Vom Mann, der ein Unheil hätte verhüten können
Wie schreibe ich eine Kurzgeschichte? Foto: N.N.
Schreibseminar in Warngau
„Wir schreiben eine Kurzgeschichte“, hieß es jüngst an einem Samstag auf Einladung von KulturVision e.V. Und in der Tat: Um 17.30 Uhr las jede Teilnehmerin eine gut gestrickte Geschichte vor, die die im Kurs gelernten Anregungen beinhaltete.
Diese hatten wir anhand des Klassikers der deutschen Kurzgeschichte, Heinrich Kleists Erzählung „Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“ erarbeitet und auf einem großen Blatt zum Nachschauen an die Wand geheftet. Was macht also eine gut geschriebene Kurzgeschichte aus?
Sie soll nur ein Geschehnis beinhalten, dieses aber in vorwiegend geschriebener Handlung und nicht Beschreibung wiedergeben. Dabei soll nur ein Charakterzug des Protagonisten zum Ausdruck kommen. Das Ganze soll unbedingt einen Sinn haben, eine Botschaft, die aber möglichst versteckt gehalten wird, also nicht missionieren.
Überraschende Wendung
Gut ist es, wenn am Ende eine überraschende Wendung eintritt, die aber der aufmerksame Leser irgendwie schon vorher ahnen kann. Das Grundmuster der Kurzgeschichte besteht aus dem Dreierschritt: Hauptperson mit Merkmal, Motiv und Umfeld, dann führt sein Charakterzug den Helden in eine bestimmte Situation, die es zu meistern gilt und zum Schluss kommt die folgerichtige Lösung.
Anhand von ausgeteilten Büchern mit Kurzgeschichten fand jede Seminarteilnehmerin den Sinn des Textes und wie die Geschichte aufgebaut ist, heraus und stellte es in der Gruppe vor.
Beim Spaziergang Plot erarbeiten
Da die meisten Teilnehmerinnen noch keinen Plot für ihre Geschichte im Kopf hatten, gab es zur Anregung ein Blatt mit Sprichwörtern, aus denen jede Schreiberin eine Idee für den Sinn ihres Textes ableiten konnte. Um den Plot zu erarbeiten, nutzten wir das schöne Wetter und machten schweigend einen Spaziergang, bei dem im Kopf die Geschichte Format annahm.
Wieder am Seminarort in Warngau angekommen, ging es darum, den ersten Satz zu finden. Auch hierzu gab es ein Blatt mit ausgewählten Beispielen zur Orientierung. „Ich zum Beispiel wäre wahnsinnig gern oft nüchtern“, hieß es da, oder „Die Frau hat Arbeit, gottlob.“
Jetzt ging es an die erste Schreibphase, die in einer kurzen Vorstellung der Texte endete. Jede Schreiberin suchte sich den ihr gemäßen Platz zum Schreiben. Beim Lesen befassten wir uns dann noch mit der Sprache. Sie soll knapp, präzis und straff sein, keine langen, keine unnötigen Wörter, keine Dopplungen, kein Ballast.
Stilmittel für Kurzgeschichte
Mit einigen Stilmitteln, die sich gut für den Einsatz in der Kurzgeschichte eignen, schloss der letzte Input ab. Dann ging es ans Fertigstellen der Geschichte. Am Ende gab es sechs Geschichten, jede komplett anders. Eine befasste sich mit dem Auszug des Sohnes, eine mit einem in der Kindheit zu oft gelobten Erwachsenen und eine mit einer Frau, die mit einer Sekte konfrontiert wird.
Es gab eine Fantasygeschichte eines Drachen, eine Geschichte eines überraschenden Meditationswochenendes, die Erzählung eines Liebesdramas und eine sehr berührende Geschichte eines Mannes, der ein Unheil hätte verhüten können.
Das gemeinsame Mittagessen und das Austauschen bei Kaffee und Kuchen trugen zum Erfolg dieses Samstages bei. Am Ende wurde noch überlegt, welches Thema in den Schreibseminaren von KulturVision von Interesse ist. Sowohl Lyrik als auch die Idee „Augenzeugen schaffen“, also den Leser Zeuge werden lassen am Geschehen, ohne dass sie durch die Stimme des Autors abgelenkt werden, wurde bevorzugt. Letzteres Seminar ist bereits terminiert, es findet unter Leitung von Robert Kraner, Schriftsteller aus Österreich, am 16. April 2016 statt.