Sehnsucht Starnberger See
Seeburg. Foto: Allitera-Verlag.
Villen am Starnberger See
Sind es heute Stars und Sternchen aus Sport, Film und Medien mit hohem Glamourfaktor, Neureiche oder wer sonst etwas auf sich hält, so waren es in der Vergangenheit das angesehene Bildungs- und Großbürgertum, Künstler und Wissenschaftler oder der Geldadel, die sich rund um den Starnberger See angesiedelt haben und die Schönheit der lieblichen Landschaft genossen. Katja Sebald zeichnet in ihrem akribisch recherchierten, prächtig gestalteten Buch ein wunderbares Bild bayerischen Lebens.
Buchtipp der Redaktion
44 Villen rund um den Starnberger See, von Starnberg über Pöcking, Feldafing, Tutzing, Bernried, Seeshaupt nach Münsing und Berg, stellt die Kunsthistorikerin auf knapp 200 Seiten in diesem edel ausgestatteten Bildband mit dem Titel „Sehnsucht Starnberger See“ vor.
Dabei beschreibt sie kenntnisreich Architektur und Zeitgeschehen und lädt die Leser ein, sich ehemaligen und jetzigen Bewohnern zu nähern, ihnen in den Garten, in Haus und Anwesen zu schauen. Und nicht nur das: sie erzählt die Familiengeschichten der Menschen und spürt dem Leben in den Häusern mit Hingabe nach.
Villa Almeida. Foto: Allitera-Verlag.
Katja Sebald malt die Zeitgeschichte der Bewohner, die versteckt hinter Zäunen und hohen Hecken lebten, teils einsam, teils mit ihren Familienmitgliedern, ängstlich oder mit großer Würde, fröhlich und weltoffen.
Sie fragt interessiert nach, was aus ihnen wurde und in wessen Besitz die herrlichen Villen heutzutage sind. Lebensläufe historischer Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, Verwandtschaftsverhältnisse und Gespräche mit Nachfahren oder neuen Eigentümern hat die Autorin in umfangreicher Recherchearbeit zusammengetragen.
Katja Sebalds Blick auf die Villen
In ihrem Vorwort zu dem Buch „Sehnsucht Starnberger See“ schreibt die Autorin: „Die historischen Villen prägen bis heute die Landschaft um den Starnberger See. War der sommerliche Aufenthalt auf dem Land einst dem Adel vorbehalten, so verbrachte spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch das Münchner Großbürgertum die Sommermonate vor den Toren der Stadt… Die repräsentative Sommervilla sollte dem Wohlstand ihres Besitzers Ausdruck verleihen – eine illustre Gästeliste diente als Zeugnis gesellschaftlichen Ansehens.“
Maler, Musiker, Literaten, Künstler jeder Couleur, besuchten oder bewohnten die herrschaftlichen Gebäude mit großen Parks und prachtvollen Ausblicken und brachten Glanz in das gesellschaftliche Leben des Bürgertums. Um nur einige zu nennen, von denen in diesem Buch berichtet wird: die Maler Franz von Lenbach, Gabriel von Max, Josef Rösl oder Moritz von Schwind bauten sich eigene Villen.
Himbsel-Haus innen. Foto: Allitera-Verlag.
Der Schriftsteller Gustav Meyrink und der Bildhauer Adolf von Hildebrand, Richard Wagner, Kadidja Wedekind, Hans Albers, Waldemar Bonsels lebten und arbeiten am Starnberger See. Viele berühmt, manche zu Unrecht vergessen wie die Schriftstellerinnen Hedwig Zimmermann-Reber oder Emma Bonn.
Porträts der Villen und der Bewohner
Zu umfangreich, reichhaltig und überaus informativ ist das Buch, um ihm gerecht zu werden, indem man nur einige wenige Villen und deren Bewohner herausgreift. Es sind sowohl die historischen Bauwerke, kunstvoll gestaltet mit Türmchen, Erkern, Giebeln, Balkonen, schmucken Walmdächern oder eigenwilligen, einzigartigen Baustilen als auch die ausführlichen Biografien, Geschichten und Anekdoten über das Leben der Menschen, die dieses Kunstbuch „Sehnsucht Starnberger See“ zu einem wahren Kunstwerk machen.
Spannend wie ein Krimi lesen sich Herkunft, Werdegang, persönliche Lebensverhältnisse, Schicksale, Verbindungen und Bekanntschaften mancher Familien. Dabei finden Liebe und Tragik, berufliche Erfolge, gesellschaftliche Zwänge und Lebensumstände Erwähnung.
