Russlands historisches Erbe
Vortragsreihe Russische Geschichte. Foto: privat
Vortragsreihe der VHS Oberland e.V.
In einer Vortragsreihe der vhs Oberland können sich Interessierte ab dem 8. März regelmäßig über die russische Geschichte informieren, um die aktuellen Geschehnisse in Russland und der Ukraine besser einordnen zu können. Wer sich in der Gegenwart gegen den Krieg in der Ukraine positionieren will, kann das am Sonntag in Holzkirchen tun. (siehe unten).
Hier eine Einführung des Referenten Martin Schneider zur Vortragsreihe:
Wer 2022 die Entscheidungen der Führung im Kreml verstehen möchte, muss neben deren wirtschafts- und geopolitischen Interessen in einer globalisierten Welt auch die russische Geschichte betrachten. Dieser widmet sich eine fünfteilige Vortragsreihe an der VHS Oberland e.V.
Die Sowjetunion hat den Kalten Krieg 1991 verloren. Nicht nur ihr Verteidigungsbündnis – der Warschauer Pakt – löste sich auf, auch sie selbst zerfiel unter Michail Gorbatschow in eine Vielzahl souveräner Staaten. Deren politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung gestaltet sich bis heute schwierig.
Russische Geschichte unter Boris Jelzin
Unter Boris Jelzin trat Russland als größter Nachfolgestaat das Erbe der Sowjetunion an. Es war weiterhin Nuklearmacht und behielt den Ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Doch außenpolitisch war es schwach und die innenpolitischen Veränderungen waren enorm: Von westlichen Krediten abhängig, erfolgte die Umstellung auf die lange bekämpfte Marktwirtschaft. Sie verschärfte die sozialen Spannungen im Land und führte Ende der 1990er Jahre zur Finanzkrise.
Parallel wagte man die ersten Ansätze hin zu einer bürgerlichen Demokratie, musste aber 1993 auf einen Putschversuch und später auf die nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen in Tschetschenien reagieren.
NATO Osterweiterung
Ferner erweiterten sich NATO und EU trotz gegenteiliger Zusagen Anfang der 1990er Jahre dann doch nach Osten und damit in russisches Einflussgebiet. Auch Georgien und die Ukraine waren zeitweise als Mitglieder im Gespräch. Zwar hat Wladimir Putin diese Entwicklung mit der Unterstützung russischer Separatisten in beiden Ländern, dem Georgienkrieg 2008 und dem am 24. Februar 2022 erfolgten Angriff auf die Ukraine gestoppt.
Referent Martin Schneider. Foto: privat
Wäre es aber nur sein Ziel, Russland wieder zu einer wahrnehmbaren Weltmacht mit zu respektierenden Einflusszonen zu machen, könnte er es spätestens nach den intensiven diplomatischen Friedensbemühungen der letzten Wochen als erreicht ansehen. Doch es geht ihm offensichtlich um mehr. So könnte er versuchen, verlorene russische/slawische Gebiete nach Russland zurückzuholen. Denn in vielen postsowjetischen Staaten leben größere russische Minderheiten.
Zudem greift er mit der Ukraine ein Land an, das sich in den letzten Jahren demokratisch entwickelt hat. Es könnte durchaus als Vorbild für andere Staaten des postsowjetischen Raums dienen, nicht zuletzt für Demokratisierungsbemühungen in Russland selbst. Doch das stünde Putins autokratischen Bestrebungen genauso im Wege wie die Opposition im eigenen Land.
Russische Geschichte mit Diskontinuitäten
Um Entscheidungen des Kreml einordnen zu können, ist auch ein tieferer Blick auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der russischen Geschichte wichtig. Denn das politische Erbe Russlands erscheint von wesentlichen historischen Ereignissen geprägt, die tief in die Zarenzeit zurückreichen. Zu den Diskontinuitäten gehört der Wechsel politischer Systeme.
