Liebe, Lust und Leidenschaft mit Semele
Chor, Orchester und Solisten. Foto: MZ
Oper in Holzkirchen
Gefühlsaufruhr in der Götterwelt. Mittendrin das Menschenkind Semele, das eine Affäre mit Jupiter begonnen hat. Die belgische Sopranistin Flore van Meerssche besticht in Händels oratorienartiger gleichnamigen Oper Semele mit ihrer leidenschaftlichen Rolleninterpretation. Das aus zwei Chören bestehende Chorensemble unter der Leitung von Clayton Bowman bescherte dem Holzkirchner Publikum im ausverkauften Festsaal des KULTUR im Oberbräu einen äußerst vergnüglichen Barockabend.
Wie sagte Timm Tzschaschel in seiner launigen Einführung? Es gibt wenig Aktionen auf der Bühne in dieser „Geschichte der Semele“, dafür wird eifrig erzählt. Diese Erzählungen geben unterschiedliche Stimmungen in verschiedenen Wiederholungen, Verzierungen und Schnörkeln wieder. „Wenn man keine Musik mag, ist das sehr ärgerlich“, meint der Plauderer augenzwinkernd.
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Timm Tzschaschel führte in das Werk ein. Foto: privat
Aber die Geschichte ist ungemein spannend, vielschichtig und bietet mit „Untreue, Zügellosigkeit, Eifersucht und Rache, Euphorie und Verlust bestes barockes Unterhaltungstheater“. Die Idee einer halbszenischen Darstellung mit Masken auf Stäben, die den einzelnen Personen eindeutig zugeordnet werden können, erweist sich im Laufe der Vorstellung als genial.
Auf Adlersflügeln in ein endloses Vergnügen, eine endlose Liebe
Die Chöre prosten dem Publikum zu. Foto: MZ
Zur Ouvertüre zieht der Chor in Sektlaune an den Seiten des Festsaals ein, prostet sich und dem Publikum freudig zu und nimmt schließlich vergnügt auf der Bühne Platz. Cadmus, der König der Theben, will seine Tochter Semele mit Prinz Athamas verheiraten. Mit seinem eindringlichen Bass verleiht Niklas Mallmann der Figur sogleich Statur und Würde. Semele windet sich in Ausflüchte. Sie hat ja den Göttervater Jupiter im Kopf.
Semele (Flore van Meerssche). Foto: MZ
Der brave Athamas, gesungen von der jungen lyrischen Mezzosopranistin Katharina Guglhör, kann seiner Braut wenig entgegensetzen. Heftiger Donner grollt: der Chor ist entsetzt und klagt, dass Jupiter in Regenflut herunterrausche. Athamas und Semeles Schwester Ino (Pauline Stöhr) bleiben zurück. Ino ergreift die Gelegenheit, um Athamas ihre Liebe zu gestehen. Herausragend gestaltet die junge Altistin ihre Partie. Da sitzt jeder Ton und jede Nuance wird zu einem Gefühl von klagend, zu warm und schmeichelnd.
„Capella München“, vorn Gudrun Petruschka an der Theorbe und Anderson Fiorelli am Cello. Foto: MZ
Begleitet wird sie von Gudrun Petruschka an der Theorbe, einer barocken Schalenhalslaute, Anderson Fiorelli am Cello und dem künstlerischen Leiter des Orchesters „Capella München“, Johannes Berger an Cembalo/Orgel. Beeindruckend ist, wie Gudrun Petruschka während der gesamten Aufführung beständig zwischen Theorbe und Barockgitarre wechselt und intensive Klangfülle erstehen lässt.
Jupiter, Semele, Iris und Ino warten auf uhren Auftritt. Foto: MZ
Athamas beklagt sein Leid, Ino fühlt sich unverstanden, versteht aber seine Gefühle. Nachdem Cadmus von der Entführung seiner Tochter durch einen Adler berichtete, kommt der Höhepunkt des 1. Akts: die wunderbare, einzigartige Arie der Semele „Endless pleasure, endless love“ jubiliert Flore van Meerssche in den höchsten Tönen, in vielfältigen und hinreißenden Verzierungen und Glücksmomenten. Ja, Semele ist der Welt entrückt. Und der Chor wiederholt diese Glücksgefühle mit Verve und Intensität.
Im Lustschloss der Leidenschaften
Pauline Stöhr. Foto: MZ
Wieder füllt Pauline Stöhr, nun als eifersüchtige Göttin Juno, mit glänzend gesetzter Altstimme mühelos den Festsaal. Gemeinsam mit ihrer Helferin Iris (Lucia Boisseree) schmiedet sie Rachepläne gegen Jupiter und Semele. Dramatik in der Musik, als Iris von den zwei Drachen vor dem Lustschloss berichtet, angefacht von Theorbe und Cello, intensiv ausgedrückt von den Streichern des international besetzten Orchesters, präzise geleitet und klar geführt von Clayton Bowman.
Gleich beginnt der 2. Akt. Foto: MZ
Dem Dirigenten und Chorleiter des heimischen Chors TonArt Sauerlach-Holzkirchen und des Klassic Chors München gelingt eine grandiose Symbiose des etwa 60-köpfigen Chorensembles. Mit Hingabe begleitet der Chor das Liebesgeflüster Jupiters. „Liebe und ich sind Eins“ erklärt Tenor Severin Böhm strahlend als Göttervater seiner gegenwärtigen Favoritin und lässt sich in trauter Zweisamkeit mit Semele auf den Herzchenkissen nieder. Aber Semele will mehr, will die göttliche Unsterblichkeit.
Schlaf und Schicksal
Zarte Klänge in der Einführung zum 3. Akt mit weichem Wechselspiel der Instrumente. Aber Juno und Iris sind gekommen, um Somnus zu wecken, der friedlich unter dem Herzchenbett schlummert. „Raffe dich auf, Schlaf“ ruft ihm Juno zu. Unwillig bequemt sich Niklas Mallmann, nun als Somnus, aus den Federn und preist den Namen seiner Holden, die ihm Juno als Geschenk für seine Hilfe im Komplott gegen Semele verspricht.
Semele und Jupiter. Foto: MZ
Glanzvoll gestaltet Flora van Meerssche kokett und selbstverliebt Semeles Arie „Myself I shall adore“, verführt durch den Zauberspiegel, mit Koloraturen und wunderbaren Verzierungen. Das Schicksal verlangt nach Jupiters Eid Semeles Tod. Junos Rachepläne sind aufgegangen. Und dennoch gibt es ein Happyend, denn Bacchus, der Gott des Weines und der Sinne, wird als Sohn von Semele und Jupiter aus Semeles Asche auferstehen.
Beim Schlussapplaus alle Solisten mit Clayton Bowman (r.). Foto: MZ
Intrigen, Verwechslungen, Verkleidungen, Lustgefühle, sexuelle Anzüglichkeiten und was sonst noch in der menschlichen und göttlichen Natur liegen mag, alles Erdenkliche fährt Georg Friedrich Händel in diesem Akt für sein anspruchsvolles Londoner Publikum auf. In nur vier Wochen hatte er dieses Werk 1743 geschrieben, das im Februar des folgenden Jahres erstmals aufgeführt wurde.
Man muss nicht alles verstehen, was in der Götterwelt so geschieht. Der Chor jedenfalls beschließt die Aufführung mit dem fulminanten Schlussgesang „Happy! Selig!“ und entlässt ein begeistertes Holzkirchner Publikum in einen lauen Sommerabend.