Nähe zum Nationalsozialismus
Die Autorin kehrt auch das nationalsozialistische Gedankengut mancher Erwerber nicht unter den Teppich. Empathisch und klar benennt Katja Sebald das große Leid der jüdischen Besitzer. Nazigrößen waren zuhauf am Starnberger See versammelt. Als Beispiel soll hier nur die Parkvilla in Feldafing genannt werden, die früher „Ernst-Röhm-Haus“ hieß, Hitlers Eliteschüler beherbergte und als „Reichsschule der NSDAP“ galt.
Wissenswertes erfährt die Leserin auch über die Brauereifamilie Pschorr, die in der Villa Columbia in Feldafing residierte. Kommerzienrat Joseph Pschorr besaß das Haus seit 1903 in direkter Nähe zu seinem Schwiegervater, dem Gründer der Berliner Bergmann-Elektrizitätswerke. Sein eigener Vater wohnte in Feldafing in der Pschorr-Villa.
Eine spannende Familiengeschichte über eine vermögende Dynastie, in deren Reihen sich Unterstützer der Nazis und jüdische Leidtragende befanden. Und wie die Villa Columbia zu ihrem Namen kam, erzählt Katja Sebald auch.
Herausgegriffen: Die Villa Knorr und die Villa Kustermann
Selbst in Pöcking, von den Einheimischen bald „Protzenhausen“ genannt, war die Villa Knorr mit einer Grundstücksgröße von über 18 Hektar, einer Uferlänge von 850 Metern und einem unvorstellbar großen Park eine Besonderheit. Und wieder nimmt die Autorin ihre Leserschaft mit in eine schier unglaubliche Familien- und Villengeschichte.
Angelo Knorr, Münchner Kaufmann mit italienischen Wurzeln, weihte das herrschaftliche Anwesen anlässlich seiner Hochzeit 1855 ein. Angelo war reicher Erbe und pflegte die heitere Gesellschaft. Sein Vater war Hauptaktionär der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank gewesen und baute 1848 einen Wohnblock, die „Knorrhäuser“ an der Brienner Straße. Später entstand dort das legendäre „Café Luitpold“. Die Villa Knorr erfuhr eine bewegte Geschichte. Auch hier brachte die Zeit rund um dem 2.Weltkrieg zum Teil ungeahnte Veränderungen.
Schließlich war der Besitz mehr als renovierungsbedürftig. Zum Glück fand sich ein Idealist und so wurde schließlich aus dem Restaurant „Kalinka“ das Hotel „Villa“.
Villa Kustermann. Foto: Allitera-Verlag
„Geh halt zum Kustermann und lass da oan gieaßn!“ sollen Münchner Eltern im 19. Jahrhundert zu ihren Töchtern gesagt haben, wenn die an keinem potenziellen Heiratskandidaten Gefallen fanden. Das Sortiment der Eisengießerei Kustermann muss also riesig gewesen sein. Und die Söhne des Firmeninhabers waren sicher ebenso begehrt, nicht nur in München, sondern auch in Tutzing, wo der Vater auch für jeden der Söhne einen Sommersitz bauen ließ. Innovativ und vorausschauend war der Unternehmer: Dampfmaschinen, Firmenautos mit Firmenlogo, einen der ersten Telefonanschlüsse Münchens, Eisenwaren aller Art und Lagerhäuser.
Die „Weiße Villa“ in Tutzing wurde von Heinrich von Hügel geplant und die Gartengestaltung hatte kein Geringerer als Hofgartendirektor Carl von Effner übernommen.
Künstler im Malvenhausl
Anatol Regniers Familienbiografie „Du auf deinem höchsten Dach“ schildert eindrücklich die Schönheit und Strahlkraft der Gegend um St. Heinrich und die glückliche Kindheit im Malvenhaus von Margarethe von Gaffron, ein Leben ohne Reichtum und Luxus.
Villa Hackländer-Leoni. Foto: Allitera-Verlag.
Erinnerungen werden wach an die Familie Wedekind, an die Eltern Charles Regnier und Pamela Wedekind, an das einfache Leben ohne jeglichen Komfort, aber mit häufigen Besuchen illustrer Gäste wie Gustav Gründgens, Erika Mann, Gottfried Benn oder Adolf Wohlbrück.
Schriftsteller und Schauspieler waren zugegen und was läge näher als zu fragen: Wer wohnt denn jetzt im Malvenhaus? Ja, es ist Heiner Lauterbach, einer der bekanntesten Schauspieler der Gegenwart, der hier mit seiner Familie ein Zuhause gefunden hat.
Zum Weiterlesen: Joseph Stieler – der Maler in Bildern und Geschichten