Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Traditionelles Shanghai. Foto: pixabay
Von unserer China-Korrespondentin Kerstin Brandes
Nahezu täglich sehne ich mich nach der Möglichkeit – vor allem an einem Kiosk – aus einer Vielzahl von Zeitungen auszuwählen, um dann daraus verlässlich, genau und klug recherchierte Informationen zu bekommen.
Zugegeben, dabei fallen selbst in Deutschland einige der Blätter durch – aber immerhin! Ganz zu schweigen von dem Genuss, in einer schier unendlichen Auswahl von Zeitschriften, Zeitungen und Büchern zu stöbern, sie dann als gedruckte Ausgabe vor sich zu haben und darin zu blättern. Meine Bedürfnisse mögen nun etwas merkwürdig klingen, sind jedoch in dem Land, in dem ich zurzeit lebe, nicht annähernd zu erfüllen. Zum Einen, da es hier nur bedingt westliche Druckerzeugnisse gibt und zum Anderen, da selbst über das Internet die für uns Europäer gewohnte Vielfalt nicht immer zugänglich ist. Denn abgesehen davon, dass natürlich die Haptik einer Seite fehlt, kommt eine mehr oder weniger starke Zensur hinzu. Ein geringer Trost dabei ist, dass ich es, im Vergleich zu den hiesigen Leuten, noch recht gut habe mit meinen technischen Möglichkeiten. Ich lebe in China. Und hier in Shanghai hat das Internet einen ungewollt großen Raum in meinem Alltag eingenommen. Seit Herbst 2013 lebe ich nun in dieser Stadt und habe hauptsächlich via www. Zugang zu Informationen und Nachrichten, vornehmlich aus Deutschland. Eine Abhängigkeit, die von Zeit zu Zeit jäh auf Entzug gesetzt wird. Dann nämlich, wenn es hier etwas zu feiern gibt.
Staatsbesuch
Erstmals wahrgenommen habe ich es im Frühsommer 2014, als Herr Xi und Herr Putin zu Besuch kamen. Abgesehen davon, dass beträchtliche Teile der Stadt und Infrastruktur für besagten Tag nicht mehr zur Verfügung standen, sprich ganze Straßenzüge und Metrolinien gesperrt und viele Firmen, Schulen und Geschäfte geschlossen wurden, funktionierte auch das Internet nur noch extrem langsam und alles in Zusammenhang mit Google kaum noch. Einige von Ihnen werden sich jetzt wundern und eventuell geringschätzig lächeln, aber Pech für viele hier, die ihr E-Mail Konto über Google angelegt haben, ganz banal etwas im Internet finden und aufrufen möchten oder aber auf einen Navigationsdienst angewiesen sind, um sich in dieser 23 Millionen Metropole zurechtzufinden.
Die Reporterin Kerstin Brandes. Foto: KN
Nun gut, nach dem Staatsbesuch wurde anscheinend ‚ganz oben‘ wieder ein Auge zugedrückt, eine Zensurschleuse geöffnet und voilà: Alles funktionierte wieder, wenngleich Google nur eingeschränkt. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass man hier oftmals erst durch den Gebrauch von VPN-Verbindungen (virtuelles privates Netzwerk), die in China eigentlich verboten, aber von ‚Westlern‘ allgemein benutzt werden, überhaupt einen Zugang zu den meisten nicht-chinesischen Internetseiten und -foren hat. VPN ermöglicht es, dass man durch das Einloggen in einen ‚Tunnel‘, über ein anderes Land, Zugriff auf die vom chinesischen Staat zensierten Webseiten hat. Wobei man klarstellen muss, dass es sich nicht um zensierte, verbotene Seiten im westlichen Verständnis handelt – also nichts schmuddeliges oder fanatisches – sondern Webseiten wie DIE ZEIT, FAZ oder DIE WELT; selbst der wenig brisante Münchner Merkur ist zeitweise schwer zu erreichen.
Zur Feier der Tage
Das nächste Mal registrierte ich einen Eingriff zum Jahreswechsel von 2014 nach 2015 bzw. Pferd zu Ziege. Wieder das gleiche Spiel: gesperrte Webseiten, Low-Speed-Internet und kein zuverlässiges Senden und Empfangen von E-Mails, wobei diesmal neben Google auch andere Anbieter wie z.B. t-online und Apple mit der iCloud betroffen waren und sogar besagte VPN-Verbindungen immer wieder, wie von Geisterhand, gekappt wurden. Noch mehr zeitraubendes Warten, unterbrochene Verbindungen und ein Gefühl, als sei man vom Rest der Welt abgeschnitten. Die hier tätigen internationalen Firmen müssen doch ob dieser massiven Einschränkungen verzweifeln.
Und Anfang September habe ich, nachdem das Internet wieder einmal, jedoch fernab der bekannten traditionellen Festivitäten, blockiert war, im Spaß gesagt, da müsse doch irgendetwas anstehen – und siehe da: nach einem genaueren Blick auf den Kalender kam der heuer zum ersten Mal gefeierte, bisher wenig beachtete ‚Tag des Sieges‘ (70 Jahre Kriegsende) zum Vorschein.
Danach gab es Mitte September das Mondfest und jetzt gerade den Nationalfeiertag am 1. Oktober. Und bald kommt wieder der Jahreswechsel.
Nach dem Spiel ist eben vor dem Spiel.