Schweden in Schliersee
Ein perfektes Duo: Matthias Well und Stefan Merki. Foto: Jürgen Haury
Musikalische Lesung zum Schlierseer Kulturherbst
Einen hinreißenden Abend durfte das Publikum beim Schlierseer Kulturherbst erleben. Mit Stefan Merki und Matthias Well gestalteten zwei exzellente Künstler in unnachahmlicher Weise einen Leckerbissen der Literatur: Kurt Tucholskys „Schloss Gripsholm“.
Das neu gestaltete Heimatmuseum in Schliersee. Foto: Jürgen Haury
Es war der dritte Abend im Saal des neu gestalteten Heimatmuseums, ideal für das intime Format der musikalischen Lesung. Die Zuschauer sind ganz nah am Geschehen, können jede Mimik, jede Geste der beiden Künstler verfolgen. Und das ist gut so, denn so ist ein jeder mittendrin in dieser zauberhaften Geschichte um Lydia und Peter. Claudia Pichler, die frühere Kulturchefin des Frauenhofer Theaters, gestaltete die Inszenierung eines ihrer Lieblingstexte, wie sie auf ihrer Website verrät.
Matthias Well, ein brillanter Violinist. Foto: Jürgen Haury
Virtuos leitet Matthias Well aus der musikalischen Well-Dynastie den Abend auf der Geige ein. Der junge bereits hochgelobte Violinist hat mit seinem Können und seinem Charme das Publikum sofort für sich eingenommen. Stefan Merki steht keineswegs hintenan, denn der Schweizer Schauspieler, bekannt aus den Münchner Kammerspielen und Film und Fernsehen, versteht es ganz großartig, die Stimmung der zeitlosen Liebesgeschichte zu transportieren.
Stefan Merki, ein brillanter Schauspieler. Foto: Jürgen Haury
Er kann wunderbar erzählen und er schlüpft mit seiner Stimme in die verschiedenen Personen der Erzählung. Er spricht Missingsch, dieses plattdeutsche Hochdeutsch von Lydia, Geliebte, Komische Oper und Freund des Autors, der hier Peter heißt. Diese Lydia ist also eine ideale Mischung in einem idealen Sommerurlaub, in dem das rote, dickbäuchige Schloss Gripsholm eine wesentliche Rolle spielt. Stefan Merki ist auch die schwedische Schlossverwalterin Frau Anderson mit ihrem lustigen Deutsch und er ist Frau Adriani, die kalte, hartherzige Herrscherin über 40 Kinder in einem Heim.
Die traurige Geschichte des Kindes
Tucholsky hat der Liebesromanze die traurige Geschichte des Kindes gegenübergestellt, das Zuflucht bei dem jungen Paar sucht. Von der Mutter in Zürich in die Obhut dieser Macht besessenen Frau Adriani gegeben, die die Kinder sogar schlägt, leidet das Kind ganz fürchterlich.
Matthias Well begleitet diesen Part mit traurig-melancholischen Kompositionen und wechselt zum Volkslied „Mein Hut, der hat drei Ecken“, als Lydia ihren Peter auffordert, doch ein bisschen Klavier zu spielen. Es folgt eine amerikanische Weise und dann fragt der Geiger das Publikum, was es denn gern hören würde. „Ein französisches Lied“ wird gewünscht und schon wird der Wunsch sehr charmant erfüllt.
„Frauen können besser helfen“
Stefan Merki widmet noch einmal der Einsamkeit des Kindes seine Lesung, aber dann wird Lydia tätig, denn „Frauen können besser helfen“, weiß Tucholsky. Ein Brief nach Zürich wird geschrieben und damit fällte allen ein Stein vom Herzen. Matthias Well pfeift fröhlich unter seinem Spiel und der Schauspieler pfeift heiter mit hinein in die Pause.
Das Schlierseer Heimatmuseum innen. Foto: Jürgen Haury
Mit Vivaldi geht es in den erotischen Teil der Lesung, denn jetzt ist Lydias Freundin Billie mit am Start. Die berühmte Schilderung der ménage à trois gelingt Stefan Merki in heiter-ironischer Weise. Köstlich hintergründig seine Wiedergabe von „Kikerikiki machte es leise in mir“ und Matthias Well singt und spielt dazu ein leichtfüßiges französisches Chanson. Die Stimmung ist perfekt eingefangen, Text und Musik ergänzen sich ideal. „Und da verloren wir uns“, heißt es lakonisch bei Tucholsky und später fragt Lydia „Wie ist denn das alles so plötzlich gekommen?“
Matthias Well löst die Situation auf. Foto: Jürgen Haury
Das Prickelnde löst Matthias Well mit einem leidenschaftlichen Spiel auf, denn „es hatte keinen Schatten gegeben“, nur einen „Schwamm der Neugierde“. Ganz unbeschwert kann sich Lydia wieder dem Kind widmen, das sie nach Billies Abreise zu zweit aus den Fängen von Frau Adriani befreien.
Stefan Merki in Hochform
Jetzt läuft Stefan Merki zu Hochform auf, als er den Wutausbruch der Frau wiedergibt und wird schnell wieder ganz heiter, denn mit einem Trinkspruch geht der wunderbare Urlaub zu Ende. Leider auch der Abend im Schlierseer Heimatmuseum. Aber ganz zum Schluss gibt es noch ein Schmankerl: Der Schauspieler singt aus voller Brust: „Lebe wohl, gute Reise und denke an mich.“
Dieser Abend wird zweifelsfrei im Gedächtnis bleiben und so ist den Worten von Organisator Johannes Wegmann „Und kommt bitte wieder“ nichts hinzuzufügen.