Schreibwerkstatt im Weltall
Autor E.J. Kromer liest aus seinem Buch „Schneebälle braten“. Foto: Isabella Krobisch
Besuch in der Schreibwerkstatt von KulturVision
Die Schreibwerkstatt von KulturVision geht neue Wege. Zum einen lädt sie etablierte Autoren ein, zum anderen wollen die Teilnehmer selber Lesungen organisieren und veröffentlichen. Gestern Abend gab es eine Vielzahl spannender Texte zu hören.
Seit etwa acht Jahren gibt es die Schreibwerkstatt im Rahmen von KulturVision, ein Baustein innerhalb vieler verschiedener Angebote des Vereins, dem das Schreiben und die Literatur neben kulturellen und gesellschaftlichen Themen am Herzen liegt. In den letzten Jahren wurde die Schreibwerkstatt überwiegend innerhalb der Spurwechsel-Initiative betrieben als Mittel zum Reflektieren und Finden des eigenen Weges. Inzwischen hat sich die Werkstatt geöffnet für alle, die Lust am Schreiben haben, die eigene Texte verfassen und vortragen sowie sich mit anderen Schreibenden austauschen möchten. Anfänger und Quereinsteiger sind ebenso willkommen wie Autoren, die bereits veröffentlicht haben und etabliert sind.
Eberhard J. Kromer liest
Als erster Autor war gestern Abend Eberhard Kromer zu Gast. Der Münchner hat kürzlich seinen ersten Roman „Schneebälle braten“ publiziert. In der halbstündigen Lesung erhielten die Werkstättler einen Eindruck von der Handlung, den agierenden Personen und der Art und Weise, wie der Autor eine spannende Erzählung aufbaut. Es geht um eine Geschichte, die in der DDR vor dem Mauerfall spielt, es geht um Liebe und Verrat, um politische Intrigen, Stasi und das ganz normale Leben der Menschen. Immer wieder stellt sich der Protagonist die Frage: Was ist richtig und was ist falsch. Damit hat der Roman einen allgemeingültigen Anspruch.
Ein Gärtner mit Heuschnupfen
Für die eigenen Texte hatten sich Mitglieder der Schreibwerkstatt das Spiel „Geschichtenerfinder“ zur Hilfe genommen. Sie wollten weg kommen von persönlichen, autobiografisch gefärbten Texten und hin zu fantasievollen fiktiven Erzählungen. Das funktioniert so: Aus dem Kartenset wählt man sich einen Protagonisten, einen Ort, einen Plot und ein sogenannten Special, daraus wird ein Text gewoben. Dabei entstanden die verrücktesten Texte. Einmal geht es um einen Autor, der zum Legastheniker wird, dann spielt ein Gärtner mit Heuschnupfen die Hauptrolle. In einem einsamen Turm versucht sich ein Physiker mit zwei Katzen an einer Erfindung, wobei ein stummes Kind zuschaut.
Was sich zunächst wie Liebesgeplänkel zwischen einem Mann und einer Kellnerin in einem Café anhört, wird zu einer Titanic-Tragödie. Ein abgestürzter, bewegungsunfähiger Astronaut findet sich in einem Ameisenhaufen wieder und versucht dem Gewimmel per Meditation Herr zu werden. Was passiert, wenn ein enttäuschter Kommunalpolitiker von der Südsee aus die Gemeindehomepage hackt, wurde ebenso zu einer Geschichte verarbeitet wie die Erlebnisse einer dicken Sportstudentin im Weltall.
Potential für längere Geschichten
Das Schönste an all diesen verrückten Geschichten ist – jeder hat seinen ganz eigenen Stil, seine Art zu erzählen, Bilder in Buchstaben zu malen, das Geschriebene vorzutragen. Dabei werden die Texte diskutiert, hinterfragt, Anregungen gegeben und teilweise weiterentwickelt. Einige der Geschichten sind perfekt in sich abgerundet, andere bieten Potential für längere Texte und können aus dem Kurzgeschichtenformat heraus weiter ausgearbeitet werden.
Die Werkstättler hatten offenbar sehr viel Freude an diesen erfundenen Geschichten, denn es wurden wieder begeistert Karten für eine neue Geschichte gezogen. Ein Neuankömmling bereicherte den Abend mit einem geschichtlichen Gedicht in Form einer Ballade. Wieder ein gänzlich neuer Schreibstil, der die Runde bereichert, die sich allmählich ausweitet. Denn das, was allen Spaß an der ungezwungenen Atmosphäre der Schreibwerkstatt macht, ist: Die große Bandbreite, der sehr unterschiedliche Erzählstil, und man tauscht sich über die Texte aus.
Die Broschüre „Anders Wachsen“ entstand anläßlich der Konferenz „Anders Wachsen – Alternativen für das Oberland“ im April 2016. Repro: KulturVision
Damit es spannend bleibt, werden immer wieder verschiedene Schreibtechniken und Themen durchgespielt. Oft sind es freie Themen, manchmal aber auch ganz konkret. So entstanden im Rahmen der Konferenz „Anders Wachsen – Alternativen fürs Oberland“ der Spurwechsel-Initiative von KulturVision im April diesen Jahres verschiedene Texte – Kurzgeschichten, Gedichte und Haikus – zu diesem Thema. Eine Auswahl wurde in der Broschüre „Anders Wachsen“ veröffentlicht. Wie geht’s weiter? Auch die Schreibwerkstatt wird „anders wachsen“, durch die Öffnung für alle Schreibinteressenten und den fruchtbaren Austausch mit den etablierten Autoren in der Region.