Auf das autokratische Zarenreich folgte nach der Februarrevolution 1917 die kurze Phase einer Republik, nach der Oktoberrevolution 1917 und dem Bürgerkrieg der erste sozialistische Staat. Zwar kam ihm zunächst eine weltpolitische Pariastellung, später im Kalten Krieg allerdings die Rolle der östlichen Führungsmacht zu. Nach Glasnost und Perestroika erfolgten 1991 der sowjetische Staatszerfall und die ersten Versuche mit westlicher Demokratie und Marktwirtschaft.
Kontinuität mit starken Führungspersönlichkeiten
Unter Putin ist 2022 nicht mehr viel von der Demokratie übriggeblieben: Sie gilt als ausgehebelt, gelenkt und kaputt. Dass die meisten dieser Veränderungen kurzfristig stattfanden und kaum Zeit ließen, sich darauf einzustellen, ist eine Kontinuität der russischen Geschichte.
Ebenso kontinuierlich stand in allen politischen Systemen Russlands immer eine starke Führungsperson im Fokus: von den Zaren über die Parteichefs der KPdSU bis hin zu Putin. Und sie alle taten sich in der Geschichte äußerst schwer, liberale, von der europäischen Aufklärung geprägte Reformen umzusetzen. Denn diese bargen immer die Gefahr einer Eigendynamik, durch die das Regime insgesamt gefährdet werden könnte.
Kolonialpolitischer Kampf
Ebenso kommt die lange Kontinuität des kolonialpolitischen Kampfes um Macht und Einflusssphären hinzu. Dabei spielte auch die Krim in Gegnerschaft zum Osmanischen Reich bereits in der Neuzeit eine Rolle; ferner der Versuch, angesichts französischer und englischer Kolonialziele selber im östlichen Mittelmeerraum aktiv zu sein.
Noch aus der Sowjetunion besitzt Russland heute einen Militärstützpunkt in Syrien. Eroberungspolitik ließ im Zarentum ein riesiges Reich unter russischer Führung entstehen, das die Sowjetunion erbte. Beide gliederten die Völker notfalls zwangsweise dem Reich ein. Es zerbrach 1991 in souveräne Nationalstaaten, da sie russische Herrschaft vor allem als Fremdbestimmung wahrnahmen.
Mahnung für Frieden
Das Recht zu einem Angriffskrieg geht aus der Geschichte ganz sicher nicht hervor. Vielmehr würde es weiterhelfen, die historischen Erfahrungen als Mahnung zu einem vorsichtigen Umgang mit Macht, Völkern und Staaten zu interpretieren, um in Frieden miteinander zu leben. Für die westlichen Staaten gilt dies ebenfalls.
Das KULTUR im Oberbräu Holzkirchen lädt zu „Lichter für den Frieden“ ein: „Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine. Wir wollen gemeinsam mit Ihnen am Sonntag um 19.30 Uhr auf dem Vorplatz des Holzkirchner Kulturhauses Lichter für den Frieden entzünden. Kommen Sie mit Ihrer Kerze. Die Weyarner Veranstaltungstechnik-Spezialisten von „Laut und Hell“ beteiligen sich mit einer Lichtaktion.“
15.03.2022: Zwischen Liberalismus und Reaktion – Russland im 19. Jahrhundert,
22.03.2022: Lenin und die russische Oktoberrevolution – Der Weg zum Sozialismus,
29.03.2022: Die Sowjetunion unter Stalin,
05.04.2022: Der Kalte Krieg,
Jeweils 18:30 bis 20:00 Uhr, Gebühr: 8€/Termin Wichtig: Die Vortragsreihe findet hybrid statt! Das heißt die Zuhörer können in Präsenz im Reisberger Hof (Max-Josef-Str. 13) in Tegernsee teilnehmen oder von zu Hause aus über Zoom. Bitte bei der Anmeldung angeben! Die Vorträge bauen thematisch aufeinander auf, jeder Termin kann jedoch auch individuell gebucht und besucht werden. Anmeldung unter: 08024/467890 oder tegernsee@vhs-oberland.de