Sendboten geistiger Bezirke, Prinzipien und Welten
Sanatorium Valbella in Davos, um 1915. Foto: Ausstellungsheft
Ausstellung in München
„Der Zauberberg“ wird das Sinnlichste sein, was ich je geschrieben habe werden, aber von kühlem Styl“, so der Autor zu seinem 1924 erschienenen Roman, zu dem ihn seine Frau Katia inspirierte. Sie verbrachte Kuraufenthalte in Davos, Meran, Arosa, Bad Kohlgrub und Oberstorf und ihre Milieuschilderungen an den Gatten sind in den Roman eingeflossen. Den direktesten Einblick gewann Thomas Mann allerdings bei seinem ersten eigenen Besuch in Davon vom 15. Mai bis 13. Juni 1912. Dabei diente das Davoser Sanatorium Valbella als Vorlage für die äußere Erscheinung des fiktiven Sanatoriums „Berghof“.
Der Besucher nähert sich im Literaturhaus München dem vielschichtigen Werk über inszenierte Räume, die dem Romansetting entnommen sind. Davos, Sanatorien, Patientenzimmer, Salon, Operationssaal und Hochgebirge erzählen von Thomas Mann und den Quellen seines großen Romans.
Der „Zauberberg“ beschreibt die Geschichte Hans Castorps, eines „einfachen jungen Menschen“ aus Hamburg, der seinen Vetter Joachim Ziemßen für drei Wochen in Davos besuchen will und sieben Jahre in dieser abgehobenen Welt einer international gemischten Gesellschaft von Kranken bleibt. Der Roman endet mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Einsatz Hans Castorps an der Front. Ort der Handlung ist der Schweizer Höhenkurort Davos, dessen Klima und Behandlungsmethoden man große Erfolge bei der Behandlung der „Volkskrankheit“ Tuberkulose zuschreibt. Das Leben in dieser künstlichen Welt und seinen Jahreszeiten grundiert den Roman atmosphärisch. Diese Atmosphäre ist es, die man andeutungsweise in der Gestaltung der Ausstellung schaffen kann“, so Reinhard G. Wittmann, Leiter des Literaturhauses München.
Was waren Thomas Manns Vorlagen und Vorbilder?
Die Kuratorinnen Karin Becker und Karolina Kühn erläutern, dass es „neben den Romanräumen in der Ausstellung auf der zweiten Ebene die historischen Hintergründe zu entdecken gibt. Wie hat Thomas Mann diese Orte gefunden und fiktionalisiert? Was waren seine Vorlagen und Vorbilder, wie hat er sie verändert und für seine Zwecke zugeschnitten? Wie war er auch ganz persönlich mit den Figuren und Themen seines Romans verbunden?“ Ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den medizinischen Recherchen Thomas Manns, „die sich von genauer Lektüre dickbändiger Fachliteratur bis hin zum persönlichen Besuch des Röntgenlabors im Klinikum der Münchener Ziemssenstraße erstreckten“.
Wem die Lektüre des „Zauberberg“ vertraut ist, dem muten die teils subtilen Ausstellungsgegenstände nahezu vertraut an: Hölzernes Stethoskop, Fieberthermometer, Taschenspucknapf „Blauer Heinrich“, Röntgenbilder, Korsett für Knochentuberkulose, Davoser Liegestuhl, Sessel und Tisch aus dem Waldsanatorium. Atmosphärisch aufbereitet werden sie in vier Kabinetten durch Briefe, Postkarten und assoziative Filme, gedreht am Originalschauplatz.
Traumverlorene Welt in der Horizontalen
Im vierten Kabinett, das heftiges Schneegestöber assoziiert, wird die Atmosphäre des Romans besonders deutlich. Hier befindet Hans Castorp, „es schneite monströs und maßlos“ und er verirrt sich – ganz real und in seinen Phantasien.
Das korrekte Einwickeln des eigenen Körpers in Decken wird für ihn zum Inbegriff der traumverlorenen Welt, derer „hier oben“, die Erschlaffung in der Horizontalen zum Gegenbild der Ordnung und Disziplin des Flachlandes.
In den Gesellschaftsräumen des Berghofs lernt Hans Castorp die international-illustre Patientenschaft und ihre Zerstreuungen kennen. Angetan hat es ihm vor allem die Russin Clawdia Chauchat. Sie bestrickt Hans Castorp mit ihren rücksichtslosen Auftritten im Speisesaal, die sie mit einem nachlässigen Türenknallen einleitet. Mynheer Pieter Peeperkorn, ein vitaler holländischer Kaffeepflanzer, imponiert Hans Castorp durch seine Lebens- und Genusskraft. Zu dieser Person ließ sich Thomas Mann durch eine Begegnung mit Gerhart Hauptmann inspirieren.
Eine besondere Rolle spielt ein Grammophon, das im Gesellschaftsraum aufgestellt wird und vor dem sich Hans Castorp „mit geöffnetem Mund, geröteten Augen und zur Seite geneigtem Kopf vom Wohllaut seiner Vorzugsplatten ergreifen lässt“.
„Die Figuren sind für das Gefühl des Lesers alle mehr als sie scheinen, lauter Exponenten, Repräsentanten und Sendboten geistiger Bezirke, Prinzipien und Welten“, so Thomas Mann 1940.
Seine Tochter Erika Mann befindet, „es ist etwas Dämonisches um die Beobachtungsgabe wie die seine“. Dennoch wünscht sich der Autor einen friedlichen Abschluss der Lektüre, „der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“.