen erzählt Autor Karl-Heinz Hummel Sagen und Geschichten, die sich um die Raunächte ranken. Es beginnt mit der Thomasnacht, der Wintersonnwende, in der sich Unverheirateten im Traum der Schleier um die zukünftige(n) Geliebte(n) lichten kann. Wie ist dabei vorzugehen?
Es fühlt sich eigenartig an, in unserer von der Coronapandemie geprägten Zeit über die Raunächte und die damit verbundenen Sagen und Geschichten zu schreiben. Die gesellschaftliche Diskussion ist geprägt von Wissenschaft, Krisenmanagement und Logik der mathematischen Inzidenzberechnungen, dagegen stehen Verschwörungsmythen, Aberglaube.
Passen in diese zugespitzten, manchmal nervigen Diskurse diese alten Sagen, die darin beschriebenen Geister, Ungeheuer und Fantasyfiguren, abergläubischen Mythen und Vorhersagen?
Baumgesicht. Foto: Pixabay
Darf es neben der notwendigen Rationalität nicht auch eine fantastische Irrationalität von erfundenen Geschichten geben, die man sich mit leichtem Gruseln und durchaus hintersinnigem Humor erzählen kann? Schau ma moi, getreu dem Motto: Eine Geschichte muss nicht wahr sein, aber gut erzählt. Da das Thema Raunächte esoterisch etwas überhöht wird und die damit verbundenen Rituale sich schon zu einem kleinen Geschäftszweig der Sinnfindung entwickelt haben, darf ich anhand der RAUNACHTSAGEN ins Thema einführen:
Die Raunächte
An den Vorabenden des Thomastages, des Christfestes, des Neujahrstages und des Dreikönigsfestes räuchert man alle Räume des Hauses aus und besprengt sie mit Weihwasser, um sie zu segnen und dadurch die Hexen zu vertreiben und die bösen Geister milde zu stimmen.
Aus dem Ofen holt man die Glut, legt sie in die Räucherpfanne, streut getrocknete Kräuter oder Weihrauch darüber, sodass ihr Wohlgeruch durch das ganze Haus zieht. Sodann gehen die Bewohner mit Rauchgefäß und Weihwasser durch Kammern und Stuben, hinüber in den Stall, hoch auf die Tenne, hinaus in den Obstgarten und aufs Feld.
Räucherpfanne. Foto: Pixabay
Nachdem die kleine Prozession von ihrem Rundgang in die Stube zurückgekehrt ist, knien alle nieder und beten, worauf die Männer ihre Mützen, die Weiber ihre Kopftücher über den Rauchtopf halten und dann rasch das Haupt bedecken, denn das galt als Mittel gegen das Kopfleiden.
Der Wind in den eisigen Raunächten soll trotz der unwirtlichen Kälte die Fruchtbarkeit anregen: In den Raunächten sollen die Bäume bocken oder remmeln, das heißt, da soll sie der Wind bis in die Wurzel hinab riegeln, damit sie sich befruchten. Dann gibt es im nächsten Jahr viel Obst und damit viel Obstler!
1. Raunacht: Wintersonnwende, Thomasnacht
Die erste Raunacht ist die Thomasnacht, die Wintersonnwende am 21. Dezember. Dem kürzesten Tag folgt die längste Nacht des Jahres. Es ist eine Losnacht, in der man die Zukunft vorhersehen kann. Gerade für unverheiratete Mädchen und Jungen war diese Chance in den Zeiten vor Tinder nicht zu unterschätzen.
Will jemand wissen, wen er heiraten werde, so muss er am Thomasabend vor dem Schlafengehen den Bettstaffel treten. Das geht so, dass man zuerst den untersten Teil vom Bett mit dem linken Fuß dreimal tritt. Die Mädchen sprechen dabei folgende Worte:
Heil’ger Thomas, ich bitt dich,
Lass mir erscheinen
Den allerliebsten meinen!
Die Burschen sagen:
Zoag mir glei mein künftiges Wei‘!
Nachdem dieses dreimal gesprochen wurde, muss man sich umgekehrt in das Bett hineinlegen, sodass der Kopf dahin kommt, wo gewöhnlich die Füße sind. Auch darf man nicht auf der gewöhnlichen Seite in das Bett steigen oder nach dem Bettstaffeltreten noch Anordnungen für den nächsten Tag machen und dergleichen. Man muss gleich unmittelbar nach dem Spruch über den Bettschemel in das Bett steigen, denn nur dann erscheint einem im Traum die geliebte Person.
Ab dem Thomastag geht es mit dem Sonnenlicht wieder aufwärts, es „wächst der Tag um einen Hahnenschrei“. Nach der Mythologie beginnt nun die Zeit zwischen den Jahren. Verwunderliche Geschichten, Bräuche und Wahrsagungen sind mit ihr verbunden.
Der Autor Karl-Heinz Hummel. Foto: Volker Derlath
Weiterlesen: Berggeistsagen
Eine CD mit Raunachtsagen und der „Pholxmouzique“ der NaglMusi gibt es beim Autor, Bestellungen unter gelati-hummel@gmx.net.