Robert Koch und sein grandioser Irrtum
Robert Kochs Affe. Foto: MZ
Buchtipp von KulturVision
Ein Geniestreich ist dem Intensivmediziner und Schriftsteller Michael Lichtwarck-Aschoff mit seinem eben erschienenen Roman „Robert Kochs Affe“ geglückt. Mehr Bezug zur Gegenwart ist kaum denkbar und gleichzeitig ist es ein Stück deutscher Geschichte in feinster Prosa.
Sein Name wird täglich erwähnt, ob in den Nachrichten oder in Gesprächen: Der Bakteriologe Robert Koch, Nobelpreisträger, Entdecker von Krankheitserregern und Namensgeber des Instituts, das uns täglich verstörende Zahlen der Pandemie präsentiert. Ihm widmet Michael Lichtwarck-Aschoff seinen Roman mit dem Untertitel „Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarztes“. Es ist ein fein gestricktes Gewebe, dieses Buch, das aus drei Teilen besteht.
Unfassbare Erlebnisse
Im Hauptteil lernt der Leser Johann Kindsmüller kennen, der als Soldat Robert Koch bei einer Expedition nach Deutsch-Ostafrika begleitet hatte. Schwer krank zurückgekehrt ist er auch 20 Jahre später noch in psychiatrischer Behandlung und erzählt in schlichter Sprache seine unfassbaren Erlebnisse.
Lesetipp: Michael Lichtwarck-Aschoff
Robert Koch war in ein Kriegsgebiet am Viktoriasee aufgebrochen, um die Schlafkrankheit zu erforschen, die unzählige Opfer forderte. Kindsmüller berichtet von einem Lager, in das die Kranken interniert werden, bewacht von den Deutschen, die in einem äußeren Ring um das Lager herum hausen. Robert Kochs These ist, dass das Kranke, Fremde isoliert werden muss.
Als schuldhaftes Unternehmen lebt diese Expedition im Kopf des Soldaten weiter. Und diese Schuld hat etwas mit der Angst vor dem Fremden zu tun. In den Briefen Robert Kochs, die der Autor wörtlich zitiert, geht es um Kolonisation, um Besiedelung des afrikanischen Gebietes, eine Seuche wie die Schlafkrankheit muss also ausgerottet werden, mit allen Mitteln.
Medizinische Experimente
Dazu werden an den internierten Kranken medizinische Experimente vorgenommen, sie erhalten Atoxyl, ein arsenhaltiges Mittel mit schweren Nebenwirkungen. Auf der Internetseite des Robert-Koch-Instituts kann man dieses „wohl dunkelste Kapitel in der Karriere des Institutsgründers Robert Koch“ in allen Einzelheiten nachlesen.
Michael Lichtwarck-Aschoff. Foto: Privat
Michael Lichtwarck-Aschoff aber gelingt es, diesen Part literarisch fesselnd und berührend aus der Sicht eines einfachen traumatisierten Soldaten zu beschreiben, der an seiner Schuld leidet, dies aber explizit nicht ausdrücken kann. Die Leserin aber wird hineingezogen in das Leben im Lager, in ihr wächst Sympathie für die Afrikanerin Afeni, die solidarisch für die Kranken da ist. Ganz im Gegensatz zur Maxime Kochs, für den Unsauberkeit und Kolonien dasselbe war, wie der Autor schreibt. Dies zeigt sich auch in dem Begriff der Bakterienkolonie oder dem unerlaubten Eindringen eines Erregers, eine Verletzung der Grenze.
Die Seuche und das Unsaubere
Hochbrisant also dieses Buch in der Geisteshaltung, was den Zusammenhang zwischen Seuche und dem Fremden, dem Unsauberen, das unbedingt ferngehalten werden muss, anbelangt. Afeni spricht es aus: „Krank sein, denken sie, ist dasselbe wie schlechter sein.“ Hochbrisant auch der Zusammenhang zwischen Seuchenmedizin und Politik, den Michael Lichtwarck-Aschoff herausarbeitet, als hätte er geahnt, was mit COVID 19 auf Virologen und Politiker zukommt. Er schreibt: „Was politisch richtig ist, kann medizinisch grundfalsch sein und umgekehrt.“
Umschlossen wird der Hauptteil, in dem Robert Koch nur durch seine Briefe vorkommt, von zwei Kapiteln, in denen der Mensch Robert Koch nachgezeichnet wird. Ein Wissenschaftler, der lieber vor seinem Mikroskop sitzt als mit Patienten umzugehen.
Robert Koch und das Fremde
Skurill der Beginn des Buches, der ihm seinen Titel gab. Da wird der neue Mitarbeiter an der Tür von Kochs Haus von einem Affen begrüßt. Sehr merkwürdig, das Privatleben des berühmten Professors, das vom Kriegsministerium überwacht wird. Und da ist der Gärtner Witold, der eine andere Haltung vertritt als Koch, nämlich, dass Krankheit ein „ewig gestörtes und ewig wiedergefundenes Gleichgewicht der Natur ist“. Und jetzt kommt Robert Koch selbst zu Wort: „Der Bodensatz ist das Unsaubere. Der Bodensatz ist das Fremde.“
Der gesunde Träger
Im letzten Kapitel lernen wir Robert Koch als kranken Mann in New York kennen. Wieder bedient sich der Autor eines literarischen Schachzuges, indem er die Geschichte aus der Sicht einer Ärztin erzählt. Es geht um die bekannte Figur der Köchin Mary Mallon, die als „gesunder Träger“ zahlreiche Menschen mit Typhus infizierte und deshalb in eine lebenslange Isolation gesteckt wurde.
Sauberkeitswahn
Robert Koch soll sie kennenlernen, aber sein Interesse am Patienten ist gering. Stattdessen unterliegt er auch hier seinem Sauberkeitswahn und lässt sich tagtäglich den Darm spülen. Auch in diesem Kapitel ist die Brisanz unüberlesbar, denn der Autor schreibt: „Die Gewalt des Departements bekommt die Würde von der Seuche.“ Der Autor setzt dem eine andere Haltung entgegen. Ebenso wie er im ersten Kapitel Witold, den Gärtner, auftreten lässt, kommt jetzt Prinzessin Alexandra mit einer Aufforderung daher, die die Ärztin gern annimmt.
Michael Lichtwarck-Aschoff signiert bei einer Lesung im Tannerhof, Bayrischzell 2019. Foto: Hannah Miska
Das Buch besticht nicht nur durch die historische und medizinische Genauigkeit und den Bezug zur Gegenwart, sondern ebenso durch die klare und dichte Sprache des Wissenschaftlers. Sie wirkt wie ein Sog in das sehr unterschiedliche Geschehen der drei Kapitel. Michael Lichtwarck-Aschoff gelingt darüber hinaus etwas für die heutige Zeit sehr Wesentliches: Er stellt dar, was Wissenschaft macht, wie sie entsteht, dass es Irrtümer gibt und dass man diese einräumen muss.
Er selbst sagt: „Das Buch war fertig, lange bevor die Corona-Pandemie über uns kam. Es kann und es will deshalb auch kein Kommentar zum Umgang mit der Pandemie sein. Trotzdem mag es nützlich sein, die Erbschaft, die der Seuchenmediziner Robert Koch uns hinterlassen hat, genauer anzuschauen.“